Dass die politische Landschaft in Deutschland auf der Kippe steht, zeigt sich mit der gescheiterten Kanzlerwahl von Friedrich Merz am Dienstag im Bundestags einmal mehr: Obwohl die Union als größte Oppositionspartei eine starke Kandidatur aufgestellt hatte, scheiterte der CDU-Vorsitzende im ersten Wahlgang. In der Form ist es ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Noch nie war nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag gescheitert.
Die Stimmung in der schwarz-roten Koalition, die sich nach den Wahlen von 2021 wieder formiert, könnte durch das Scheitern Merz’ beeinflusst werden. Doch Deutschland bleibt nicht führungslos. Das Grundgesetz sieht klare Regeln vor, wie mit einem gescheiterten ersten Wahlgang umzugehen ist. Was nun folgt und welche Optionen Friedrich Merz sowie andere Kandidaten haben, liest du hier.
Friedrich Merz konnte die erforderlichen 316 Stimmen im Bundestag nicht erreichen. Mit 310 Ja-Stimmen war er (zu) weit von der notwendigen Mehrheit entfernt. Besonders schmerzhaft: Laut Reuters haben mindestens 18 Abgeordnete aus der Koalition ihre Unterstützung für Merz verweigert oder sich enthalten.
In der politischen Analyse wird dies als deutliches Signal verstanden, dass Merz innerhalb der Koalition und bei den Abgeordneten nicht die nötige Unterstützung hat, um die Kanzlerschaft zu übernehmen.
Obwohl Friedrich Merz im ersten Wahlgang gescheitert ist, bleibt er nach wie vor einer der favorisierten Kandidaten für das Kanzleramt. Auch wenn er die erforderliche Mehrheit im ersten Anlauf nicht erreichen konnte, ist es möglich, dass er im zweiten Wahlgang mehr Unterstützung erhält.
Sollte dies nicht der Fall sein, könnte auch ein anderer Kandidat ins Rennen gehen – jedoch bleibt Merz bislang der wahrscheinlichste Kanzlerkandidat, da er von der Union als führender Kandidat aufgestellt wurde. Es hängt nun entscheidend davon ab, wie die kommenden Verhandlungen und Wahlgänge verlaufen.
Nach dem Misserfolg im ersten Wahlgang hat der Bundestag nun zwei Wochen Zeit, um eine:n Kanzler:in zu wählen. In dieser Frist können beliebig viele Wahlgänge stattfinden, und der Kandidat muss erneut die absolute Mehrheit von 316 Stimmen erhalten.
Die Fraktionen beraten nun, wie sie weiter vorgehen wollen. Am frühen Dienstagnachmittag wurde bekannt, dass es noch heute einen zweiten Wahlgang im Bundestag geben soll. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Fraktionskreisen. Laut "Bild" um 15:15 Uhr. Will Merz angestrebten Kanzleramt festhalten, muss er die erforderlichen Stimmen zu bekommen.
Falls auch im zweiten Wahlgang keine Kanzlermehrheit erzielt wird, sinkt die Hürde für die Wahl: Dann reicht für eine:n Kandidat:in bereits die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Das bedeutet, dass ein:e Kandidat:in auch mit weniger als 316 Stimmen gewählt werden kann, wenn er die Mehrheit der Stimmen erhält.
Erreicht ein Kandidat im dritten Wahlgang nicht die Kanzlermehrheit, kann der Bundespräsident eingreifen. Sollte der oder die Kandidat:in mit der einfachen Mehrheit gewählt werden, hat der Präsident die Möglichkeit, ihn zu ernennen, auch wenn die Kanzlermehrheit von 316 Stimmen nicht erreicht wurde. Alternativ kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen und Neuwahlen ansetzen, wenn er dies für notwendig hält.
Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte erklärte, dass das Scheitern Merz’ einen Dämpfer für die schwarz-rote Koalition darstellt. "Die Startmöglichkeiten für ihn, mit vielleicht auch Zauber des Anfangs daherzukommen, die sind verpufft", sagte Korte im TV-Sender Phoenix. Dennoch sei auch nach einem möglichen zweiten oder dritten Wahlgang eine stabile Regierung möglich. Korte betonte, dass die Wähler:innen "Dinge auch schnell vergessen" und erste politische Erfolge bis Herbst die Situation entschärfen könnten.
(Mit Material von dpa)