Künftig wollen die Jusos Berlin nur noch von "religiös-begründetem Extremismus" reden – ohne Bezug zu einer konkreten Religion. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Berliner Landesverband der SPD-Nachwuchsorganisation bei einer Delegiertenversammlung.
Die begriffliche Nähe zwischen Islam und Islamismus sei ein Problem, heißt es in dem Beschluss vom vergangenen Samstag. "Dadurch entsteht ein Bild, bei dem der Islam als solcher problematisiert und mit Negativität assoziiert wird." Eine ganze Religion werde stigmatisiert.
Zudem würden als Muslime gelesene Menschen unter Generalverdacht gestellt – sie stünden permanent unter Druck, sich von Extremismus etwa der Hamas oder des Islamischen Staats (IS) zu distanzieren. Folge sei auch ein Erstarken von antimuslimischem Rassismus.
Grünen-Politiker Cem Özdemir, derzeit geschäftsführender Landwirtschafts- und Bildungsminister, zeige sich grundsätzlich zwar offen für eine Alternative zum Begriff "Islamismus", wie er am Dienstag erklärte. Gleichzeitig warnte er aber davor, dass der "Streit um den Begriff" das eigentliche Problem überlagert.
Der Minister erinnerte an die Debatte über sogenannte Clankriminalität. "Irgendwann redet man mehr darüber, wie man die Clans nennt, anstatt darüber, dass man die Clans mal entschieden bekämpft. Und das darf bitte schön nicht der Fall sein."
Neben Özdemir äußerte sich auch Terrorismusexperte Peter Neumann vom King's College in London offen. Er sagte bei dem gemeinsamen Auftritt mit Özdemir, er kenne die Debatte seit 20 Jahren – die Alternativvorschläge, die es bisher gebe, hätten ihn bisher aber nicht überzeugt.
Der Begriff beschreibe das Problem laut Neumann relativ gut. "Bei Islamismus geht es darum, dass aus einem Glauben, aus einer Religion, eine politische Ideologie abgeleitet wird", sagte Neumann.
Kritik an dem Beschluss, über den zuerst der "Tagesspiegel" berichtet hatte, kam von der CDU. "Probleme kann man nicht lösen, indem man sie unkenntlich macht", sagte der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Burkard Dregger, der Deutschen Presse-Agentur.
"Voraussetzung für die Lösung von Problemen ist es, sie klar zu benennen." Die begriffliche Nähe des Wortes Islamismus zum Islam sei unabdingbar für eine zutreffende Bezeichnung dieses Extremismus-Phänomens. Weiter sagte Dregger:
Der Extremismusforscher Julian Junk findet, es sei klar, was mit dem Begriff "Islamismus gemeint sei. Im Gespräch mit muslimischen Gemeinschaften würden andere Begriffe wie "radikaler Islam" oder "politischer Islam" als wesentlich problematischer empfunden.
Islamismus-Forscherin Susanne Schröter, Direktorin des "Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam" klagte bei Welt TV, die Jusos würden "eine bekannte Methode" linker Organisationen anwenden, um "das Problem des islamischen Extremismus wegzumoderieren, indem man nicht mehr darüber spricht, indem man plötzlich andere Begriffe verwendet".
Die Berliner Juso-Landesvorsitzende Svenja Diedrich, die den Verband gemeinsam mit Kari Lenke führt, sprach angesichts der Diskussion von "viel Lärm um nichts". Ziel des mit breiter Mehrheit gefassten Beschlusses sei ein Abbau von Diskriminierung in der Verbandsarbeit, sagte sie der dpa. Es handele sich nicht um ein Verbot: "Alle Leute dürfen weiter sagen, was sie wollen."
Extremismus, der sich auf Religionen berufe, müsse bekämpft werden – allerdings ohne "rassistische Narrative und Stigmatisierung", heißt es im Beschluss der Berliner Jusos weiter.
Es dürften "keine weiteren Vorurteile gegenüber dem Islam geschürt" werden. Der neue Begriff des "religiös-begründeten Extremismus" solle etwa für Anträge und Debatten im Verband gelten.
Das Bundesforschungsministerium hat nach Angaben Özdemirs derweil in den vergangenen fünf Jahren 15 Millionen Euro für Projekte in dem Bereich bereitgestellt. Ab dem kommenden Jahr sollen es für weitere Islamismus-Forschungsvorhaben erneut bis zu 15 Millionen sein.
Projektskizzen könnten ab sofort eingereicht werden. Antragsberechtigt sind Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Vereine und Verbände.
Laut Definition der Bundeszentrale für politische Bildung ist Ziel des Islamismus ein islamischer "Gottesstaat" mit strengen Regeln für alle Lebensbereiche nach islamischer Gesetzgebung, der sogenannten Scharia. "Der Islamismus steht im Widerspruch zu wichtigen demokratischen Grundsätzen."
Dazu gehörten freie Wahlen und eine ständige Veränderung unterworfene Gesetzgebung. Das Bundesinnenministerium definiert Islamismus als Form von Extremismus, die unter Berufung auf den Islam auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Deutschland abziele.
(dr/dpa)