Von einer friedlichen Trennung kann man beim Parteiaustritt von Sahra Wagenknecht aus der Linken sicher nicht sprechen, eher von einem geräuschvollen Abgang mit Türenknallen.
Neun weitere Abgeordnete hat die Politikerin mitgenommen. Ihre Gefolgschaft. Teil der Fraktion wollen sie vorerst bleiben. Darüber stimmt die Linke laut "Zeit"-Informationen aus Fraktionskreisen in der ersten Novemberhälfte ab. Laut "RND", das ebenfalls aus Fraktionskreisen zitiert, ist ein Verbleib der zehn Abgeordneten in der Fraktion eher unwahrscheinlich. Damit würde die Bundestagsfraktion der Linken stark dezimiert. Bislang ist von einer Rückgabe der Mandate durch die Wagenknechtler nämlich keine Rede. Stattdessen muss die Linke wohl sogar um ihren Fraktionsstatus bangen.
Wagenknecht währenddessen plant nun Großes mit ihrem Namen: Sie will 2024 eine eigene Partei gründen. "Bündnis Sahra Wagenknecht" soll die voraussichtlich heißen. Es klingt wie ein Personenkult.
Ihre Worte polarisieren, sie ziehen offenbar genug Menschen in ihren Bann. "Die Geschichte der Linken seit der Europawahl 2019 ist die Geschichte eines politischen Scheiterns", erläutert Wagenknecht in einem Schreiben zu ihrem Parteiaustritt. Sie würde allerdings "ohne Groll und ohne Nachtreten" gehen, steht ein paar Absätze weiter. Ein Widerspruch.
Trotzdem: Wie schafft es Wagenknecht, die Menschen hinter sich zu versammeln?
"Wagenknecht benutzt den kompletten Werkzeugkasten populistischer Rhetorik", meint Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje auf Anfrage von watson. "Sie polarisiert, emotionalisiert, provoziert. Wagenknecht verbindet linken mit rechtem Populismus, sie ist eine bipolare Populistin."
Wagenknecht ist vor allem ein Medienstar. In den vergangenen zehn Jahren war sie immer wieder auf Platz eins der am häufigsten geladenen Talkshow-Gäste. Der Grund: ihre schlagfertigen Antworten auf ökonomische Fragen, die Inszenierung als Reinkarnation von Rosa Luxemburg und natürlich der Kontakt zur richtigen Zeit zu den richtigen Menschen.
Die Ex-Linke erlangte in den vergangenen Jahren die Superkraft der Gesichtsbekanntheit. Wer sie einmal hat, wie etwa Jens Spahn (CDU) oder auch Publizistin Marina Weisband (Grüne), wird immer wieder zu Talkshows eingeladen. Denn die Zuschauer:innen bleiben eher hängen, wenn sie beim Durchzappen ein bekanntes Gesicht entdecken.
Hillje bestätigt:
Auf den Punkt gebracht, gelang ihr all das als linke Kritikerin mit ökonomischer Kompetenz. Ein Feld, in dem sie nahezu keiner Konkurrenz ausgesetzt war.
So könnte es nun auch für Wagenknechts künftige Partei aussehen.
"Wagenknechts Rhetorik ist geprägt von eingängigen Dualismen wie 'Gut gegen Böse', 'Volk gegen Elite' oder 'Arm gegen Reich'", sagt Hillje. "Einfache Antworten auf komplexe Fragen machen sie attraktiv", schließt er.
Sie wirft der Linkspartei etwa "fehlende Konzentration auf soziale Gerechtigkeit und Frieden" vor, erzählt anhand dessen die Geschichte ihrer "Ausgrenzung". Dabei hätten sie und die anderen ausgetretenen Abgeordneten sie doch "angemahnt, dass die Fokussierung auf urbane, junge, aktivistische Milieus unsere traditionellen Wähler vertreibt".
Bislang gilt Wagenknecht als Alternative für Wut, Zorn, Protest – und in Talkshows als Alternative zum Faschisten Björn Höcke (AfD). Aktuelle Umfragen zum möglichen Erfolg ihrer Partei sind stark widersprüchlich. Eines haben sie jedoch gemein: jede Berichterstattung darüber framet die künftige Partei als Protestpartei (nicht ganz zu Unrecht).
