Mit Rechten reden: Ja? Nein? Wie? Den richtigen Umgang mit der AfD und anderen rassistischen bis rechtsradikalen oder sogar rechtsextremen Strömungen suchen die demokratischen Parteien in Deutschland in den vergangenen Jahren akribisch – und oft vergeblich.
Während viele linksliberale bis linke Politiker:innen finden, dass man Grenzen setzen und eine Normalisierung verhindern muss, sucht besonders das konservative Lager den Dialog. Das theoretisch einleuchtende Argument: Nur so kann man die AfD inhaltlich stellen.
Warum man damit aber umso mehr Schaden anrichten kann, zeigte nun die Debatte zwischen Boris Palmer und Markus Frohnmaier in Tübingen.
Dass der mittlerweile parteilose Oberbürgermeister Tübingens und der AfD-Landeschef zu einem öffentlichen Streitgespräch aufeinandertrafen, hatte bereits ein Geschmäckle: Die Debatte war Teil eines Deals zwischen Palmer und der AfD.
Ursprünglich hatte die Partei eine Demonstration in der Tübinger Innenstadt für Mitte Juli geplant. Einzelhändler:innen äußerten jedoch Bedenken wegen möglicher Umsatzverluste und baten Palmer um eine Verlegung. Die AfD bot daraufhin an, auf die Demo zu verzichten, wenn Palmer sich zu einer öffentlichen Diskussion bereit erkläre. Der Oberbürgermeister stimmte zu – aus diesem einfachen Grund ein möglicherweise fatales Gesprächsangebot an die AfD.
Welchen Nutzen das Gespräch, unabhängig vom Inhalt, für Frohnmaier hatte, erklärte im Anschluss Politikberater Johannes Hillje auf X. Er machte darauf aufmerksam, dass Frohnmaier, der Spitzenkandidat der AfD bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 2026 ist, bisher "nur ein Viertel der Wähler" kannte.
Woher er die Statistik nimmt, bleibt unklar, einer Allensbach-Umfrage aus dem Juli zufolge kannten Frohnmaier zu dem Zeitpunkt aber sogar lediglich 14 Prozent der befragten Wähler:innen.
Vor dem Hintergrund der Unbekanntheit findet Hillje es bedenklich, dass Palmer mit Frohnmaier nun ein "Streitgespräch" macht und das auch noch vom Sender Welt TV live übertragen wird: "Ein Bekanntheitsbooster für Frohnmaier – direkt zu Beginn des Wahlkampfs."
Im Interview mit dem Sender ntv erklärte Hillje zudem, die Alternative sei nicht, gar nicht mit der AfD zu sprechen. Es komme jedoch darauf an, "wann, wo und wie" das geschehe.
Palmer habe gegenüber Frohnmaier eine Taktik angewendet, die bereits mehrmals erfolglos ausprobiert wurde: Er habe ihm Aussagen und Begriffe der AfD aus der Vergangenheit, wie "Remigration", vorgelesen, von denen sich Frohnmaier dann einfach distanzieren konnte, um vor einem breiten Publikum Selbstverharmlosung zu treiben – ein Missgeschick Palmers, oder wie Hillje sagt: eine "Vorlage" für Frohnmaier.
Bei der Debatte zwischen Palmer und Frohnmaier am Freitagabend blieb eine echte inhaltliche Auseinandersetzung und Offenlegung von AfD-Schwächen, wie Palmer es angekündigt hatte, oft aus. Thematisiert wurden unter anderem Meinungsfreiheit, Klimaschutz, Innere Sicherheit, Migration, Wohnungsbau und Demokratie.
Während Palmer versuchte, Frohnmaiers Aussagen mit Fakten zu kontern, wich der AfD-Politiker häufig aus. So stellte Palmer etwa Frohnmaiers Behauptung, Deutschland habe ein Problem mit der Inneren Sicherheit, mit Zahlen aus der Kriminalstatistik infrage.
Frohnmaier warf ihm daraufhin vor, die Statistik nicht richtig zu lesen, und bot die Hilfe eines AfD-Abgeordneten an – was Palmer mit Verweis auf sein Mathematikstudium scharf zurückwies.
Bevor die Diskussion überhaupt richtig beginnen konnte, wurde die Veranstaltung von lautstarken Störungen überschattet. Buhrufe, Sprechchöre wie "Nazis raus" und "Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda" sowie laute Sirenen führten zu Chaos in der Halle.
Die Polizei musste rund 30 Personen aus dem Saal führen und Platzverweise aussprechen. Erst nachdem die Störer entfernt worden waren, konnte die Debatte starten.
Auch außerhalb der Halle war die Stimmung angespannt. Nach Angaben der Polizei versammelten sich bis zu 2000 Demonstrierende, um gegen die Veranstaltung zu protestieren. Redner:innen kritisierten sowohl die Debatte als auch Palmer scharf. Die Demonstration verlief laut Polizei "weitgehend friedlich", es kam jedoch vereinzelt zu Rangeleien.
Ein Beamter wurde mit einer Fahnenstange angegriffen, und Plastikflaschen wurden auf Polizist:innen geworfen. Verletzt wurde niemand. Die Polizei war mit einem massiven Aufgebot vor Ort, kontrollierte die Eingänge und sicherte die Seitenstraßen rund um die Halle ab.
(mit Material der dpa)