Von allen Parteien hat die SPD unter dem Ergebnis der Bundestagswahl 2025 wohl am meisten gelitten. Mit 16,4 Prozent büßte die Kanzlerpartei 9,3 Prozentpunkte ein, Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte seinen eigenen Rückzug für die mittlerweile laufenden Sondierungsgespräche mit der Union.
Ausgerechnet inmitten einer Weltlage, die brisanter kaum noch werden kann, steht die SPD-Fraktion damit gewissermaßen vor einem politischen Trümmerfeld. Ehemalige SPD-Wählende fühlen sich laut Umfragen vor allem beim Thema Arbeitspolitik vernachlässigt. Aktuell sprechen der SPD laut infratest dimap gerade einmal 26 Prozent der Wähler:innen Kompetenzen im Bereich soziale Gerechtigkeit zu – und damit 14 Prozent weniger als noch vor vier Jahren.
Auch ohne Olaf Scholz dürfte es damit für die SPD in Zukunft nicht einfacher werden, ihr Gesicht auf Bundesebene zu wahren. 33 Prozent für die Hamburger SPD am vergangenen Sonntag werden hier keine Wunder bewirken. Bei genauerem Hinsehen zeichnen sich aktuell vor allem drei Probleme bei der Partei ab.
Auf personeller Ebene hat sich bei der SPD bisher wenig bewegt. Bei der Co-Vorsitzenden Saskia Esken etwa war vor der Wahl viel über einen möglichen Rückzug spekuliert worden. Doch die 63-Jährige scheint sich dem Druck bezüglich ihrer oft kritisierten Inhaltslosigkeit zu widersetzen und bleibt. Der "Tagesspiegel" berichtet aus Regierungskreisen, dass sie sogar das Amt der Vizepräsidentin des Bundestages anstrebe.
Lars Klingbeil kündigte zwar noch am Wahlabend einen "Generationenwechsel" innerhalb der SPD an, hält aber zumindest selbst ebenfalls selbstbewusst an seiner Rolle im Bundesvorsitz fest. Großen Rückhalt scheint er dabei aber nicht zu genießen.
"Verantwortungsbewusstsein heißt nicht, hinter Nebelkerzen die nächste Karrierestufe zu nehmen. Begriffe wie ‘Generationenwechsel’ dürfen keinen Schutz für einzelne Personen darstellen", heißt es etwa in einem Papier der "Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD", das dem "Tagesspiegel" vorliegt.
Darin fordern unter anderem Aziz Bozkurt und Stella Kirgiane-Efremidou einen Wechsel an der Parteispitze, aber auch eine grundsätzliche Erneuerung der Parteilinie bis zum kommenden Jahr.
Dass ein öffentlich bekannter Zwist innerhalb der Partei sich nicht positiv auf die Wahrnehmung in der Bevölkerung auswirkt, hat zuletzt die Kabbelei um eine mögliche Kanzlerkandidatur von Boris Pistorius gezeigt. Es bräuchte also entweder einen Führungswechsel bei der SPD oder einen klaren Rückhalt zumindest für Lars Klingbeil in der gesamten Fraktion.
Der "Tagesspiegel" berichtet am Montag von einem Beschluss der SPD, laut dem der nächste Parteitag auf Juni vorgezogen werden soll. Dem Bericht zufolge dürfte hier auch eine neue Spitze gewählt werden.
Dem Bericht zufolge will die SPD im Juni außerdem "einen Fahrplan für die strategische, programmatische und organisatorische Aufstellung der SPD für die Bundestagswahl 2029" beschließen. Denn auch die inhaltliche Ausdünnung spielt bei der SPD aktuell eine ernstzunehmende Rolle. Eine Partei, die sich einst als Retterin der Arbeitnehmer:innen und sozial Schwachen präsentierte, bildet diese Bevölkerungsgruppe in den eigenen Reihen kaum noch ab.
Auch mehrere Personen aus dem Umfeld der Jusos fordern in einem offenen Brief einen neuen Fokus. "Wir sind wütend, weil es selbst uns schwerfällt, zu erklären, wofür die SPD eigentlich noch im Kern steht und kämpft", erklären die Unterzeichner:innen unter dem Motto "SPD 2029".
Ein neues Grundsatzprogramm müsse demnach "unsere sozialdemokratische Vision" festhalten, um bei den kommenden Bundestagswahlen 2029 wieder Mehrheiten für sich gewinnen zu können. Zu schnell stellte sich die SPD nach vergangenen Wahlniederlagen wieder auf 'business as usual' ein.
"Wir spüren in unserem persönlichen Umfeld und in der Bevölkerung eine regelrechte Sehnsucht nach politischen Ideen, die auf Fakten, nicht Wahrnehmungen, beruhen und zugleich Hoffnung auf die Zukunft machen", erklären die Initiator:innen von "SPD 2029". Demnach sei es für viele Bürger:innen wichtiger, über soziale Themen zu reden als über Zuwanderung.
Tatsächlich spielte laut einer Nachwahlbefragung von Infratest dimap Zuwanderung unter SPD- wie CDU-Wähler:innen eine geringere Rolle als soziale Sicherheit. Nur unter AfD-Wähler:innen stand das Thema an erster Stelle für die eigene Wahlentscheidung.
In den Augen junger Sozialdemokrat:innen hat sich die SPD im Wahlkampf allerdings zu sehr durch die rechten Stimmen in den Themenbereich Migration hineinziehen lassen. Eigene Kernthemen gab es hingegen wenige.
Nach der Wahl sitzt die SPD nun mit der Union am Verhandlungstisch und muss angesichts der von Krisen zerrütteten Zeit schnelle Koalitionskompromisse erreichen. Selbst auf Karneval nahm man keine Rücksicht und setzte die Sondierungsgespräche am Montag fort.
"Wir haben die großen Themen zu klären, und es sind ja auch nicht weniger geworden in den letzten Tagen", kommentierte Lars Klingbeil die Sitzungen nur knapp und spielte damit auf den Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office an.
Die fehlende Unterstützung vonseiten der USA macht den Ukraine-Krieg damit auch in Deutschland allgegenwärtig. Eines der Kernthemen bei den Sondierungsgesprächen zwischen SPD und Union ist eine weitere Aufstockung des Sondervermögens für die Bundeswehr in Höhe von 200 bis 400 Milliarden Euro.
Die SPD hatte die Zustimmung für ein solches an ein zweites Sondervermögen für die deutsche Infrastruktur geknüpft. Im Gespräch ist aktuell auch, dass Friedrich Merz eine Sondersitzung im alten Bundestag einberuft.
Hier wäre ein außerordentlicher Beschluss noch möglich. Zumindest der Außenwirkung der SPD stünde eine schnelle Einigung auf ein doppeltes Sondervermögen allerdings besser zu Gesicht.