Eigentlich hat Jens Spahn nur eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht. "Homosexualität ist keine Krankheit und deswegen ist sie auch nicht therapiebedürftig", sagte der Gesundheitsminister der "taz".
Deswegen sei er für ein Verbot der sogenannten Konversionstherapien. Das sind Verfahren, die die sexuelle Orientierung eines Menschen ändern sollen. Spahn halte nichts von diesen Methoden. "Schon wegen meines eigenen Schwulseins. Ich sage immer, der liebe Gott wird sich was dabei gedacht haben."
Spahn wolle nun eine "Schnellstudie" in Auftrag geben, um zu prüfen, wie ein solches Verbotsgesetz dann auch praktisch umgesetzt werden kann. Die Grünen fordern ein solches bereits seit Jahren.
Der Vorstoß Spahns kommt nicht ohne Grund. Immer wieder fallen christliche Vereinigungen auch im Jahre 2019 dadurch auf, dass sie Homosexuellen eine Umerziehung nahe legen.
Erst im Dezember des vergangenen Jahres hatte der "Bund freier evangelischer Kirchen" mit einer "Orientierungshilfe" auf sich aufmerksam gemacht.
Der Bund zählt über 450 Gemeinden mit deutschlandweit mehr als 40.000 Mitgliedern. Er hat sich Ende des 19 Jahrhunderts in Wuppertal gegründet, steht für eine konsequentere Trennung von Kirche und Staat und orientiert sich vor allem am Neuen Testament.
"Im Ergebnis aller Bibelauslegung ist homosexuelles Verhalten nicht vereinbar mit diesem Leitbild", schreibt der Bund in seiner "Orientierungshilfe" für Homosexuelle.
Das Leitbild, auf das sich der Freikirchen-Bund bezieht, entstammt der Bibel.
Für die Freikirchler zählt das biblische Wort Gottes. Das sei auch für "das Verständnis und die Gestaltung der Sexualität wegweisend".
Zwar gäbe es keine medizinische Grundlage, Homosexualität als Krankheit zu bezeichnen, sagt der Freikirchen-Bund, aber Sünde bleibe nun mal Sünde. Stünde ja so in der Bibel. Gleichgeschlechtlicher Verkehr werde "dort eindeutig verurteilt. Dieser ist das wichtigste Beispiel für die Sünde des Menschen, der sich gegen seinen Schöpfer auflehnt."
In ihrer "Orientierungshilfe" hat es der Freikirche eine Bibelstelle besonders angetan: Röm 1,18–32.
Wirft man einen Blick auf diese zentrale Stelle in der Homoheiler-Argumentationskette, dann fällt auf, dass dort die gleichgeschlechtliche Begierde nicht nur als Sünde dargestellt wird, sondern "nach Gottes Recht" sogar den Tod verdiene.
Soweit will der Freikirchen-Bund in seiner offiziellen Argumentation nicht gehen. Die "Orientierungshilfe" weiß aber Rat, wie mit der "Sünde" umzugehen ist:
Außerdem kommt für die Freikirchen die Segnung Homosexueller nicht in Frage. Immerhin: Der Freikirchen-Bund schreibt, es führe kein unmittelbarer Weg von einer homosexuellen Orientierung zur Seelsorge.
Das hindert die Autoren der "Orientierungshilfe" aber nicht daran, trotzdem zur Seelsorge zu raten: "Homosexuell geprägte Menschen, die den Versuch einer Veränderung ihrer sexuellen Orientierung anstreben, sollten sich einem professionell begleiteten therapeutischen Prozess stellen."
Ärzte sehen das anders. Bereits 2013 warnte die Bundesärztekammer vor den Folgen von Konversions- bzw. Reparationstherapien. Diese Therapien seien nicht nur unwirksam, sondern auch gefährlich.
Dass "Patienten" durch Konversionsverfahren Schaden zugefügt werden kann, unterstrich auch die "Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychosomatik" (DGPPN).
Das hindert einige Christen nicht daran, sich weiterhin für die "Homoheilung" stark zu machen.
Dabei haben sich allerdings auch die Strategien und Argumente dem Zeitgeist angepasst. Die Umerzieher geben sich heute vor allem aufgeklärt, wissenschaftlich und liberal.
Denn: Heute wird das homosexuellenfeindliche Weltbild als ein Akt der Mündigkeit verkauft. Heute nennen die Homophobiker Homophobie Selbstbestimmung.
Das "Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft" beispielsweise, setzt sich nach eigenen Angaben "seit über dreißig Jahren für jene Minderheit innerhalb der Minderheit homosexuell empfindender Menschen ein, die sich mit einem homosexuellen Lebensstil nicht identifizieren kann oder will."
Demnach sei es das "Recht jedes Menschen mit ungewünschten homosexuellen Empfindungen, konstruktive Wege zur Abnahme dieser Gefühle [zu] gehen und dafür auch therapeutische, seelsorgerliche und andere Unterstützung in Anspruch nehmen zu können."
Hinter dem Institut steckt der Verein "Offensive Junger Christen" (OJC), der ganz offiziell der "Evangelische Kirche in Deutschland" (EKD) angehört.
Die EKD distanzierte sich auf watson-Nachfrage zumindest inhaltlich von der Organisation. Sie sei zwar im EKD-Kommunitäten-Register geführt, eine finanzielle Unterstützung bekomme der OJC aber nicht. "Wir haben als EKD eine deutlich andere Position, die vielfach belegbar ist und lehnen Konversionstherapien ab", erklärte die EKD.
Das "Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft" will Anlaufstelle für all jene Homosexuellen sein, die doch eigentlich viel lieber heterosexuell sein würden. So argumentiert zumindest das Institut. Diese Menschen gelte es zu unterstützen. Denn: Viele Männer und Frauen mit homosexuellen Empfindungen würden sich eine Abnahme dieser Empfindungen wünschen und die Entwicklung ihres heterosexuellen Potentials.
Gerade die gesetzliche Einführung der Homoehe verschärfe allerdings "die Frage nach den Lebensgrundlagen der nächsten Generation".
Das christliche Institut zeigt mit solchen Aussagen, wie flexibel Wissenschaft und Christentum auch ausgelegt werden können. Im Jahre 2019. In Deutschland.