Auch am dritten Tag nach dem Tod eines Mannes durch eine Messerattacke und den anschließenden Protesten rechter Demonstranten kommt Chemnitz nicht zur Ruhe.
Es wird laut. Dieses Mal aber anders. Nachdem sich Casper und Marteria für ein Konzert vor dem Karl-Marx-Monument am Montag in Chemnitz angekündigt hatten, wollen auch Die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet, K.I.Z., Nura und Trettmann dort auftreten. Unter dem Motto "Wir sind mehr – Aufstehen gegen rechte Hetze" wollen die Musiker ein Zeichen setzen. Kraftklub übernehmen als Chemnitzer Band die Schirmherrschaft.
Der Freistaat Sachsen hat nach den Vorfällen in Chemnitz die Hilfe der Bundespolizei angefordert. Das bestätigte die Sprecherin des Bundesinnenministeriums, Eleonore Petermann, am Mittwoch. Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte der sächsischen Polizei am Dienstag Hilfe in Form von "polizeilichen Unterstützungsmaßnahmen" angeboten.
Angela Merkel hatte anschließend erklärt, es sei gut, dass Seehofer dem Freistaat Unterstützung angeboten habe, "um Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten und die Gesetze einzuhalten".
Fußball-Regionalligist Chemnitzer FC hat auf die menschenfeindlichen Krawalle in der Stadt mit Verachtung reagiert. In einer von Insolvenzverwalter Klaus Siemon unterzeichneten Erklärung vom Mittwoch heißt es: "Es ist für uns nicht fassbar, dass es in dieser Anzahl Menschen gibt, die einer menschenverachtenden Ideologie nachhängen, die außer Tod und Zerstörung den Menschen im Deutschland der Jahre 1933 bis 1945 nichts gebracht habe."
Meldungen, nach denen dem Verein zuzuordnende Hooligan-Gruppen an den Aktionen beteiligt sein sollen, wolle man nachgehen. "Überörtliche Medien berichten, dass rechte Gruppierungen eine Organisationsbasis beim Chemnitzer FC haben könnten. Wurde der Chemnitzer FC zur Finanzierung dieser Aktivitäten benutzt? Diese Umstände aufzuklären ist die Aufgabe der staatlichen Behörden. Die Behörden unterstützen wir in jeder Hinsicht", heißt es in der Erklärung. Jeder Fan, jedes Mitglied und jeder Beteiligte würden aufgefordert, sachdienliche Hinweise zu liefern. "Fußball zwingt zur Weltoffenheit", betont der Insolvenzverwalter im Namen des Vereins. Seit dem April befindet sich der Viertligist im Insolvenzverfahren.
Die Ermittlungsbehörden geraten in Erklärungsnot, weil im Internet plötzlich der Haftbefehl mit Details zum mutmaßlichen Totschläger auftaucht. Nun wird nach dem Leck gefahndet. Die Staatsanwaltschaft Dresden will nun wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen ermitteln.
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, hatte mit Blick auf Merkels berühmt gewordene Aussage aus dem Herbst 2015 den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland gesagt: "Die Wurzeln für die Ausschreitungen liegen im 'Wir-schaffen-das' von Kanzlerin Angela Merkel."
SPD-Chefin Andrea Nahles kritisierte daraufhin Kubicki. Es handle sich dabei um eine "unglaubliche Einlassung eines gestandenen Politikers", sagte Nahles dem Sender RTL am Mittwoch. "Das ist der Vizepräsident des deutschen Bundestages. Ich finde eine solche Äußerung unsäglich. Er hat sich auch in keiner Weise von dem rechten Mob da distanziert." Nahles kündigte an: "Das wird sicherlich im Ältestenrat des deutschen Bundestages von uns zur Sprache gebracht werden."
Kritik an Kubicki kam auch von der FDP-Jugendorganisation. Die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Ria Schröder, sagte dem "Tagesspiegel":
Kubickis Schuldzuweisung an Merkel werde weder den Vorfällen in Chemnitz noch der Rolle eines Bundestagsvizepräsidenten gerecht.
Wolfgang Kubicki indes fühlte sich missverstanden und veröffentlichte auf Facebook das komplette Statement.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat nach den rechtsextremen und ausländerfeindlichen Übergriffen in Chemnitz gemahnt, die Demokratie "nicht der Straße zu überlassen". Bei einem Besuch im Adenauer-Haus am Mittwoch in Bad Honnef bei Bonn sagte Steinmeier, der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer sei "auch eine lebendige Erinnerung daran, dass wir, die heutige Generation, die Demokratie zu pflegen haben, nicht aus der Hand geben dürfen".
Demokraten sollten sich "stärker öffentlich zeigen". Die Erschütterung über den gewaltsamen Tod eines Menschen sei in Chemnitz missbraucht worden, "um im öffentlichen Straßenkampf die Demokratie anzuschuldigen".
(ts/dpa/afp)