Die Grünen-Politikerin Renate Künast bekommt gerade sehr viel Post. Nach dem sie auf ihrer Facebookseite dazu aufrief, an einer Gegendemonstration gegen den AfD-Marsch in Berlin teilzunehmen, hagelte es Beschimpfungen über die sozialen Medien.
Im watson-Interview spricht Renate Künast über Morddrohungen, den Twitterstreit mit Christian Lindner und zeigt sich offen für einen Untersuchungsausschuss im Bamf-Skandal.
watson: Frau Künast, Sie
haben über Facebook zur AfD-Gegendemonstration aufgerufen. Was ist dann
passiert?
Renate Künast: Passiert ist eine Reaktion, die man mit Shitstorm nicht umfassend
beschreiben kann. Eine Reaktion, die ich in dieser Qualität noch nicht erlebt
habe. Ich erhielt Kommentare von "Hure" über “Du müsstest vergewaltigt werden“
bis hin zu Morddrohungen. Im Laufe des Wochenendes haben sich über 5000
Kommentare gesammelt. Eine Analyse des Ganzen hat gezeigt, es gibt starke
Pegida- und AfD-Zusammenhänge.
Sie wissen, wo das
herkommt?
Wir haben es zum Teil nachverfolgt und dann gemerkt, dass es
einen AfD-Bezug beispielsweise in Brandenburg und Pegida-Bezug in Nordrhein-Westfalen
gibt.
In der Vergangenheit
haben Sie Netzpöbler besucht und darüber auch ein Buch geschrieben. Das hat
offenbar nicht geholfen.
Ich habe ja die Besuche nicht in der Erwartung gemacht, dass
sich etwas grundsätzlich ändert. Ich wollte erstmal verstehen, warum es
passiert. Warum es so viele Einzelpersonen gibt, die so frustriert sind von der
Politik und Angst vor der Zukunft haben.
Zu welchem Ergebnis
sind Sie gekommen?
Der eine Aspekt ist: Die zunehmende Globalisierung und
Digitalisierung verlagert nicht nur Jobs, sie verunsichert auch. Wir haben es
ein Stück weit verpasst, diese andere soziale Ebene von Globalisierung zu sehen
und zu diskutieren. Der andere Aspekt ist, dass sich Rechtsextreme besser
organisiert haben. Während wir früher kleine Parteien hatten, die nicht richtig
hochkamen, haben sich Phänomene wie Pegida und AfD verbunden.
Sie haben vor allem das Internet
genutzt. Da hat es eine qualitative Veränderung gegeben. Es hat auch massiven
Einfluss auf Wahlen gegeben. Nehmen Sie Trump oder den Brexit. Gerade der
Brexit hat gezeigt, dass man mit bestimmten Methoden Abstimmungen beeinflussen
kann. Mitten in der EU. Das heißt, wir haben derzeit eine ganz spezifische
Gefährdung von Demokratie.
An der Demo gegen die
AfD haben Sie trotz der Drohungen teilgenommen. Mit welchem Gefühl sind Sie
dann raus und auf die Straße gegangen?
Ich habe dazu aufgerufen, also bin ich auch hingegangen. Ich
lasse mich von solchen Reaktionen nicht abschrecken. Es war aber schon ein sehr
komisches Gefühl. Sie fahren im Zug zum Hauptbahnhof, die einen steigen aus und
gehen zur AfD-Demo, die anderen zur Gegendemonstration. Und im Bahnhof stehen
neben dir zwei Frauen, die dich freundlich grüßen und dann mit weißblauen Schild
zur AfD-Demo gehen. Mich hat aber vor allem gefreut, dass so viele auf den
Gegendemonstrationen unterwegs waren.
Sollten Parteien die
AfD nicht besser im Parlament stellen, als auf der Straße?
Das machen wir ja auch. Aber die AfD findet nicht nur im
Deutschen Bundestag statt, sondern im alltäglichen Leben.
Die organisieren eine bundesweite Demo, und wir zeigen, dass das Land anders denkt. Also gehen wir auf die Straße.
Christian Lindner kritisierte
auf Twitter, dass sich die Grünen bei solchen Aktionen an der AfD abarbeiten. Er
schrieb, man müsse die AfD rechts liegen lassen und deren Wahl als Auftrag
sehen.
