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Israel und Palästina: Darum ist die Lage gerade so explosiv

A man with Israeli flag is seen during the 78th Anniversary Of Auschwitz - Birkenau Liberation ceremony and International Holocaust Remembrance Day in the former Nazi German concentration and extermin ...
Im Konflikt zwischen Israel und Palästina steigern sich die Spannungen momentan wieder.Bild: NurPhoto / NurPhoto
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Darum ist die Lage in Israel und Palästina gerade sehr explosiv – 3 Gründe

02.02.2023, 11:57
Yasmin Müller / watson.ch
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Während der vergangenen Wochen durchlebten die Menschen in Israel und Palästina eine der tödlichsten Phasen des Nahostkonflikts seit Jahren.

Der neue israelische Premierminister, Benjamin Netanjahu, sagte am Wochenende während einer Fernsehansprache, dass Israel keine Eskalation anstrebe, man aber auf jedes Szenario vorbereitet sei. Derweilen bilden sich im Palästinensergebiet neue militante Gruppen und die Zweistaatenlösung scheint in weite Ferne zu rücken.

Drei Punkte, die die Gewalt auf beiden Seiten derzeit befeuern – ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Israels neue Regierung und ihr rechter Kurs

Seit einem Monat ist in Israel eine neue Regierung an der Macht. An ihrer Spitze steht der rechtspopulistische Benjamin Netanjahu von der Likud-Partei – wie bereits mehrfach zuvor.

Die neue Regierung besteht diesmal aber aus einem Bündnis mit Siedleraktivisten, kompromisslosen Nationalisten und Ultrakonservativen. Die Haltung vieler Minister – das Westjordanland zu annektieren, die Einsatzregeln der israelischen Armee weiter zu lockern oder die israelische Kontrolle über heilige Stätten in Jerusalem zu festigen – erschwert es den verbleibenden gemäßigten Kräften, die Spannungen mit den Palästinensern zu entschärfen.

22.01.2023, Israel, Jerusalem: Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, leitet die wöchentliche Kabinettssitzung. Foto: Maya Alleruzzo/Pool AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Nach einer knapp zweijährigen Pause ist der rechtspopulistische Benjamin Netanjahu wieder an der Macht.Bild: Pool AP / Maya Alleruzzo

Besonders kritisch wird unter anderem Itamar Ben-Gvir beurteilt, seines Zeichens Minister für Nationale Sicherheit. Denn ihm wurde beispielsweise in den 1990er-Jahren der Dienst in der israelischen Armee untersagt, weil Sicherheitsbeamte ihn für zu extremistisch hielten. Bis 2020 soll er in seinem Haus ein großes Porträt eines jüdischen Schützen ausgestellt haben, der im Jahr 1994 fast 30 Palästinenser in einer Moschee im Westjordanland tötete.

"Früher waren solche Provokateure Randerscheinungen und nicht unter den Ministern zu finden", meint der Politologe Hani Masri aus Ramallah gegenüber der New York Times. Doch man befinde sich mit der sogenannten 37. Regierung in einer "neuen Phase", ergänzt er.

FILE - Itamar Ben-Gvir, the minister of national security in Benjamin Netanyahu's new government, attends a weekly cabinet meeting on Jan. 3, 2023, in Jerusalem. Israeli police broke up a meeting ...
Itamar Ben-Gvir sorgt für Kontroversen.Bild: Pool European Pressphoto Agency / Atef Safadi

Sicherlich hat die aktuelle Regierung von früheren Regierungen eine instabile Dynamik geerbt. Im vergangenen Frühjahr zum Beispiel starben bei einer Anschlagserie so viele Menschen wie seit Jahren nicht mehr im gleichen Zeitraum.

Doch unter der vorherigen Regierung "war die israelische Politik darauf ausgerichtet, wenigstens die Illusion von Stabilität aufrechtzuerhalten", zitiert die New York Times Nimrod Novik, einen ehemaligen hochrangigen israelischen Beamten und Analysten beim Israel Policy Forum. Davon könne jetzt keine Rede mehr sein.

Viele Israelis sind unzufrieden mit der neuen Regierung – und tun dies auch lautstark kund. Bereits an vier Samstagabenden hintereinander waren Zehntausende Menschen auf den Straßen, um zu demonstrieren. Einige Demonstranten kritisieren dabei direkt den Umgang Israels mit den Palästinensern.

"Mit Besatzung gibt es keine Demokratie."
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28. Januar, Tel Aviv: Israelische Bürger legen eine Schweigeminute für die Opfer eines Anschlags in Jerusalem ein.Bild: AP / Tsafrir Abayov

Das Kabinett von Netanyahu hat am Sonntag eine Reihe von Maßnahmen genehmigt, um die brodelnde Gewalt im Land einzudämmen – Experten sehen aber die Gefahr, dass die Spannungen so nur weiter angeheizt werden. Denn zu den Maßnahmen gehören auch der Entzug der Sozialversicherungsleistungen für Familien beschuldigter "Terroristen" oder Schritte zur Stärkung des Siedlungsbaus im Westjordanland.

