In seinem neuen Buch hat sich Robert Habeck einen übermächtigen, eigentlich unbesiegbaren Gegner vorgeknöpft: die physikalische Gesetzmäßigkeit. "Den Bach rauf" lautet der doch etwas ungelenke Titel, hinter dem Gedankenstrich wird jedenfalls direkt mitgeliefert, was das Ganze sein möchte: "Eine Kursbestimmung".
Es ist Mitte Januar, knapp fünf Wochen vor der Bundestagswahl. Die Grünen schwanken in den Umfragen zwischen 13 und 14 Prozent. Das sind eine paar mehr als noch zum Ampel-Aus im November, aber eben außer Reichweite einer Kanzlerschaft, weshalb Habeck den Begriff Kanzlerkandidat partout meidet. Er sei der "Kandidat von den Grünen – für die Menschen in Deutschland". Eine Geste der Demut.
In dieser Zeit also erscheint das neue Buch von Habeck, flankiert von einer Guerilla-Kampagne medialer Öffentlichkeit: "Spiegel"-Cover, Twitch-Stream von HandOfBlood, Buchpremiere in Berlin, moderiert von Micky Beisenherz – "seit Wochen ausgebucht", wie der Veranstalter mitteilt.
Die "NZZ" wundert sich unterdessen, dass Habeck, immerhin noch amtierender Wirtschaftsminister, während einer anhaltenden Wirtschaftskrise überhaupt die Zeit findet, ein Buch zu schreiben. Getan hat er das während seiner Ferien im Sommer, wie er sagt, und nach dem Ampel-Aus folgte die Überarbeitung.
Zwischenzeitlich hat es von seinem Verlag Kiepenheuer & Witsch auch Überlegungen gegeben, den Veröffentlichungstermin vorzuziehen, letztlich blieb man aber beim geplanten Datum. Der Zeitpunkt könnte schließlich nicht besser gewählt sein, jetzt, in der heißen Wahlkampfphase. Kräfte mobilisieren. Das Ruder rumreißen. Den Bach rauf.
"Die schlechten Nachrichten prasseln im Minutentakt auf uns ein." So lautet der allererste Satz. Der Ton ist gesetzt. Der Welt geht es schlecht, Deutschland sowieso. Wirtschaftskrise, Inflation, Hochwasser, Populismus, AfD, Ukraine, Gaza.
Er wünsche sich manchmal, so schreibt er, die magische Küchenuhr von Molly Weasley, der Mutter von Ron aus den "Harry Potter"-Büchern, die immer anzeigt, wo sich ihre Familie gerade befindet. "Ich will innerlich auf diese Uhr schauen, mich vergewissern: Ist alles gut, seid ihr da, seid ihr sicher?"
Auf den folgenden insgesamt 144 Seiten verhandelt Habeck die Probleme und Herausforderungen der Gegenwart. Er zitiert im Laufe des Buchs unter anderem Hannah Arendt, Steffen Mau, Wolf Biermann, Herfried Münkler und Margot Friedländer, und man fragt sich doch recht bald: warum das alles? Für wen ist dieses Buch? Und was möchte Habeck eigentlich sagen?
Die Antwort gibt er dankenswerterweise selbst: "Einmal aufschreiben, was ich gelernt habe, überprüfen, wer ich bin, anbieten, was wir sein könnten." Womit haben wir es hier also zu tun? Tagebuch? Abschiedsbrief? Pamphlet? Libretto zum Wahlprogramm?
Vielleicht von allem etwas und nichts so richtig. Das mag aber auch an Habeck selbst liegen. Man muss sich die Frage stellen: Ist Robert Habeck nicht bereits auserzählt?
Wenn man seinen Namen hört, hat man direkt ein Bild vor Augen: Habeck, wie er erzählt, dass er des Stresses wegen Müsli mit Wasser isst, Armbänder als Taylor-Swift-Hommage trägt und sich neuerdings zu Bürger:innen an den Küchentisch setzt und ihnen zuhört.
Er sei vor knapp 20 Jahren in die Politik gegangen, weil er Probleme sah, sich kümmern und einbringen wollte, weil er "Bullshit-Reden" und "gegenseitige Schuldzuweisungen" nicht ertragen konnte, schreibt Habeck. Weil er von Politiker:innen nicht erwarte, nie Fehler zu machen, wohl aber, diese zuzugeben, "damit ich ihnen im besten Fall verzeihen kann". Es kommt einem bekannt vor.
