Freiburg hat gewählt. Aber die Niederlage des grünen Amtsinhabers Dieter Salomon gegen den bis dahin völlig unbekannten parteilosen Herausforderer Martin Horn fand weit über die Stadt Aufmerksamkeit. Schließlich war Salomon 2002 der erste grüne Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt. "Grünen-Dämmerung" hieß es noch am Wahlabend voreilig auf Twitter - eine Kommunalwahl und ihre überregionalen Folgen.
Wie war das mit der neuen Freiburger Schule?
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Freiburg ist eine Universitätsstadt, die Stadt mit der jüngsten Wählerstruktur in Deutschland. Und die Fußballer des Herren-Fußballbundesligisten SC Freiburg nennen sie die Breisgau-Brasilianer. Akademisch, urban, weltoffen - klassisches Grünen-Gebiet also.
Salomons Niederlage bei der OB-Wahl trifft die Partei also hart. Aber sie hat doch auch reichliche kommunale Gründe (Wohnungsnot sowie steigenden Mieten) und einen personellen: Salomon, 54, wirkte nach 16 Jahren im Amt reichlich abgehoben. "Praktikant" nannte er den Herausforderer Martin Horn im Wahlkampf. Arroganz kommt nie gut.
Der Grüne Salomon wurde zwar von der CDU unterstützt. Vom linken Flügel der Öko-Bewegung kam aber Widerstand. Die ehemalige Grünen-Stadträtin Monika Stein holte vergleichsweise starke 24,1 Prozent der Stimmen. Rang 3 hinter Salomon (30,2 Prozent) und Wahlsieger Martin Horn (44,2 Prozent). "Die alten Flügelkämpfe brachen wieder auf", analysierte Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung in Freiburg.
Salomon kündigte seinen Rückzug aus der Politik an. Nichts also mit einer möglichen Nachfolge des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in Stuttgart.
Und der politische Fallout für Kretschmann?
Als König im Fasching, aber auch sonst ziemlich monarchisch: Winfried Kretschmann, Deutschlands erster grüner Ministerpräsident.Bild: dpa
Seit 2011 regiert der Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Zuerst mit der SPD, seit 2016 mit der CDU. Das Polit-Labor Freiburg war das Vorzeige-Projekt von Schwarz-Grün.
Aber Schwarz-Grün kriselt ohnehin. Eine mögliche Bundespräsidentenkandidatur mit Signalwirkung hatte Kretschmann im Vorjahr abgelehnt. Nach der Bundestagswahl 2017 stoppte die FDP Jamaika. Wird eng für die Grünen.
Im Bund setzt der neue Grünen-Chef Robert Habeck eher auf das Modell Emmanuel Macron, eine offene Bewegungspartei als Sammelbecken der Polit-Frustrierten im Spektrum Mitte-Links.
Leuchte des Nordens
Kretschmann fällt zurück auf den Status des Landespolitikers. Die neue Grünen-Lichtgestalt kommt aus dem Norden: Robert Habeck.
Die Chancen stehen gut. Die SPD muss sich unter der neuen Vorsitzenden Andrea Nahles erst finden. Die Linke ist zu sehr mit sich und dem internen Ost-West-Konflikt beschäftigt. Er verspüre "geradezu eine Abenteuerlust", sagte Habeck im Interview mit dem Wochenblatt "Die Zeit".
Die Grünen haben also eine neue Lichtgestalt. Robert Habeck. Kretschmann fällt zurück auf den Status des Landespolitikers. Und dort sind die Mühen mit dem Koalitionspartner CDU schwer genug.
Die Grünen
ließen zuletzt die CDU-Abgeordnete Sabine Kurtz im ersten Wahlgang als
Landtags-Vizepräsidentin durchfallen, weil diese die Homo-Ehe ablehnt.
Die CDU verweigert sich einer verabredeten Reform
des Wahlrechts, weil sie Nachteile fürchtet.
Der Mann (von der CDU) an Kretschmanns Seite
SPD und FDP boten sich der CDU schon mal als neue Koalitionspartner an. "Deutschland-Koalition" nennt sich das schwarz-rot-gelbe Bündnis, ganz so, als müsse man das Land vor den Grünen retten.
Kretschmann taugt aber nicht zum bürgerlichen Schreckgespenst. Zu konservativ. Und die CDU würde mit Schwarz-Rot-Gelb gerne auch den eigenen Landeschef Thomas Strobl entsorgen. Grün-Schwarz rettet also beide.
Eine Botschaft hat Salomons Niederlage dann aber doch. Der Amtsbonus bringt nichts, wenn der Amtsinhaber bräsig auftritt.
Hat nicht ganz geklappt
Dieter Salomon fällt also möglicher Nachfolgekandidat für Kretschmann aus. Bleibt Cem Özdemir. Der ehemalige Grünen-Chef hat sich im Bundestag schon mal den Vorsitz im Verkehrsausschuss gesichert. Sehr strategisch. Und sehr klug. Elektromobilität, Verkehrswende - alles Zukunftsthemen für das Autobauerbland Baden-Württemberg.
Und gibt es außer Horn noch weitere Sieger?
Rote Interpretationen
Die SPD feierte sich natürlich. Schließlich kam sie auf die Idee den parteilosen Martin Horn in Freiburg ins Rennen zu schicken. Später fand er auch Unterstützung von der FDP.
Die baden-württembergische SPD-Generalsekretärin Luisa Boos erklärte, nach 16 Jahren sei «der Prototyp des grünen Aufstiegs in Baden-Württemberg abgewählt» worden. Dies sei auch ein «Signal für die Landespolitik».
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch erklärte, nun bestehe «die Chance, dass wieder alle Menschen im Mittelpunkt der Kommunalpolitik» stünden. «Mit einem Oberbürgermeister, der die Sorgen der Menschen, etw um bezahlbaren Wohnraum, ernst nimmt und auch in politisches Handeln umsetzt.» Auch in der Landespolitik müsse «der Stillstand und die Klientelpolitik unter Grün-Schwarz» beendet werden, forderte Stoch.
Kräftige Worte. Aber die SPD hat sonst nichts zu feiern. Landesweit liegt sie in Baden-Württemberg bei 12 Prozent. Und auch Wahlsieger Martin Horn kündigte an, er werde den Sozialdemokraten nicht beitreten.
Also alles prima in Kretschmann-Country?
Nicht ganz. Salomon baute Freiburg auf zum weltweit beachteten Vorbild einer nachhaltigen Stadt. Schließlich gilt hier das ökolibertäre Credo der
neuen Freiburger Schule: Die Welt verändern durch bewussten Konsum.
Diese Formel hat Risse bekommen in einer Stadt, in der die Wohnungsnot das dringlichste Wahlkampfthema war. Klingt nicht gut für die Grünen als Partei des urbanen Lebensgefühls.
Der Philosoph Dieter Thomä fasste das Ganze so zusammen.
Der Erhalt
der Schöpfung hat etwas Strukturkonservatives. Aber im Rückblick auf 68 ist die
Formel "Das Private ist politisch" ja oft auch belächelt worden. Die
Grünen haben aber heute mit einem anderen Problem zu kämpfen: der
Privatisierung des Politischen. Reicht die Mülltrennung daheim oder dass ich in
meinem Garten kein Glyphosat mehr verwende? Es fehlt den heutigen Grünen an der
Ambition zur Repolitisierung.
Und so ist Freiburg durch ein bisschen mehr als nur eine Kommunalwahl.
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