Knapp drei Jahre lang hat sich Angela Merkel fast vollständig aus dem politischen Geschehen der CDU herausgehalten. Selbst als sie ihr neues Buch im vergangenen Jahr herausbrachte, wollte sich die Altkanzlerin, die eigenhändig dafür gesorgt hat, dass Friedrich Merz' Karriere bei den Christdemokraten vor mehr als 20 Jahren an ein jähes Ende gekommen war, zu keiner klaren Äußerung hinreißen lassen.
Das änderte sich mit dem vergangenen Mittwoch. Friedrich Merz hatte einen Fünf-Punkte-Plan zur Eindämmung der Migration als Entschließungsantrag in den Bundestag gebracht – und erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein Antrag aufgrund von Stimmen der AfD verabschiedet worden. Daraufhin brach Merkel ihr Schweigen.
Sie halte es für "falsch", "sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen", teilte sie in einer Erklärung ihres Büros mit. Sie forderte stattdessen eine Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien.
Merkel kritisierte, dass Merz sich damit nicht mehr an Äußerungen aus dem November gebunden fühle, vor der Wahl keine Abstimmungen herbeizuführen, die "zufällige oder tatsächlich herbeigeführte" Mehrheiten mit der AfD erforderten.
Mit der innerparteilichen Kritik an Merz ist Merkel nicht allein. Der "Tagesspiegel" zitiert ein anonymes Mitglied der erweiterten Parteiführung, das meinte: "Die CDU steht vor einem Scherbenhaufen." Die Befürchtungen gehen sogar so weit, dass nicht einmal mehr sicher davon ausgegangen werde, dass man die Bundestagswahl für sich entscheide.
Merz habe sich von CSU-Chef Markus Söder, dessen Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und seinem eigenen Generalsekretär Carsten Linnemann in die Ecke drängen lassen. "Seine Affekthandlung hat die CDU in eine existenzielle Krise gestürzt." Merz habe "die Tragweite seiner einsamen Entscheidung völlig unterschätzt".
Nach dem Tabubruch von Friedrich Merz mehrt sich die Kritik in den eigenen Reihen – wenn auch überwiegend im Schutze der Anonymität. Die Frage ist, ob Merz' Kalkül aufgeht. Kann er mit der ostentativ vorgetragenen Entschlossenheit in Sachen Migration tatsächlich Wähler:innen von der AfD zur CDU holen? Oder fühlen sich liberalere Konservative nicht eher von der gemeinsamen Abstimmung abgeschreckt und distanzieren sich?
Fest steht: So kurz vor der Wahl wollen die wenigsten CDUler als illoyal gelten. Zumindest öffentlich möchten sie Ihrem Parteichef nicht in den Rücken fallen – man bangt ja ohnehin schon um die Wählergunst. Die Regierungsparteien jedenfalls wollen einen Wendepunkt ausgemacht haben. Grüne und SPD stürzen sich auf Merz, zeichnen ihn als impulsiven Dammbrecher, auf dessen Wort man nicht mehr zählen könne.
In jedem Fall: Der Bundestags-Wahlkampf hat seine Bezeichnung 2025 redlich verdient