Marie sucht eigentlich gerade nach Literatur für ihr Studium, als sie die Worte "Atomwaffen Division" findet.
Sie stehen auf dicken Flyern in der zweiten Bücherregalreihe der Abteilung für Rechts- und Staatsphilosophie. Unbekannte haben sie auf die Sammelbände der Universität gelegt. "Ein weiterer steckte zwischen den Büchern, die vorsortiert auf einem Wagen lagen", erzählt Marie watson. Insgesamt sammelt die Studentin am Donnerstag fünf dieser Flugblätter im Grimm-Institut der Humboldt Universität in Berlin ein, sie macht Fotos und übergibt die Papiere der Studienverwaltung.
Darauf abgedruckt ist das Bild zweier uniformierter Männer in Tarnkleidung, sie tragen Totenkopf-Masken und Sturmgewehre. Über ihnen steht eine E-Mail-Adresse. Aber dabei bleibt es nicht. Marie findet auch einen Brief, adressiert ist er an die "Deutschen Studenten".
"Mißbraucht euren Geist nicht länger in den Diensten der Volksfeinde!", steht da. Und: "Studenten, bereitet euch vor auf den Bürgerkrieg! (...) folgt der Atomwaffen Division."
Über dem Brief prangt groß ein Wappen mit Atomsymbol, das Erkennungszeichen besagter Division, und ein Hakenkreuz. Die Nummer 41 am Kopfende deutet auf zahlreiche weitere Flyer hin, die noch immer in Berliner Uni-Bibliotheken zwischen den Büchern stecken könnten.
Wer steckt hinter der "Atomwaffen Division"?
Man könnte die Flugblätter als das Werk einiger Verrückter abtun und läge damit sicher richtig. Die professionelle Aufmachung der Briefe und die Bezugnahme auf die US-Neonazi-Gruppe "Atomwaffen Division" lässt dennoch aufhorchen.
Die "New York Times" hat Anfang 2018 ausführlich über die Organisation aus Florida und Texas berichtet.
Sie existiert seit knapp vier Jahren, über die Größe streiten sich Experten. Die Recherche-Plattform ProPublica geht von rund 80
Kernmitgliedern in den USA aus.
Über die breite Unterstützung der Gruppe in rechtsradikalen Kreisen sagt diese Zahl nur wenig aus.
In Amerika sind AWD-Mitglieder für fünf Morde und einen geplanten Terroranschlag auf ein Kraftwerk verurteilt worden.
Klar ist: Die "Atomwaffen Division" will schockieren, alleine ihr Name zeigt das. In Internetvideos präsentieren sich rechtsradikale Mitglieder als schwerbewaffnete Para-Militärs, die sich in sogenannten "Hatecamps" ausbilden lassen. Immer geht es dabei um den Krieg der Weißen Rasse gegen die Fremden. Vorbilder sind Terrorgruppen wie der IS oder Einzeltäter wie der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik. Letzterer hatte 2011 bei Anschlägen in Oslo und auf ein Jugendzeltlager auf der Insel Utøya insgesamt 77 Menschen getötet.
Im Juni tauchte dann auch in Deutschland ein Video auf, Titel: "AWD Deutschland: Die Messer werden schon gewetzt“ – darin sagt eine mit Computer-verstellte Stimme Sätze auf wie: "Wir bereiten uns auf den langen, letzten Kampf in Trümmern vor, der bald kommen wird". (Lest hier im Detail die Hintergrundgeschichte der US-AWD)
Auf eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag gestand auch die Regierung ein, von der neonazistischen Gruppierung zu wissen. Wie groß sie allerdings sei, und ob eine echte Gefahr von ihr ausgehe, könne man derzeit nicht beantworten.
Wie gefährlich sind die Flyer?
Die Flyer bezeugen zum zweiten Mal, dass die Gruppe in Deutschland in Erscheinung tritt. Die Humboldt-Universität bestätigte ihren Fund gegenüber watson und will sich umgehend intern um die Sache kümmern. Politische Inhalte, so hieß es, würden natürlich öfter in Uni-Bibliotheken auftauchen, aber der Fall müsse gesondert untersucht werden.
Das LKA Berlin teilte auf Anfrage mit, es sei bisher keine Strafanzeige erstattet worden. Ein Ermittler des Staatsschutzes sagte gegenüber watson außerdem: "Es ist schwierig einzuschätzen, ob solche Flyer schon öfter verteilt worden sind, weil es beim Staatsschutz keine eigene Unterkategorie für solche Fälle gibt." Die "Atomwaffen Division" war dem Ermittler aber durchaus ein Begriff.
Wir haben auch mit "Register Berlin" gesprochen, die seit 10 Jahren rechtsextreme Vorfälle in der Stadt erfasst. Den aktuellen Fall hat sich eine Expertin der Organisation bereits angesehen.
Sie sagt:
"Solche Flugblätter-Aktionen hat es kurz nach der Enttarnung des NSU gegeben, seitdem sind sie aber selten geworden."
watson
Sie rät, die Briefe durchaus ernst zu nehmen. "Normalerweise würde man sowas als irre abstempeln, aber die Sprache, Qualität und der Realitätsbezug der Briefe machen sie authentisch und gefährlich."
Dazu komme, dass die Flyer vermutlich bewusst im Vorfeld des 9. Novembers platziert wurden, an dem sich der Reichspogrom der jüdischen Bevölkerung zum 80sten mal jährt. Das alles, so schätzt es das Register Berlin ein, klingt nach einer "geplanten Aktion aus dem Bereich Rechtsterrorismus, wie wir sie selten so öffentlich erleben."
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