Aus Transitzentren wurden Transitverfahren – CDU, CSU und SPD konnten sich in Berlin auf einen Asylkompromiss einigen. Damit scheint die Regierungskrise vorerst abgewendet. Vorerst ist dabei jedoch das entscheidende Stichwort: Es gibt einige Fallstricke, die den ganzen Konflikt in ein paar Wochen zur Wiedervorlage bringen könnten.
Gewissermaßen ja, aber Seehofer muss einige Abstriche hinnehmen. Trotzdem meint er:
Für vielleicht fünf Fälle am Tag ist die Republik wochenlang in Atem gehalten worden. Die Einigung: Migranten, die bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben und an der deutsch-österreichischen Grenze abgefangen werden, sollen in bestehende Einrichtungen der Bundespolizei in unmittelbarer Grenznähe kommen. "Sofern die Personen nicht unmittelbar in die bestehende Unterbringungsmöglichkeit im Transitbereich des Flughafens München gebracht werden können", heißt es in dem Einigungspapier der großen Koalition.
Es wird also nichts neu gebaut. Von Transitzentren ist in dem Papier keine Rede mehr – da konnte sich die SPD durchsetzen, die sich vehement gegen gefängnisähnliche Einrichtungen gestemmt hatte.
Seehofer sagt nein: "Da gibt's keinen Stacheldraht oder Ähnliches, und es geht um keine Massenlager." Einfach vor die Tür spazieren werden die dort Untergebrachten trotzdem nicht können – dann würde sich ja auch die Frage nach der Notwendigkeit dieser Einrichtungen stellen.
Mit anderen Worten: Die Menschen können sich aus den "Transferzentren", wie er sie nun nennt, von den deutschen Behörden jederzeit außer Landes bringen lassen. Bewegungsfreiheit im klassischen Sinne ist das natürlich nicht.
Wie beim bestehenden Flughafenverfahren reisen die Personen rechtlich nicht nach Deutschland ein. Die Zurückweisung soll innerhalb von 48 Stunden erfolgen. Also wird es ohnehin nur maximal zwei Übernachtungen im Bundespolizei-Gebäude geben.
Das Verfahren soll nur an der Grenze zu Österreich zum Einsatz kommen – damit es funktioniert, müssen bilaterale Abkommen gerade mit Italien und Griechenland ausgehandelt werden, von wo die meisten Migranten kommen, die schon Asyl beantragt haben. Ohne Abkommen kann es nicht zum Tragen kommen, dann dürfen die Personen einreisen und erhalten ein reguläres Prüfverfahren.
Dass Seehofer irgendwann der Kragen platzt. Denn die Krux ist, dass er selbst nun die notwendigen Abkommen mühselig aushandeln muss – auch wenn er betont, Kanzlerin Angela Merkel sei ebenfalls in der Pflicht. Seit einem Treffen mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz ist bereits ein wichtiger Punkt des zunächst zwischen CDU und CSU ausgehandelten Kompromisses hinfällig.
Denn geplant war, dass Menschen, bei denen der zuständige EU-Staat, zum Beispiel Italien, nicht zur Rücknahme bereit ist, nach Österreich abgewiesen werden. Das macht Kurz nicht mit. Seehofer sagt nun: "Wir werden weder jetzt noch in der Zukunft Österreich für Flüchtlinge verantwortlich machen, für die sie nicht zuständig sind." Gibt es keine Abkommen, wird das ganze Rückführungskonstrukt in sich zusammenfallen.
Dann könnte es erneut zum Konflikt zwischen CSU und CDU kommen – gerade wenn die Umfragen für die CSU vor der bayerischen Landtagswahl im Oktober nicht nach oben gehen. Dann könnte Seehofer den bereits vom CSU-Vorstand gebilligten Plan einer einseitigen Zurückweisung an der Grenze zu Österreichs hervorholen – und ohne Absprachen und Abkommen mit den europäischen Partnern im Kampf gegen illegale Migration Personen an der Grenze zurückweisen.