Man lernt aber auch einige Neuigkeiten. Zum Beispiel, wie eine Verordnung zum Energiesparen zum wahrscheinlich längsten Verordnungsnamen seiner Amtszeit wurde: "Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung, kurz EnSikuMaV." Beim Galgenraten ein Gewinnerwort, schreibt Habeck.
Man lernt auch, wie viele Seiten Papier durchschnittlich für die Genehmigung von 100 Kilometern Stromtrasse nötig waren – bevor Habeck das geändert hat. 19.000 Seiten, so erinnert er sich: "Ich lachte und sagte, das würde doch niemand lesen. Das wurde mit Kopfschütteln quittiert – doch, deshalb würden die Genehmigungen so lange dauern." Mittlerweile liest das eine KI.
Nicht zuletzt lernt man, dass Hoffmann von Fallersleben Habecks Meinung nach den "schönsten Genitiv der deutschen Sprache" geschaffen hat, "Des Glückes Unterpfand", und dass sich seine Mitarbeiter:innen über ihn lustig gemacht haben, weil er ihm in einem Interview die kreative Verwendung des Superlativs bescheinigt wurde. Er hatte von "offensten und vertrauensvollsten" Gesprächen gesprochen.
Seine Mitarbeiter:innen hätten ihn aufgezogen und mitgeteilt, "dass weniger Superlative ihre alleroberste und dringlichste Priorität sei".
Das ist sein größtes Kapital: Habeck ist nahbar. Wenn er etwas sagt, dann wirkt das aufrichtig. Man glaubt ihm, wenn er beschreibt, wie er mit dem Ampel-Aus hadert, mit dem Vertrauen, das er verloren und Fehlern, die er gemacht hat. Dass er Sorge hat, Deutschland verliere seine Balance.
Nur wirkt all das abgegriffen. Man hat es so schon sooft gehört, mit all seinen Floskeln, Phrasen und Allgemeinplätzen. Das Buch ist eine Aneinanderreihung an dichten, aber wohlbekannten Analysen der Probleme der Gegenwart und der nachdrückliche Versuch, zu zeigen, wie wichtig ihm das alles ist.
Und hier tut sich Habecks vielleicht größte Schwäche auf: Vom unbedingte Wunsch der Authentizität zur Selbstinszenierung ist es nur ein schmaler Grat. Authentizität ist, das darf man nicht vergessen, eine Wirkung – keine Charaktereigenschaft.
Währenddessen gibt sich Habeck große Mühe zu zeigen, dass er das Schreiben früher einmal hauptberuflich gemacht hat. Er müsse "die Scharte der eigenen Fehler auswetzen", wir wiederum dürften nicht "hilflos im Strudel der Gegenwart" treiben. Und er will nicht glauben, dass sich eine Gesellschaft "eingroovt in Moll", wenn im Debattenraum "falsche Informationen wie Geschosse herumfliegen". Denn: "Der Sound der Selbstgerechtigkeit dröhnt in den eigenen Echokammern am hohlsten."
Die Lösung für all das: Die Schönheit im Kleinen finden, im unmittelbaren Nahbereich. In Schulen, Kitas, Sportvereinen und Bibliotheken sei "die eigentliche Antwort auf den Populismus zu finden". Daraus wiederum können Menschen Hoffnung schöpfen, wenn sie sehen, wie sich in diesem Land Menschen für einander einsetzen. Und daraus soll eine diffuse Kraft entstehen.
Im Grunde hat Habeck es selbst geschafft, diese 144 Seiten in einziges Wort zu verdichten, lesbar im Meterformat auf Wahlplakaten, unter seinem entschlossen-freundlich dreinblickenden Gesicht. Es lautet: "Zuversicht".
Immer wieder hat Habeck in den vergangenen Jahren davon gesprochen, dass es eine Erzählung brauche, die die Probleme positiv bündelt und neue Energie freisetzt. Im "Spiegel" beklagte er zuletzt, dass Deutschland immer noch ein zerrissenes Land sei. Man habe es nicht geschafft, die deutsche Teilung in eine "gemeinsame Geschichte" zu überführen.
Auch Robert Habeck nicht. Ausgerechnet Habeck, der Literat unter den Politiker:innen, wird den Ruf nicht los, die richtige Sprache nicht zu finden.