Ich glaube ja, der Lindner war frustriert, weil ihn keiner
persönlich eingeladen hat.
Sie warfen ihm
daraufhin auf Twitter vor, er würde sich lustig machen.
Ja, weil ich seinen Tweet komplett unangemessen finde. Wenn
AfD und Pegida Hass verbreiten, wenn Angriffe auf Flüchtlinge und Heime
steigen, dann kann man doch nicht sagen, dass man die rechts liegen lässt und
das ganze Phänomen allein im festummauerten und sicheren Bundestag bespricht.
Angriffe auf ganz normale Bürger sind Realität. Auf einen Bürgermeister, der Geflüchtete
unterbringen will, wird so lange Druck gemacht, bis er sein Amt aufgibt. Die
wollen die Leute einschüchtern, Demokratie abschaffen.
Ist das glücklich,
wenn sich die Opposition auf Twitter zerlegt und offen über den Umgang mit der
AfD streitet? Das ist doch im Grunde die beste Werbung für die AfD.
Da setzt Lindner einen Tweet ab und macht sich lustig, dann
ziehe ich nicht den Kopf ein. Das ist eben auch Teil des öffentlichen Diskurses.
Hinter diesem Streit
steht die Frage, wie mit der AfD umgegangen werden sollte. FDP und Grüne verfolgen offensichtlich zwei unterschiedliche Strategien. Die FDP will einen Untersuchungsausschuss
zur Bamf-Affäre und Flüchtlingspolitik. Dafür braucht sie die Grünen. Warum
machen die Grünen da nicht mit?
Wir haben uns noch gar nicht abschließend geäußert. Ein Untersuchungsausschuss
ist das schärfste Schwert der Opposition. Das müssen sie dann aber auch richtig
einsetzen. Das wiederum muss gut überlegt sein. Wir sind nicht auf dem
Spielplatz, auf dem man einfachmal verbal gegen die Tonne tritt, damit es laut
scheppert. Wir sagen, wir gucken uns ganz genau an, wie Horst Seehofer diesen
Bamf-Skandal jetzt aufklären will.
Die Grünen wollen
über den Innenausschuss Druck ausüben und für Aufklärung sorgen. Für Dienstag
haben sie eine Sondersitzung angesetzt.
Ja, die Frage ist, ob wir auf diesem Weg ausreichende
Aufklärung hinkriegen oder einen Untersuchungsausschuss brauchen. Aber ich weiß
gar nicht, ob FDP und AfD über den gleichen Untersuchungsauftrag reden wie wir.
Mein Verdacht ist, FDP und AfD wollen die Septemberentscheidung von Merkel zum
Thema machen, um Merkel ins Zentrum des Geschehens zu stellen. Aber um die
Politik Angela Merkels zu kritisieren, dafür braucht man keinen
Untersuchungsausschuss. Ich glaube, AfD und FDP haben kein wirkliches Interesse
die Skandale beim Bamf aufzuklären, zu wissen, welche Struktur dafür
verantwortlich ist.
Das
können Sie nicht in einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss packen. Wer
das will, hat offenbar andere Interessen. Und die liegen am rechten Rand.
"Es liegt jetzt an
Minister Seehofer, im Innenausschuss zu liefern", sagte Ihre Parteifreundin Katrin Göring-Eckardt. Was
muss am Dienstag passieren, beziehungsweise von Regierungsseite nicht passieren, damit die Grünen dann doch einem Untersuchungsausschuss zustimmen?
Wir haben eine Vielzahl von Fragen eingereicht und gestellt.
Darauf wollen wir Antworten. Dann werden wir das als Fraktion auswerten. Bei
uns ist die Tür grundsätzlich immer offen für einen parlamentarischen
Untersuchungsausschuss, weil er das Werkzeug der Opposition ist. Die Frage ist
eher, sind die anderen bereit, ernsthaft zu arbeiten oder geht es um
Populismus. Wären FDP und AfD denn überhaupt bereit, einem klaren Untersuchungsauftrag
mit Blick auf den Bamf-Skandal, zuzustimmen? Oder wäre ihnen das nicht
populistisch genug?