Das könnte aber zum Dominoeffekt mit einer Wiedereinführung von Grenzkontrollen führen, von Österreich bis Italien, um diese Migration mit radikalen Methoden zu unterbinden.
Dass eine Grundidee der Europäischen Union, das freie Reisen und der freie Handel im Schengen-Raum, ausgehebelt wird. Das hätte auch wirtschaftliche Folgen. Ein Experte sagt:
Der Handel mit internationalen Lieferketten sei zwingend auf planbare Lieferungen angewiesen. Die Einführung von Grenzkontrollen mit langen Rückstaus seien daher ein ernsthaftes Risiko. Das Bruttoinlandsprodukt könnte in der Folge um ein bis drei Milliarden Euro schrumpfen, warnt der Handelsverband.
Ursprünglich wollte Seehofer noch deutlich mehr Menschen an der Grenze zu Österreich zurückweisen. In seinem Entwurf für einen "Masterplan Migration", der auf den 22. Juni datiert ist und den er am Sonntag im CSU-Vorstand vorstellte, heißt es noch: "Künftig ist auch die Zurückweisung von Schutzsuchenden beabsichtigt, wenn diese in einem EU-Mitgliedsstaat bereits einen Asylantrag gestellt haben oder dort als Asylsuchende registriert worden sind." In der am Montag zwischen CDU und CSU getroffenen Vereinbarung ist nur noch vage die Rede von "Asylbewerbern, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind".
Im nun zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarten Papier geht es nur noch um "Personen, die bereits in einem anderen Mitgliedsstaat einen Asylantrag gestellt haben". Nicht jeder Schutzsuchende, der zum Beispiel in Italien oder Griechenland registriert wird, stellt dort auch einen Asylantrag – viele werden dort registriert, wollen aber dann weiterziehen nach Deutschland.
Das ist zusätzlich vereinbart worden: Diese Menschen sollen mit mobilen Grenzkontrollen und Schleierfahndungen bis zu 30 Kilometer hinter der deutschen Grenze verstärkt aufgegriffen werden.
Dann soll künftig schneller geklärt werden, welcher EU-Staat für den Asylantrag zuständig ist. Nach den europäischen Dublin-Regeln ist das häufig das Land, in dem Migranten zuerst den Boden der EU betreten haben, aber auch der Aufenthaltsort von Angehörigen spielt eine Rolle. Bei dieser "Zuständigkeitsprüfung" wird der Asylantrag selbst noch gar nicht bewertet.
Seehofer sagte, das Innenministerium setze für diese Prüfung und die Überstellung aktuell mindestens ein Vierteljahr an. In dem Papier steht nun als Ziel, dieses Verfahren künftig "in wenigen Tagen" abzuschließen. Hier geht es laut Seehofer um 46.000 Menschen im Jahr, die schon in anderen EU-Staaten registriert sind. Also um deutlich mehr als beim Transit-Modell.
Bisher will jedoch kaum ein Bundesland mitmachen. Der SPD wurde nun als Kompromiss zugestanden, dass ein von der Partei gewünschtes Einwanderungsgesetz bereits in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden soll.
Ohnehin zeigen sich die Sozialdemokraten recht zufrieden. In einer internen Sprachregelung wird betont:
Nach wochenlangem Streit sind nun also alle in der Koalition glücklich – oder behaupten das zumindest. Merkel konnte ihre Kanzlerschaft retten und einen völligen Alleingang ihres Innenministers stoppen. Seehofer konnte für eine europaweite Verschärfung der Asylpolitik sorgen und dabei seine Posten als Innenminister und CSU-Chef behalten. Und die SPD kann sich damit rühmen, Seehofers großen Plan zumindest in kleinen Teilen abgeändert zu haben. Ob das für einen langfristigen Koalitionsfrieden reicht, ist aber noch nicht gesagt.
Sollten Teile der Vereinbarungen nicht funktionieren, könnte die nächste Regierungskrise bereits vor der Tür stehen.
(fh/dpa)