So viel Umarmung in der Union ist neu. Als Annegret Kramp-Karrenbauer nach langer Anreise durch das oberbayerische Schneegestöber endlich im Kloster Seeon ankommt, wird die neue CDU-Chefin von der CSU-Landesgruppe im Bundestag geradezu gefeiert. Küsschen hier, Küsschen da und dazu Glühwein für die liebe Annegret.
Und AKK, wie sie in der Union mit ihren Initialen kurz genannt wird, bleibt über Nacht bis zum Abschluss der Klausur am Samstagnachmittag. Extra für die CSU-Bundestagsabgeordneten hat die 56-Jährige ihren Urlaub unterbrochen.
Ein klares Signal für eine neue Zeit und eine neue Zusammenarbeit zwischen CDU und CSU. AKK spricht von einem "ganz besonderen Termin" und auch Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, im Unionszwist noch einer der Hardliner, kommt aus dem Schwärmen kaum heraus. Am Ende beschwört er den "Geist von Seeon" herbei. Damit hebt er das Treffen auf eine historische Dimension, in Anspielung auf den für die CSU noch immer sagenumwobenen "Geist von Kreuth" von 1976.
Als AKK im Klosterkeller gefeiert wird, ist der andere neue starke Mann in der Union, der designierte CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Markus Söder, schon lange wieder weg. Am Samstag feiert er lieber ganz privat seinen 52. Geburtstag. Dass AKK und Söder sich verpassen, hat nichts zu bedeuten, heißt es. Immerhin sei Söder ja auch noch nicht zum Parteichef gewählt worden. Dies steht erst am 19. Januar bei einem CSU-Sonderparteitag an. Da will dann auch Kramp-Karrenbauer zum Gratulieren nach München kommen.
Dennoch pflegen die beiden neuen Unionschefs offensichtlich schon jetzt einen engen Draht. Zum Beginn der Klausur am Donnerstag beeilt sich Söder klar zu machen, dass er bereits mehrmals mit der neuen CDU-Vorsitzenden und auch mit SPD-Chefin Andrea Nahles telefoniert und sich abgesprochen habe. Ein Hinweis auf die immer wieder beschworene neue Personal-Konstellation in der großen Koalition mit seinen drei "Kraftzentren": Kabinett, Fraktionschefs und Parteivorsitzende. Nur Nahles hat noch eine Doppelfunktion als Partei- und Fraktionsvorsitzende. Dem Kabinett gehört aber auch sie nicht an.
Die Absprachen dürften damit einen Tick schwieriger werden, machte Dobrindt deutlich. Der Koalitionsausschuss wird eine neue Rolle bekommen. Er soll nicht mehr nur bei Krisen einberufen werden. Hier will man künftig auch längerfristig anstehende Themen erörtern. In dem Ausschuss sitzen die Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Auch Angela Merkel (CDU) soll ihm weiter angehören, wie versichert wird, aber eben "nur noch" als Kanzlerin. Wer wen wie stark in dieser neuen Konstellation beeinflussen kann, wird sich zeigen. Die beiden neuen Parteichefs Kramp-Karrenbauer und Söder scheinen jedenfalls entschlossen, sich nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen.
Die Vorsitzenden der Schwesterparteien dürften in den nächsten Monaten aber auch einiges damit zu tun haben, wieder Ruhe in die eigenen Reihen zu bringen. Die CDU muss sich nach 18 Jahren Merkel an der Parteispitze neu sortieren. AKK will sich dabei offensichtlich von ihrer Amtsvorgängerin absetzen und auch auf Wünsche des Wirtschafts- und des konservativen Flügels in der Partei eingehen. Denn die wollen sich immer noch nicht mit der knappen Niederlage von Friedrich Merz bei der Vorsitzendenwahl abfinden. Für etliche scheint auch eine Kanzlerkandidatur von Merz noch nicht erledigt.
Bei der CSU muss nach der Ära von Horst Seehofer vor allem das Zusammenspiel zwischen der Landes-CSU und den Bundestagsabgeordneten neu justiert werden. Nicht zu unterschätzen ist dabei die "Herzkammer der CSU" im Bayerischen Landtag. Die Fraktion dort verspricht sich in der neuen Konstellation mit einem Parteichef Söder, der im Land fest verankert scheint und gern seine Distanz zu Berlin unterstreicht, noch mehr Einfluss auf die Ausrichtung der gesamten Partei und damit auch auf die Politik der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
Als wolle er solche Hoffnungen dämpfen, sagte Seehofer bei seinem Abschied vor den CSU-Bundestagsabgeordneten in Seeon nach Angaben von Teilnehmern: "Ihr seid als Landesgruppe die Speerspitze der CSU. Ihr steht in der höchsten Verantwortung in unserer Partei, in einer doppelten Verantwortung, für Bayern und unseren bundespolitischen Anspruch." Bis sich also die neue Konstellation eingespielt hat, dürfte es noch Reibereien geben.
Am Schluss droht dann doch zu viel der Harmonie. AKK und Dobrindt machten nach der Klausur daher sicherheitshalber deutlich, dass CDU und CSU auch künftig um den richtigen Weg streiten werden. Dobrindt spricht - beschönigend - von einer "kooperativen Konkurrenz". CDU und CSU hätten 70 Jahre lang immer miteinander gestritten, sagte Kramp-Karrenbauer. Aber der Ton macht eben die Musik.
Sie untermauerte das mit einer Erinnerung an ihre Kinderzeit und ihre Geschwister: "Man streitet sich. Aber wenn die Nachbarskinder kommen, dann hält man zusammen." Und nachdem die CSU zuletzt das Erscheinungsbild der Union wesentlich bestimmt hatte, lässt AKK in Seeon auch wieder den Führungsanspruch der CDU unter den Schwesterparteien durchblicken.
Und die große Koalition? Bei CDU und CSU besteht die Angst, dass Nahles nach einem schlechten Ergebnis bei der Europawahl vor dem Aus steht - und damit auch die Koalition. Sollte die GroKo die Europawahl aber überstehen, steht Ende 2019, wie im Koalitionsvertrag auf SPD-Betreiben festgeschrieben, eine Revisionsklausel im Raum. Pessimisten sehen darin auch eine Ausstiegsklausel und damit eine weitere Soll-Bruchstelle für die Koalition. Die neuen Optimisten AKK und Dobrindt dagegen eine Chance.
(pb/dpa)