Monate intensiver "Operation Wave Breaker"

Seit 10 Monaten läuft eine israelische Militärkampagne: die "Operation Wave Breaker". Sie wurde als Anti-Terror-Kampagne von der vorherigen Regierung gestartet, nachdem eine Gewaltwelle im vergangenen Frühjahr den Nahen Osten überrollt hatte. Das Ziel: Terroristen ausschalten und so die Sicherheit wieder herstellen.

Insgesamt wurden im Laufe des letzten Jahres im Rahmen der "Operation Wave Breaker" fast 150 Palästinenser im Westjordanland getötet – der höchste Jahreszoll an Menschenleben in der Westbank seit mehr als zwei Dekaden.

In einer Erklärung an die Washington Post sagte das israelische Militär, dass "die überwiegende Mehrheit derjenigen, die durch das Feuer [der israelischen Verteidigungskräfte] getötet wurden, an terroristischen Aktivitäten beteiligt war und eine direkte Bedrohung für das menschliche Leben darstellte". Und tatsächlich gelang es den israelischen Einsatzkräften erwiesenermaßen, während verschiedener Aktionen eine Reihe hochrangiger Mitglieder der im Palästinensergebiet aktiven Terrororganisation Islamischer Dschihad zu töten oder festzunehmen.

Doch unter den Toten sind nicht nur Terroristen, sondern auch mehrere Zivilisten und sogar Kinder. So etwa ein 16-jähriges Mädchen, das während eines Gefechts auf dem Dach seines Hauses stand, eine Lehrerin aus Dschenin, die versuchte Erste Hilfe zu leisten, oder die bekannte Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh.

Bei Gegenanschlägen von palästinensischen Militanten auf Israel wurden im selben Zeitraum 30 Israelis und Ausländer getötet – ebenfalls die höchste Zahl seit 2014.

Auf beiden Seiten insgesamt also rund 180 Tote in nur einem Jahr.

Und in der letzten Woche hat sich diese Gewaltspirale so schnell gedreht wie seit Jahrzehnten nicht mehr: Am Donnerstagmorgen wurden mindestens neun Palästinenser bei einem vierstündigen Feuergefecht zwischen den IDF und bewaffneten Palästinensern in Dschenin im Westjordanland getötet. Diese Zahl an Todesopfern bei einer einzigen Operation ist die höchste, die jemals von den Vereinten Nationen seit 2005 verzeichnet wurde.

Nur einen Tag später tötete ein palästinensischer Schütze sieben Israelis vor einer Synagoge in Jerusalem – der tödlichste Angriff auf Zivilisten in der Stadt seit 2008. Und am Samstag verletzte ein Angreifer – der laut Polizei erst 13 Jahre alt war – zwei Israelis in der Nähe einer Siedlung in Ost-Jerusalem.

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Westjordanland, 21. Januar: Ein israelischer Grenzpolizist feuert Tränengas auf palästinensische Demonstranten.Bild: www.imago-images.de / Xinhua

Bei den Getöteten des Angriffs in Dschenin habe es sich hauptsächlich um "Militante" gehandelt, sagten israelische und palästinensische Beamte. Allerdings verlor auch die 61-jährige Zivilistin Majda Obeid ihr Leben. Sie wurde erschossen. Während sie kurz aus dem Fenster spähte. Ihr Ehemann erläuterte dem The Wall Street Journal:

"Nachdem dein Bruder, deine Schwester, deine Mutter getötet wurden – genug. Es weckt den Wunsch nach Rache."

Dieser Wunsch nach Rache ist in den Straßen der palästinensischen Städte omnipräsent: Die Wände sind beklebt oder bemalt mit den Gesichtern der kürzlich Getöteten. In Nablus im Westjordanland schmücken sogar Straßenverkäufer ihre Stände mit Collagen der jungen "Märtyrer". Die Palästinensische Autonomiebehörde zahlt Angehörigen von toten Attentätern sogar eine monatliche Rente.

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Palästinenser jubeln am 27. Januar nach einem Anschlag im israelisch abgetrennten Ostjerusalem.Bild: www.imago-images.de / APAimages

Ein hochrangiger israelischer Militärkommandeur im Westjordanland versucht diese Wut der Palästinenser gegenüber dem "Wall Street Journal" zu relativieren, indem er sagt:

"Es stimmt, wenn ich einen Terroristen töte, verübt sein Bruder oder Vater vielleicht einen Terroranschlag. Aber wenn es mir gelingt, ihn und weitere 40 zu töten, wird er sich vielleicht sagen: 'Das ist es einfach nicht wert.'"

Die israelische Armee kündigte an, Obeids Tod zu untersuchen.

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Palästinenser nehmen an der Beerdigung von Ali Al-Saadi teil, der bei einer Razzia im Flüchtlingslager Jenin im Westjordanland an seinen Verletzungen starb.Bild: www.imago-images.de / APAimages

Der 21-jährige Palästinenser Khaire Alkam war der Schütze, der vor einer Jerusalemer Synagoge um sich schoss und sieben Menschenleben auf dem Gewissen hat. Er wurde von der Polizei noch am Tatort erschossen.

