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Atomwaffen: Warum Friedensforscher vor nuklearem Wettrüsten warnen

ARCHIV - 09.08.1945, Japan, Nagasaki: Eine riesige Rauchs
Atompilz über Nagasaki, August 1945. Seitdem wurden Atomwaffen nicht mehr eingesetzt.Bild: AP / Uncredited
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Atomwaffen im Aufwind: Warum das nukleare Risiko heute größer als vor 20 Jahren ist

Die Zahl der Atomwaffen steigt, Abrüstungsverträge bröckeln, neue Technologien verschärfen das Risiko. Friedensforscher:innen sprechen von einem gefährlichen nuklearen Wettrüsten – und die Eskalation zwischen Israel und dem Iran zeigt, wie real die Bedrohung ist.
16.06.2025, 12:1116.06.2025, 12:11
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Abrüstung galt lange als Erfolgsgeschichte der internationalen Politik. Seit den 1980er-Jahren schrumpfte die Zahl der Atomwaffen kontinuierlich. Doch damit ist es vorbei. Laut dem neuen Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri zeichnen sich eine Trendwende und ein gefährliches nukleares Wettrüsten ab.

Forschende warnen vor einer neuen Phase nuklearer Unsicherheit – mit mehr Risiken als in der Vergangenheit. Neue Technologien wie KI und Cyberabwehr könnten die Schwelle zur Eskalation weiter senken. Und während Atomwaffen jahrzehntelang als Abschreckung galten, zeigen Angriffe wie jener auf iranische Atomanlagen: Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit mehr.

Wieso sprechen Friedensforscher von neuem Wettrüsten?

Sipri stellt einen klaren Trend fest: weg von Abrüstung, hin zu Aufrüstung. Die Gesamtzahl der Atomwaffen war seit den 1980er Jahren stark gesunken – vor allem, weil Russland und die USA ausrangierte Sprengköpfe demontierten. Doch diese Entwicklung kehrt sich nun um. Die Zahl der einsatzfähigen Atomwaffen nimmt zu.

Laut Sipri befinden sich fast alle Atomstaaten in intensiven Modernisierungsprogrammen. Bestehende Waffen werden aufgerüstet, neue Versionen kommen hinzu. Gleichzeitig geraten internationale Kontrollmechanismen ins Wanken. Friedensforscher sprechen von einer "Ära der Aufrüstung", begleitet von aggressiverer Rhetorik und wachsender Unsicherheit.

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09.08.1945, Japan, Nagasaki: Überlebende des Atombombenangriffs gehen durch Trümmer.Bild: AP / Uncredited

Wie viele Atomwaffen gibt es derzeit?

Nach Sipri-Schätzungen verfügten die neun bekannten Atommächte – USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel – im Januar 2025 über insgesamt 12.241 Atomsprengköpfe. Davon waren 9614 in militärischen Lagerbeständen, also für den Einsatz vorgesehen.

Etwa 3912 Sprengköpfe sind bereits auf Raketen oder aktiven Stützpunkten stationiert, rund 2100 davon in hoher Alarmbereitschaft. Fast alle dieser sofort einsatzbereiten Sprengköpfe gehören laut Sipri den USA und Russland – doch China könnte inzwischen ebenfalls einige davon auf Raketen halten, auch in Friedenszeiten.

Was macht die Lage heute gefährlicher als früher?

Neben der militärischen Aufrüstung sorgen laut Sipri vor allem neue Technologien für zusätzliche Risiken. Entwicklungen in Bereichen wie künstliche Intelligenz, Cyberabwehr, Quantenphysik, Weltraumtechnik oder Raketenabwehrsystemen verändern die Grundlagen nuklearer Abschreckung.

Sie können Entscheidungsprozesse in Krisenfällen beschleunigen – und erhöhen das Risiko von Fehlkommunikation, technischen Fehlern oder Missverständnissen. Ein nuklearer Schlag könnte dadurch ausgelöst werden, ohne dass eine bewusste Eskalationsentscheidung gefallen ist.

Sipri warnt: In Kombination mit Desinformation und fehlender Transparenz könnte das zu Eskalationen führen, noch bevor diplomatische Kanäle reagieren können. Dan Smith, Direktor von Sipri, betont: Die neuen Technologien machen klassische Abschreckungslogik zunehmend unbrauchbar – "die alten, zahlenbasierten Formeln von Rüstungskontrolle reichen nicht mehr aus".

Wie ist der aktuelle Stand bei internationalen Abrüstungsverträgen?

Mehrere wichtige Abrüstungsverträge wurden in den vergangenen Jahren beendet oder ausgesetzt. Die USA kündigten unter Präsident Donald Trump sowohl den Inf-Vertrag als auch den Open-Skies-Vertrag. Russland reagierte mit dem Ausstieg.

Der letzte noch gültige Vertrag zwischen den USA und Russland, New Start, läuft im Februar 2026 aus. Laut Sipri gibt es aktuell keine Anzeichen für neue Verhandlungen. Damit droht ein Zustand ohne jede vertragliche Begrenzung strategischer Atomwaffen – ein Novum seit Jahrzehnten.