Laut der Forschungsgruppe um die Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner, hätte eine Sahra-Wagenknecht-Partei das Potenzial, "die Kluft zwischen der Linken und der AfD zu überbrücken". Denn:
Damit könnte Wagenknecht sowohl klassische Sozialdemokraten, als auch Konservative überzeugen. Die Forschungsgruppe betitelt diese Wahllücke als "linksautoritär". Also eine klassische linke Idee der Verteilungsgerechtigkeit in Verbindung mit dem gesellschaftlich Konservativen, statt progressiven, wie mehr Umweltschutz oder liberaler Migrationspolitik. Wagenknecht selbst spricht vom "Linkskonservatismus".
Ihre Absichten ähneln einer derzeit zentralen Erzählung von Konservativen bis (extremen) Rechten: Die Unzufriedenheit der Menschen beruht nicht etwa auf der Klimakrise, sondern den Vorschlägen zu ihrer Bekämpfung. Nicht auf der Diskriminierung von Minderheiten, sondern deren Empörung darüber. Nicht auf einer gescheiterten Migrationspolitik, sondern den Geflüchteten selbst.
Man dürfe dabei allerdings nicht vergessen, dass Menschen am Ende nicht nur eine Person wählen, sondern auch ein Programm – "daran könnte Wagenknecht scheitern", sagt Johannes Hillje. Und: "Wagenknecht ist mehr Marke als Partei. Bisher überzeugt sie nicht durch konkrete Programmatik, sondern durch Personenkult."
Die Medienmaschine Wagenknecht arbeitete vor allem Anfang der 10er-Jahre unermüdlich und effizient. Auf Dauer aufrechterhalten konnte sie diesen Erfolg jedoch nicht. Als Maßnahmenkritikerin der Corona-Pandemie war sie weniger präsent als in ihrer Rolle als linke Ökonomiekritikerin. Anfang des Jahres rief sie dann gemeinsam mit der umstrittenen "Emma"-Herausgeberin Alice Schwarzer zu Friedensverhandlungen mit Russland auf.
Ein Aufschrei – davon blieb jedoch realpolitisch wenig übrig. Und das ist ebenfalls die Herausforderung, vor der Wagenknecht nun mit ihrer Partei stehen könnte: Kurzfristig könnte sie große Wählerschaften anziehen. Wenn sie die Basis allerdings nicht mobilisiert bekommt, könnte das langfristig zu ihrem Scheitern führen.
Und noch ein weiterer, nicht ganz unwesentlicher Punkt, könnte Wagenknecht Probleme bereiten: die Namensgebung ihrer künftigen Partei – "Bündnis Sahra Wagenknecht". Zwar soll der nicht von Dauer sein, zunächst wolle sie so aber Wähler:innen gewinnen, erklärte sie.
"Es handelt sich um eine Personality-Partei, die von einem Medienhype lebt. Der Name der Partei steht stellvertretend für die Hyperpersonalisierung", meint Hillje.
Dieses Trimmen einer Partei auf eine einzige Person wirkt unüblich für Deutschland. Doch wir erinnern uns an Gerhard Schröder (SPD) – er stieg auf, weil er in Medien und Bevölkerung populär wurde. Es gibt also schon lange Potenzial für charismatische Populist:innen. Allerdings kaperte Schröder, im Gegensatz zu Wagenknecht, damit seine eigene Partei.
Hillje stellt der Wagenknecht-Partei ein pessimistisches Zeugnis aus: "Eine Partei, die von einer Person abhängt, kann nicht dauerhaft überleben. Die Hyperpersonalisierung der Wagenknecht-Partei könnte schon bald zum Problem werden."
Konkret bedeutet das: Wagenknecht könne beispielsweise nicht bei Europa- und Landtagswahlen gleichzeitig antreten, das müssten andere Personen übernehmen. "Die Projektionsfläche der Wagenknecht-Partei wird durch mehr Personal und mehr Programmatik schrumpfen." Hillje warnt jedoch auch: "Die aktuellen Umfragen sind mehr Wahrsagerei als Wissenschaft, weil noch viele Aspekte der Partei unklar sind."