Vom Flughafen in Karlsruhe schieben die deutschen Behörden ab, mit farbigen Überschriften sind Datum und Uhrzeiten gut dokumentiert. Die Ziele heißen: Kosovo, Serbien, Albanien. Aktivisten haben diese Infos veröffentlicht.
Die Tabellen dienen der Warnung. Organisationen wie die "Aktion Bleiberecht" aus Freiburg oder auch die Flüchtlingsräte in den Bundesländern stellen sie zusammen. Sie wollen damit Betroffenen ermöglichen, der Polizei aus dem Weg zu gehen, bevor die Beamten zwecks Abschiebung vor der Haustüre stehen.
Die Listen haben Konfliktpotential bis in die Politik hinein. Das bayerische Innenministerium etwa beschwerte sich im vergangenen Jahr bitterlich über die Warnungen und sprach von einer "Hilfe zum Untertauchen" für Menschen, die Deutschland eigentlich verlassen müssten. Die Sitze von angemieteten Flugzeugen nach Afghanistan würden wegen der Helfer halb leer bleiben, lautete der Vorwurf. (Welt)
Auch das Innenministerium in Baden Württemberg rechnet aktuell auf: Von Anfang 2017 bis Ende Mai 2018 scheiterten fast 4900 der 8030 geplanten Abschiebungen aus Baden-Württemberg. Ein Großteil, weil die Abschiebepflichtigen schlicht nicht Zuhause waren, als die Polizei klingelte. (Stuttgarter Nachrichten).
Ein Sprecher sagte gegenüber watson: "Durch
eine Veröffentlichung von Terminen können Abschiebungen erschwert oder gar
verhindert werden. Deshalb haben wir dafür absolut kein Verständnis und sehen
das mehr als kritisch."
Die Flüchtlingshelfer selbst sehen in ihrer Arbeit den zivilen Ungehorsam gegen eine ungerechte Asylpolitik. "Jeder Deutsche muss von einem Behördengang in Kenntnis gesetzt werden", argumentiert ein Flüchtlingshelfer gegenüber watson, "bei Menschen, die abgeschoben werden sollen, ist das dann plötzlich nicht mehr der Fall."
Es war vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" in diesen Streit einmischen musste.
Deren Innenpolitiker machen allerdings gar nicht die Helfer, sondern die Beamten des Staats selbst verantwortlich – sie erstatteten im August in Karlsruhe sogar Strafanzeige gegen Unbekannt.
Die AfD BaWü begründete ihre Anzeige dabei wie folgt: Es gebe offenkundig eine undichte Stelle in einer der zuständigen Behörden. Jemand müsse da Geheimsverrat begehen und eigentlich geheime Abschiebetermine mit den Hilfsorganisationen teilen.
Selbst nachdem die Staatsanwaltschaft in Karlsruhe sich in dieser Woche gegen Ermittlungen entschieden hat, weil die AfD-Vorwürfe nicht einmal für einen Anfangsverdacht reichen, sehen sich die Abgeordneten noch immer im Recht.
Dazu muss man wissen: Die AfD benutzt gerne das Instrument der Klage, um Öffentlichkeit für ihre Partei und deren einziges Kernthema "Asylpolitik" zu schaffen. Passend dazu will sie gerade auch die Bundesregierung wegen derer Flüchtlingspolitik vor das Bundesverfassungsgericht bringen. (tagesschau.de)
Hätten die Innenexperten der AfD ein Telefon in die Hand genommen und bei den Flüchtlingsräten angerufen, hätte man ihnen dort wohl gerne erklärt, wie die Warnlisten zustandekommen. Mit verschwörerischen Beziehungen zu Beamten jedenfalls hat die Arbeit der Helfer vermutlich kaum etwas zu tun.
Das Online-Warnsystem der Flüchtlingsräte hat nur wenig Geheimnisvolles.
Die so erhaltenen Daten und Orte würden die Anwälte häufig an die Aktivistengruppen weitergeben. Die wiederum fassen die Informationen zusammen und rechnen die Wahrscheinlichkeiten auf.
Die Logik dahinter: Selten gibt es einzelne Abschiebungen, normalerweise sind sie Teil groß angelegter Abholaktionen. Wird also eine betroffene Person an Tag X abgeholt, um nach Afghanistan abgeschoben zu werden, dann droht auch allen anderen Betroffenen an diesem Tag der Behördenbesuch.
In Bayern, so erklärt auch Alexander Thal vom dortigen Flüchtlingsrat gegenüber watson, gebe es schlicht feste Abläufe für die Abschiebungen, mit denen die Aktivisten arbeiten können.
Seit Jahren kennen die Aktivisten diese Prozesse. Sie arbeiten mit Freiwilligen zusammen, die über Einzelfälle berichten, Anwälte teilen ihre Informationen mit den Helfern. "Unsere Treffsicherheit ist mit der Zeit wirklich gut geworden", sagt Thal. Auch in anderen Bundesländern laufe die Arbeit in dieser Weise.
Zur Frage, ob es Kontakte in die Ministerien gebe, antwortet Thal: "Wer sich Verschwörungstheorien zurechtzimmern will, dass es da irgend eine Zusammenarbeit gibt, kann das gerne tun. Quatsch bleiben sie trotzdem."