Wer in den vergangenen Jahren die Nachrichten verfolgt hat, kommt eigentlich kaum um das Bild eines wirtschaftlich zerstörten Deutschlands drumherum. "Früher war alles besser", beginnt es selbst in den Köpfen mancher Millennials zu tönen.
Zwar sinkt die Inflationsrate aktuell wieder, die Stimmung unter Verbraucher:innen bleibt allerdings angespannt, auch die politische Lage wirkt für viele nur noch wenig hoffnungsvoll. Aber woher kommt der plötzliche Wandel? War nicht gerade noch alles gut?
Eine aktuelle Untersuchung zeigt, warum sich die Vorzeigestellung Deutschlands in den vergangenen Jahren derart verändert hat.
Dem Bericht zufolge handelt es sich bei der wirtschaftlichen und politischen Schieflage nämlich keineswegs um eine plötzliche Entwicklung. "Viele strukturelle Probleme reichen bis in die Merkel-Jahre zurück", erklären die Forscher:innen. Die zugehörige Untersuchung wurde von der Berliner Privatuniversität Hertie School in Zusammenarbeit mit der University of California (UCLA) sowie dem Thinktank Berggruen Institut durchgeführt.
Ausgehend von dem Image des "cool Germany" in der Vergangenheit arbeiteten die Autor:innen der Studie verschiedene Kriterien ab. An Aspekten wie der demokratischen Kontrolle im Land lässt sich demnach ablesen, dass der Vertrauensverlust in Deutschland seit 2012 schleichend kam und nicht durch ein spezifisches politisches Ereignis bedingt war.
Zwar schreibt der Bericht Deutschland bei allen Kriterien im internationalen Vergleich noch immer hohe Richtwerte zu. Dennoch lässt sich der anhaltende Abwärtstrend der Wirtschaft demnach auf drei langfristige und ein kurzfristiges Grundproblem herunterbrechen.
Zum einen sehen auch die Forschenden ein aktuelles Problem als Motor für die gefühlte Ungleichheit in Deutschland: die Migration. "Tatsächlich ist Zuwanderung kein soziales Problem, sondern eine wesentliche Voraussetzung für das künftige Wirtschaftswachstum in Deutschland", heißt es im Bericht.
Zukünftige Regierungen müssten demnach langfristige Strategien für Zuwanderung entwickeln. Das Zusammenspiel aus Fachkräftemangel und migrationsfeindlicher Rhetorik erschwere einerseits die Integration in Deutschland, andererseits aber eben auch wirtschaftliche Gewinne.
Ähnlich ist es bei der Verteidigung. Die Studie vom Berggruen Institut stellt heraus, dass Deutschland zu lange von anderen Staaten abhängig gewesen sei. Seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine falle dies in den Bereichen Energie und Verteidigung besonders in Auge. "Die Vorbereitung Deutschlands ist nach wie vor unzureichend, eine umfassende Reform des Militärs wird wahrscheinlich Jahre dauern", erklären die Autor:innen mit Blick auf die Bundeswehr.
Was es hier braucht, deckt sich mit dem dritten Problem der deutschen Wirtschaft: der gelähmten Investitionsbereitschaft. Durch die Schuldenbremse und die generelle Vorsicht der 2010er-Jahre wurden Bereiche wie Verkehr und Digitalisierung demnach zu lange hinten angestellt.
Bei der gesamtstaatlichen Digitalisierung etwa liegt Deutschland laut Zahlen der Europäischen Union unter dem EU-Durchschnitt.
All diese Probleme führen der Untersuchung zufolge zu einem kurzfristigen Problem, das aktueller ist denn je. "Insgesamt herrscht eine tiefe Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Leistung, was zu schlechten Zustimmungswerten für die Regierungsparteien führt", erklären die Forschenden.
Anhaltende Krisen und unerwartete Ereignisse wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg hätten das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung geschwächt. Den Autor:innen zufolge ist damit ein hoher Stimmanteil für die CDU bei der Bundestagswahl 2025 sehr wahrscheinlich.
"Auf den ersten Blick mag eine erneute 'Große Koalition' wie eine Rückkehr zu den stabilen Merkel-Jahren erscheinen", heißt es zum Abschluss des Berichts. "Doch würde dies die viel tieferen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Brüche verdecken."