Friedrich Merz wollte sich heute zum Bundeskanzler wählen lassen. Doch sechs fehlende Stimmen machen dem CDU-Chef einen Strich durch die Rechnung. Er brauchte 316 Stimmen, bekam aber nur 310 – Merz ist im ersten Anlauf bei der Kanzlerwahl im Bundestag gescheitert.
Dementsprechend macht sich Unmut bei der Opposition breit.
Grünen-Chefin Franziska Brantner sieht nach dem Scheitern von Merz im ersten Wahlgang der Kanzlerwahl ihn selbst und SPD-Chef Lars Klingbeil in der Pflicht. Die beiden Parteivorsitzenden müssten jetzt zeigen, "dass sie eine eigene Mehrheit für einen Kanzler, aber auch für die nächsten vier Jahre Regierungsarbeit sichern können", schreibt Brantner im Onlinedienst X.
Brantner nennt den Vorgang der gescheiterten Wahl "bedauerlich, denn er schwächt nicht nur die zukünftige Regierung, sondern auch unser Land und das Vertrauen in unsere Demokratie". Dabei sei die Lage in Deutschland und Europa ernst.
Grünen-Bundesvorsitzender Felix Banaszak sieht in dem Ergebnis "eine Zäsur", und zwar keine gute. "Friedrich Merz ist nicht der Kanzler, den ich gewollt oder gewählt hätte. Aber eine handlungsfähige Regierung braucht eine Mehrheit", schreibt er auf X. Für Denkzettel sei es nicht die Zeit. Deutschland und Europa brauchen laut ihm Stabilität.
Grünen-Abgeordnete Renate Künast sieht einen "massiven Autoritätsverlust" für Merz. "Das hängt ihm am Nacken, das wird er nicht mehr los", sagt sie im Bundestag der ARD. Es spreche einiges dafür, einen weiteren Wahlgang jetzt nicht hinauszuzögern. "Wir wollen wissen, ob Herr Merz eine Mehrheit hat", betont Künast.
Laut dem ehemaligen Justizminister und FDP-Politiker Marco Buschmann hat die Koalition aus Union und SPD ihren ersten Test nicht bestanden. "Der Koalitionsvertrag entfaltet offenbar keine Bindungswirkung. Das lässt nichts Gutes für die Handlungsfähigkeit unseres Landes erahnen", schreibt er auf X.
Die Linke plädiert für eine zweite Runde der Kanzlerwahl im Bundestag bereits am Mittwoch.
Linken-Abgeordnete und Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow erteilt Überlegungen für eine neue Wahlrunde erst am Freitag mit Hinweis auf den geplanten Bundesparteitag der Linken eine Absage. Zum Sender Phoenix sagt Ramelow dazu:
"Ich bin ziemlich sauer, um das mal so zu sagen. Das hätte nicht passieren dürfen", führt Ramelow aus. Union und SPD hätten ihre Mehrheit sichern müssen. Er warnt davor, dass die AfD ein Chaos ausnutze.
Die Linke trete dafür ein und plädiere dafür, "dass die Zweidrittelmehrheit auch zustande kommt aus der Mitte des Hauses", meint Ramelow. Und: "Wir werden auch als Linke mitwirken, dass die Zweidrittelmehrheit zustande kommt und damit morgen hoffentlich zu einer Wahl der Bundestag zusammentreten kann und zusammentreten wird."
Stimmen zum Merz-Debakel gibt es aus der SPD und Union bisher kaum. Das historische Ereignis muss man wohl zunächst sacken lassen. Merz hat sich in seinem Büro mit Kolleg:innen und seinen engsten Vertrauten zurückgezogen, um sich zu beraten.
Unionsfraktionschef Jens Spahn äußert sich optimistisch im Bundestag: "Wir werden als Koalition – Union und SPD – Friedrich Merz erneut für den zweiten Wahlgang vorschlagen". Es sei gemeinsam beschlossen worden, in einen zweiten Wahlgang zu gehen. Wann dieser stattfinden werde, sei aber noch offen.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann schließt aus, dass die Union ihren Kanzlerkandidaten auswechselt. Merz sei "der richtige Kandidat zur richtigen Zeit", sagt er bei Phoenix. Nach einem halben Jahr mit einer Minderheitsregierung nach dem Bruch der Ampel-Koalition brauche Deutschland jetzt "schnell wieder Stabilität".
CSU-Vorsitzende Markus Söder mahnt zur Besonnenheit. "Es ist jetzt der falsche Zeitpunkt zu streiten und gar eine Schuldzuweisung zu machen", meint er nach einer Sitzung seines bayerischen Kabinetts in München. "Es geht jetzt nicht um den Einzelnen, es geht um uns alle."
"Noch ist alles lösbar, noch ist alles heilbar." Der bayerische Ministerpräsident warnt zugleich nachdrücklich vor einem Scheitern von Merz. Dies könne "am Ende ein Vorbote von Weimar sein", sagt Söder. Er spielt damit auf die gescheiterte Weimarer Republik an, auf die in Deutschland 1933 der Nationalsozialismus folgte.
(Mit Material der dpa/afp)