Sogar im wohlhabenden Bayern sind die Bürger gespalten. Anders lässt sich kaum erklären, dass die Grünen rund um Spitzenkandidatin Katharina Schulze bei einer Umfrage von Insa mit 15 Prozent der Wählerstimmen auf Platz 2 liegen. Und, dass dicht dahinter die AfD folgt mit 14 Prozent.
In den entscheidenden Wochen des Wahlkampfs vor dem Stichtag im Oktober ist die Stimmung unter den Wahlkämpfen geladen. Die Ereignisse von Chemnitz haben den Streit zwischen den politischen Lagern noch einmal angeheizt.
Wir haben mit der Spitzenkandidatin der Grünen, Katharina Schulze, darüber gesprochen und gefragt, wie soll man so eigentlich noch eine vernünftige Regierung für das Land finden?
Watson.de: Frau
Schulze, wieviel Schuld trägt ihr politischer Gegner Markus Söder und seine CSU
an der Wut, die in Chemnitz gerade um sich geschlagen hat?
Katharina Schulze: Chemnitz hat etwas mit der Spaltung in der Gesellschaft zu
tun, die wir mittlerweile seit Jahren erleben. Aggression und Eskalation nehmen
zu. Dahinter stecken organisierte neonazistische Strukturen und die AfD, die
mit ihren täglichen Grenzüberschreitungen die Debatte nach rechts schiebt.
Und die CSU?
Beherbergt zumindest zum Teil Akteure, die in dieselbe Kerbe schlagen. Da nehmen
die Herren der CSU Worte in den Mund, die einer Regierung
nicht würdig sind. Das bringt nichts und stärkt nur das Original. Auf diese
Weise die Brandmauern gegen rechts einzureißen, verbietet sich als Demokrat.
In einem internen
Papier hat die CSU die AfD zum "Feind von allem" erklärt, "für das Bayern
steht."
Dafür muss ich sie aber nicht extra loben, oder?
Das ist doch
selbstverständlich. Die AfD konsequent zu bekämpfen, ist für mich die einzige
Herangehensweise an diese Partei. Aber die CSU hat ein Problem mit ihrer
Führung: Wenn der Ministerpräsident Menschen, die vor Krieg und Terror flüchten als
„Asyltouristen“ bezeichnet. Oder wenn
der Bundesinnenminister sich an seinem 69 Geburtstag freut, das 69 Menschen abgeschoben
werden. Dann ist das indiskutabel und fördert weitere Spaltung.
Eine Spaltung, wegen
der die Grünen in Bayern gerade auf Platz Zwei der Umfragewerte geschossen
sind. Eingeklemmt von der CSU über und der AfD unter Ihnen. Ihr Erfolg ist also
ebenso Ausdruck dieser Spaltung.
Das glaube ich nicht. Wir bayerischen Grünen haben in turbulenten Zeiten eine klare
Haltung, in denen alle anderen Parteien einen Zickzack-Kurs fahren. Natürliche
Lebensgrundlagen schützen, Europa verteidigen, gegen rechts kämpfen,
Gleichberechtigung. Früher war die CSU auch einmal eine Partei Pro Europa,
heute spricht der Ministerpräsident vom "Ende des geordneten Multilateralismus"
Ich befürchte, das
beantwortet meine Frage nicht.
Sie wollen darauf hinaus, dass uns die Linken wählen, und die Rechten den
Rest. Aber so läuft das nicht. Das ärgert mich auch an der Berichterstattung über
Chemnitz. Da gehen nicht Rechte und Linke auf die Straße, da hetzen Rechtsextremisten und ihnen gegenüber stehen Demokratinnen und
Demokraten.
Haben sie die Wahlen
in Bayern auch aus diesem Grund in der Vergangenheit als "Richtungsentscheidung" eingestuft?
Ja, eine Richtungsentscheidung über Werte und Haltung. Da stehen in Bayern
Bürgerrechte, Freiheit und Europa gegen den Schulterschluss
mit Orban, Salvini, Kurz und anderen Populisten.
Die Umfragewerte
zeigen es: Die unterschiedlichen Wege haben so viele Anhänger, dass eine gemeinsame
Regierungsbildung vermutlich schwierig wird.
