Lange Zeit war es still um die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nach Ende ihrer Kanzlerschaft hatte sie nur sehr wenige öffentliche Auftritte. Aktuell steht sie aber wieder im Mittelpunkt medialer Aufmerksamkeit. Am 26. November sollen nämlich ihre Memoiren erscheinen.
Der "Zeit" lagen vor Veröffentlichung mehrere Auszüge vor, die bereits für Gesprächsstoff sorgen. In einem Abschnitt äußert sie sich etwa zu dem denkwürdigen Auftritt des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007. "Mich regte vor allem seine Selbstgerechtigkeit auf", berichtet die 70-jährige Christdemokratin demnach.
Putin habe "kein Wort zu den ungelösten Konflikten vor seiner Haustür in Berg-Karabach, in Moldawien und Georgien (...) kein Wort zur Entwicklung in Russland selbst" verloren. Es habe aber auch Punkte gegeben, die Merkel für legitim erachtete, zum Beispiel die Kritik am Irak-Krieg. "Beweise über vorhandene Chemiewaffen im Irak waren bekanntlich nie erbracht worden."
In dem Buch mit dem Titel "Freiheit" beschreibt Merkel weitere denkwürdige Begegnungen mit SPD-Kanzler Gerhard Schröder, dem damaligen und künftigen US-Präsidenten Donald Trump und dem Papst.
Außerdem bezieht sie Position in einer aktuellen Entwicklung: Sie bekennt, dass sie sich einen Sieg der demokratischen US-Präsidentschaftsbewerberin Kamala Harris gewünscht habe, und zwar "von Herzen", wie sie schreibt.
Ihre Politik gegenüber der Ukraine wird Merkel in Kiew bis heute vorgehalten. Über den entscheidenden Nato-Gipfel 2008 in Bukarest, als es um einen Plan für einen Beitrittskandidaten-Status der Ukraine und Georgiens ging, schreibt die damalige Kanzlerin: "Ich verstand den Wunsch der mittel- und osteuropäischen Länder, so schnell wie möglich Mitglied der Nato zu werden." Aber: "Die Aufnahme eines neuen Mitglieds sollte nicht nur ihm ein Mehr an Sicherheit bringen, sondern auch der Nato."
Dabei sah sie Risiken hinsichtlich der vertraglich abgesicherten Präsenz der russischen Schwarzmeerflotte auf der ukrainischen Halbinsel Krim. "Eine solche Verquickung mit russischen Militärstrukturen hatte es bislang bei keinem der Nato-Beitrittskandidaten gegeben. Außerdem unterstützte damals nur eine Minderheit der ukrainischen Bevölkerung eine Mitgliedschaft des Landes in der Nato", erinnert sie sich.
Und weiter schreibt sie:
Am Ende stand ein Kompromiss, der aber einen Preis hatte, wie Merkel schreibt: "Dass Georgien und die Ukraine keine Zusage für einen MAP-Status bekamen, war für sie ein Nein zu ihren Hoffnungen. Dass die Nato ihnen zugleich eine generelle Zusage für ihre Mitgliedschaft in Aussicht stellte, war für Putin ein Ja zur Nato-Mitgliedschaft beider Länder, eine Kampfansage."
Bei ihrem ersten Treffen mit dem damals neu gewählten US-Präsidenten befragte der sie 2017 im Oval Office des Weißen Hauses nach ihrem Verhältnis zu Putin. "Der russische Präsident faszinierte ihn offenbar sehr. In den folgenden Jahren hatte ich den Eindruck, dass Politiker mit autokratischen und diktatorischen Zügen ihn in ihren Bann zogen", schreibt Merkel.
Die anschließende Pressekonferenz gestaltete sich schwierig. Trump habe Deutschland Vorhaltungen gemacht, sie habe mit Zahlen und Fakten geantwortet. Dazu schreibt Merkel:
Eine Lösung der angesprochenen Probleme schien aus Sicht der CDU-Politikerin nicht Trumps Ziel zu sein. "Es kam mir vor, als ob er es darauf anlegte, seinem Gesprächspartner ein schlechtes Gewissen zu machen. Als er merkte, dass ich energisch dagegenhielt, beendete er unvermittelt seine Tirade und wechselte das Thema. Gleichzeitig wollte er, so mein Eindruck, seinem Gesprächspartner auch gefallen."
Trump habe alles aus der Perspektive des Immobilienunternehmers gesehen, der ein Grundstück haben wolle. "Für ihn standen alle Länder miteinander in einem Wettbewerb, bei dem der Erfolg des einen der Misserfolg des anderen war. Er glaubte nicht, dass durch Kooperation der Wohlstand aller gemehrt werden konnte."
In ihrer Privataudienz bei Papst Franziskus wenige Monate später sprach Merkel ihre Sorge an, dass sich die USA unter Trump aus dem Pariser Klimaabkommen zurückziehen. "Ohne Namen zu nennen, fragte ich ihn, wie er mit fundamental unterschiedlichen Meinungen in einer Gruppe von wichtigen Persönlichkeiten umgehen würde. Er verstand mich sofort und antwortete mir schnörkellos: 'Biegen, biegen, biegen, aber achten, dass es nicht bricht.' Dieses Bild gefiel mir."
Denkwürdig auch die Szene, mit der Merkel 2005 ins Amt kam: als nämlich SPD-Kanzler Gerhard Schröder in der Fernsehrunde am Abend der Bundestagswahl seine Niederlage nicht eingestehen wollte und der – allerdings denkbar knappen – Siegerin in rauem Ton prophezeite, seine Partei werde ihr niemals als Koalitionspartner ins Kanzleramt verhelfen.
"Ich selbst saß da, als wäre ich gar nicht Teil des Ganzen, sondern als schaute ich mir zu Hause vor dem Fernseher die Szene an. Immer wieder sagte ich mir: Begib dich nicht mit den anderen in den Clinch, dann fängst du auch noch an, dich im Ton zu vergreifen." Ihr sei vollkommen klar gewesen, dass sie etwas Besonderes erlebe. "Ich bezweifelte sehr, ob Gerhard Schröder einem Mann gegenüber genauso aufgetreten wäre", erinnert sich die Frau, die danach noch 16 Jahre lang regieren sollte.
(mit Material von dpa)