Was ist über den israelischen Angriff auf den Iran bekannt?

Israel hat mehrere Atomanlagen im Iran bombardiert. Getroffen wurden unter anderem Natans, Fordo und Isfahan – zentrale Standorte des iranischen Atomprogramms. Israel begründet die Angriffe mit dem Vorwurf, der Iran strebe "nach dem Bau einer Atombombe in nächster Zeit". Teheran weist das zurück.

In Natans wurden laut israelischer Armee Einrichtungen getroffen, die für den Betrieb des Nuklearprogramms unerlässlich seien – darunter eine mehrstöckige Anreicherungshalle und technische Infrastruktur. Auch Fordo, eine unterirdische Anlage zur Urananreicherung, wurde beschädigt. In Isfahan wurden laut IAEA Labore und Produktionsstätten für metallisches Uran zerstört.

Wie weit ist der Iran mit seinem Atomprogramm?

Trotz der israelischen Angriffe gilt ein Großteil des iranischen Nuklearpotenzials als weiterhin intakt. Laut einem IAEA-Bericht, den Reuters zitiert, betreibt Iran bereits deutlich mehr als 10.000 Zentrifugen in unterirdischen Anlagen bei Natans und Fordo. In der Anlage Fordo wurden 2023 Partikel mit 83,7 Prozent angereichertem Uran entdeckt. Für den Bau einer Atombombe sind etwa 90 Prozent erforderlich. Der Iran spricht von "unbeabsichtigten Schwankungen" während des Anreicherungsprozesses.

HANDOUT - 14.06.2025, Iran, Natans: ARCHIV - Dieses von Maxar Technologies zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt die Uran-Anreicherungsanlage Natans, 135 Meilen südöstlich von Teheran, am Freit ...
Dieses gestellte Satellitenbild zeigt die Uran-Anreicherungsanlage Natans.Bild: Maxar Technologies via AP / -

Der Iran hatte in der Vergangenheit seine Gesprächsbereitschaft über eine Rückkehr zum internationalen Atomabkommen betont. Nach den israelischen Angriffen wurden die indirekten Gespräche mit den USA jedoch ausgesetzt. Teheran macht neue Verhandlungen inzwischen von politischen Bedingungen abhängig.

Welche Länder rüsten derzeit besonders schnell auf?

Neben den USA und Russland rückt vor allem China in den Fokus. Das Land besitzt laut Sipri rund 600 atomare Sprengköpfe – mehr als Frankreich und Großbritannien zusammen.

Seit 2023 wächst das chinesische Arsenal jährlich um etwa 100 neue Sprengköpfe. Sipri schreibt, Chinas Arsenal wachse "schneller als das jedes anderen Landes". Bis Anfang 2025 hat China laut Sipri rund 350 neue Silos für Interkontinentalraketen gebaut oder fast fertiggestellt. Damit könnte China mittelfristig so viele ICBMs wie Russland oder die USA haben.

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Modernisieren auch andere Staaten ihre Atomwaffen?

Ja. Laut Sipri arbeiten fast alle neun Atomwaffenstaaten an der Aufrüstung ihrer Arsenale – teils durch neue Trägersysteme, teils durch mehr Sprengköpfe. Nordkorea verfügt inzwischen über rund 50 einsatzfähige Sprengköpfe und genügend spaltbares Material für bis zu 40 weitere. Das Regime beschleunigt die Produktion weiter. Im November 2024 sprach Machthaber Kim Jong-un laut Sipri von einer "limitlosen" nuklearen Expansion.

Auch Israel – das seine Atomwaffen nicht offiziell bestätigt – modernisiert offenbar sein Arsenal: 2024 wurde ein neuer Raketenantrieb getestet, vermutlich für ein Jericho-System, und das Plutoniumwerk in Dimona wurde aufgerüstet. Indien entwickelt neue mobile Raketen mit mehreren Sprengköpfen, Pakistan baut seine Trägersysteme ebenfalls aus.

Denken noch mehr Staaten über Atomwaffen nach?

Sipri beobachtet neue Debatten über nukleare Bewaffnung oder Teilhabe in mehreren Regionen – etwa im Nahen Osten, Ostasien und Europa. Frankreichs Präsident Macron hat erneut betont, seine Nuklearwaffen sollten auch eine "europäische Dimension" haben. Einige Nato-Staaten signalisierten Bereitschaft, US-Waffen aufzunehmen. Russland wiederum erklärte 2024, Atomwaffen in Belarus stationiert zu haben.

Verhindern Atomwaffen eigentlich Konflikte?

Nicht unbedingt. Sipri-Forscher Matt Korda verweist auf die Eskalation zwischen Indien und Pakistan im Frühjahr 2025. Trotz beidseitiger Nuklearbewaffnung sei es beinahe zu einer konventionellen militärischen Konfrontation gekommen.

Erst Mitte Mai kam es zu einer Waffenruhe. Korda warnt: "Atomwaffen können Konflikte nicht verhindern." Sie seien keine Garantie für Stabilität – im Gegenteil: In einem angespannten Umfeld können sie Eskalationen sogar wahrscheinlicher machen.

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