Die israelischen Behörden nannten die Schießerei einen "Terrorakt" und reißen darum das Haus Alkams in Ost-Jerusalem ab.

Dieses Vorgehen kommt nicht überraschend, denn in Israel werden die Häuser von Palästinensern immer wieder zerstört, wenn ihnen vorgeworfen wird, Israelis getötet zu haben. Im Fall von Alkam habe die israelische Regierung aber "unter völliger Missachtung der Rechtsstaatlichkeit" gehandelt, so Dani Shenhar, Rechtsexperte der israelischen Gruppe HaMoked, gegenüber France 24. Das Vorgehen in diesem Fall unterstreiche nur den Wunsch der Regierung nach "Rache an der Familien des Schützen".

In einem Kommentar in der liberalen israelischen Tageszeitung Haaretz schreibt die Jerusalemer Journalistin Janan Bsoul über den Attentäter Alkam und seine kriminelle Vergangenheit. Sie betont dabei aber auch, dass der junge Mann ein Produkt seiner Umgebung sei. Nicht nur sei sein Großvater von einem Israeli getötet worden, Alkam sei auch ein Teil einer Jugend, die in "eine Blase aus Frustration, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit hineingeboren" worden sei:

"Arbeitslosigkeit, Besetzung, Diskriminierung, Unterdrückung, Scharen von Siedlern und Soldaten, die sie jeden Moment in ein Leben voll Elend in ihren strukturschwachen Vierteln zusammentreiben. Und das zusammen mit der täglichen Erfahrung von Diebstahl, Demütigung und Provokationen."

Die neue israelische Regierung hat als direkte Folge des Angriffs vom Freitag durchgewinkt, den Angehörigen der "Terroristen" das Recht auf Sozialleistungen zu streichen und es Zivilisten zu erleichtern, Waffen zu tragen.

Die Ereignisse der vergangenen Wochen scheinen symptomatisch für die festgefahrene Situation. Die Zwei-Staaten-Lösung rückt unter diesen Umständen in weite Ferne (bei diesem Lösungsansatz für den Israelisch-Palästinensischen Konflikt soll ein unabhängiger Staat Palästina neben dem Staat Israel entstehen). Noch nie seit den 1990er-Jahren haben so wenige Israelis und Palästinenser die Zwei-Staaten-Lösung befürwortet: 39 Prozent in Israel und 33 Prozent in Palästina.

Die Polizei hat mittlerweile beschlossen, ihre Bereitschaft auf das höchstmögliche Niveau zu erhöhen und besonders den Bezirk Jerusalem mit Hunderten Strafverfolgungsbeamten zu verstärken. Gleichzeitig stellen die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) zwei Kompanien zur Unterstützung der Polizei ab.

Die zunehmende Schwäche der Palästinensischen Autonomiebehörde

Vor drei Jahrzehnten wurde die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) mit Sitz in Ramallah als geschäftsführende Regierung in Palästina eingesetzt. Bis in die jüngste Vergangenheit kooperierte die PA teilweise mit der israelischen Regierung, doch am Donnerstag – nach dem Massaker in Dschenin – erklärte die PA, die Zusammenarbeit mit den IDF einzustellen.

Ohnehin gilt die PA mit ihrer repressiven Politik als weithin unbeliebte und schwache Regierung. Sie hat kaum Handhabe, den zunehmenden wirtschaftlichen und institutionellen Herausforderungen im von ihr kontrollierten Gebiet Herr zu werden – geschweige denn den sozialen Problemen und der Hilflosigkeit der Bevölkerung.

"Die fast täglichen Razzien in Gebieten, die von der Palästinensischen Autonomiebehörde kontrolliert werden, zeigen, dass die Souveränität der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht existiert", sagte ein Sprecher der palästinensischen Menschenrechtsorganisation al-Haq der "Washington Post".

A veiled woman activist from the the Popular Front for the Liberation of Palestine (PFLP) waves her national and party's red flags while mark the 55th anniversary of the PFLP, at Al Kateba Square ...
Eine Unterstützerin der PFLP.Bild: AP / Adel Hana

Diese Schwäche eröffnete ein regelrechtes Macht-Vakuum. Neben der Existenz der weithin bekannten palästinensischen Terrororganisationen wie der PFLP, der Hamas (die als politische Partei seit 2007 die alleinige Kontrolle im Gazastreifen ausübt) oder dem Islamischen Dschihad bildeten sich allein im letzten Jahr zwei neue militante palästinensische Gruppen im Gebiet der PA: das Dschenin Battalion und die Höhle der Löwen in Nablus.

Beide werden von perspektivlosen jungen Männern angeführt, die über lokale Unterstützungsnetzwerke, loyale Online-Anhänger und leichten Zugang zu Waffen verfügen, so die "Washington Post". Männer, die häufig noch nie die Möglichkeit hatten, am politischen Prozess in Palästina teilzunehmen, da die letzten Wahlen 2006 stattfanden.

Die Gewaltspirale in Israel und Palästina dreht und dreht sich. Und es scheint kein Ende in Sicht. Im Gegenteil: Die derzeitigen Entwicklungen im Nahen Osten deuten eher darauf hin, dass eine Eskalation droht.

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