Erstmals liegt die AfD in einer bundesweiten Umfrage vor der Union – und damit auf Platz 1. Laut einer aktuellen Erhebung des Instituts Ipsos erreicht die AfD 25 Prozent – ein Plus von mehr als vier Punkten im Vergleich zur Bundestagswahl im Februar. Die CDU/CSU fällt auf 24 Prozent zurück.
Bei der Bundestagswahl hatte die Union mit 28,5 Prozent deutlich vorne gelegen, die AfD lag bei 20,8 Prozent.
Auch andere Umfragen bestätigen den Trend: Bei Insa für die "Bild" liegt die AfD gleichauf mit der Union. Im "Trendbarometer" von RTL und ntv liegt sie nur knapp dahinter. SPD, Grüne und Linke kommen in der Ipsos-Umfrage auf 15, 11 und 8 Prozent – mit jeweils leichtem Minus. Doch warum kommt die AfD gerade jetzt an den Spitzenplatz? Und wie ernst sollte man dieses Ergebnis nehmen?
"Die Umfragewerte sind auch das Ergebnis der Umbruchszeit, in der wir uns gerade befinden", sagt der Politikberater Johannes Hillje auf Anfrage von watson. Die alte Bundesregierung sei nur noch geschäftsführend im Amt, die neue Koalition habe noch nicht mit der Arbeit begonnen. "Wir befinden uns in einer politischen Transitphase. Deswegen darf man die Umfrageergebnisse nicht überbewerten", sagt Hillje.
Klar ist: Wahlumfragen spiegeln lediglich ein Stimmungsbild zum Zeitpunkt der Befragung wider. Die Ipsos-Erhebung basiert auf den Antworten von 1000 Personen, befragt am 4. und 5. April. Die statistische Fehlertoleranz liegt zwischen 1,4 und 3,1 Prozentpunkten.
Dazu kommt: Immer mehr Menschen entscheiden sich erst kurz vor der Wahl, wem sie ihre Stimme geben. Die Parteibindung sinkt, spontane Wechsel sind die Regel. Heißt: Die aktuelle Erhebung zeigt vor allem eins – wie offen und umkämpft die politische Stimmung in Deutschland gerade ist.
Dennoch sieht Hillje die Verantwortung für den aktuellen Absturz der Union nicht nur in der allgemeinen Lage: "Teilweise steht die Erregung über aktuelle Umfragewerte in keinem Verhältnis zum Zeitpunkt. Andererseits hängen sie auch mit Merz‘ strategischen und kommunikativen Fehlern zusammen."
Konkret wirft Hillje dem Unionschef vor, den Kurswechsel in der Finanzpolitik nicht ausreichend erklärt zu haben. Vor allem sei problematisch gewesen, dass Merz so getan habe, als habe er diese Haltung schon vor der Wahl vertreten. "Den Vorwurf des Wortbruchs konnte er nicht entkräften", erklärt der Politikberater.
Hinzu kommt ein weiterer Punkt, der aus Sicht von Hillje die Schwäche der Union mitverursacht hat: "Entgegen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen hat Friedrich Merz versucht, die AfD durch Annäherung zu schwächen. Diese Strategie war zum Scheitern verurteilt."
Am Mittwoch, kurz vor der Präsentation des Koalitionsvertrages von Union und SPD, mahnte Hillje an, dass das nicht reicht. Für ihn ist klar: "Ich glaube: Union und SPD sollten nicht nur einen Koalitionsvertrag vorstellen, sondern auch eine sinn- und hoffnungsstiftende Idee fürs Land."