Es muss auf jeden Fall eine Regierung mit klarer Haltung zustandekommen,
auch ohne absolute Mehrheit für die CSU.
Und Ihre Partei ist Teil davon?
Unsere Partei ist bereit, Verantwortung zu übernehmen.
Aber mit uns kann man sicher nicht über autoritäre und antieuropäische Politik reden.
Mein Punkt: Sie selbst sagen, die CSU-Führung schwimme
auf der rechten Welle. Dann geht es doch schlicht nicht zusammen mit Ihnen?
Parteien
können ihre Ansichten ändern. Aber das ist natürlich alles Spekulation. Ich bin nicht für die Aufstellung der CSU zuständig.
Halten Sie einen
Sinneswandel bei den Christsozialen denn für realistisch?
Wir müssen als Grüne ein super Ergebnis einfachen, damit die weltoffenen,
ökologisch denkenden Bürger Bayerns gehört werden. Das kann ich beeinflussen,
sonst nichts.
Sie wollen aber die
AfD bekämpfen.
Wenn jemand rechtsextremistisch ist, wenn der rechte Mob in
Chemnitz in ein Mikro Brüllt: "Tötet sie alle!", dann brauche ich mit so jemanden nicht zu reden. Das ist ein Verbrechen und es gilt: Kein Fuß breit den
Faschisten. Punkt. Wenn man sich die Funktionäre der AfD anschaut, tun sich in
dieser Richtung Abgründe auf.
Die werden bald
fester Bestandteil ihres Alltags im Landtag sein. Andere Parlamente haben große
Probleme damit. Was wenn die AfD zum Beispiel einen eigentlich sinnvollen
Vorschlag macht?
Diese
Partei sitzt schon in Parlamenten und hat sich nicht mit sinnvollen Vorschlägen
hervorgetan.
In Chemnitz ist nur
die vorderste Front der Demo besonders aggressiv und gewaltbereit. Was ist mit den Leuten dahinter?
Auch die tausenden Menschen dahinter nehme ich in die Verantwortung. Die
haben entweder mitgebrüllt oder haben gehört, was da gebrüllt worden ist. Wenn
die Leute nicht einverstanden wären, würden sie sagen: 'guada moa, so ned'.
Aber ich kann mich nicht hinter den Reihen aggressiver Frontmänner verstecken
und sagen: Ach ja, eigentlich sehe ich es ganz anders. Mitgehangen mitgefangen.
Solche Aussagen
werden die Wütenden kaum weniger wütend machen, Frau Schulze.
Jeder von diesen Leuten hat eine persönliche Verantwortung für sein Leben.
Es ist an der Zeit, das mal ganz klar zu sagen. Die Leute gehen auf die Straße,
weil sie sich nicht wehrlos fühlen wollen. Wir sollten deshalb aufhören, sie als "Wehrlose" zu behandeln. Wir müssen konsequent strafrechtlich verfolgen, wenn
jemand Volksverhetzung betreibt, andere im Internet bedroht oder angreift. Dann
steht am nächsten Tag eben mal die Polizei vor der Tür. Bäm! Sie merken, ich
bin Innenpolitikerin by heart.
Kann man sagen. Es
ist interessant Ihnen zuzuhören. Sie sprechen von der Verantwortung des
Einzelnen, vom wehrhaften Staat, von harter Strafverfolgung seitens der
Polizei. Das klingt fast nach guter alter konservativen Schule.
Was hat das denn mit konservativer Politik zu tun? Wir müssen unseren
Rechtsstaat, unsere Bürgerrechte und unsere Verfassung verteidigen, weil sie
von mehreren Seiten angegriffen werden.
Ein alter Vorwurf
wird also wahr: Die Grünen sind letztendlich staatstragend geworden…
Da habe ich kein Problem mit, weil wir den Staat und das Recht verteidigen.
Wir haben uns schon in der Vergangenheit als "Verfassungsschützerinnen und schützer" bezeichnet. Für Deutschland
und für Europa. So wie die EU im Moment aussieht, stelle ich mir das auch nicht
vor. Wir befinden uns dort in so einem Abwehrkampf. Auch da müssen wir dringend
stabilisieren, und dann Europa weiterentwickeln.