Jens Spahn will mit einer Studie erfahren, was Abtreibungen für Betroffene bedeutet. Viele Wissenschaftler können ihm das schon sagen, weil es solche Studien schon gibt.Bild: imago/watson-montage
Deutschland
Kritiker: Spahns Studie zeigt "unglaublich frauenverachtendes Bild"
23.02.2019, 10:01
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Die Bundesregierung will die Folgen von Abtreibungen für Frauen
untersuchen lassen. Dutzende Studien haben die Frage schon analysiert
- mit klarem Ergebnis. Die Fachwelt sieht das Projekt kritisch.
Eigentlich sollte es für Forscher ein Grund
zur Freude sein, wenn die Politik eine Studie in Auftrag gibt. Doch
hier ist das Misstrauen enorm: Das Projekt des
Bundesgesundheitsministeriums, die gesundheitlichen Folgen von
Schwangerschaftsabbrüchen für Frauen untersuchen zu lassen, stößt in
der Fachwelt auf große Skepsis - aus wissenschaftlichen und vor allem
aus gesellschaftlichen Gründen:
"Es gibt eine alte Tradition, eine Drohkulisse aufzubauen für Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen lassen. Wenn die Studie in diesem Kontext steht, dann haben wir ein Problem."
Und Claudia Schumann, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für
Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG), vermutet
"eine politisch motivierte Studie".
"Da soll eine bestimmte Klientel
bedient werden", sagt die Frauenärztin und Psychotherapeutin aus
Northeim.
Der Argwohn rührt vor allem daher, wie die Entscheidung zustande kam:
beim Ringen der Großen Koalition um den Paragrafen 219a des
Strafgesetzbuches, der regelt, wie über Abtreibungen informiert
werden darf. Ursprünglich wollte die SPD den Paragrafen ganz
abschaffen, die Union ihn aber nicht antasten. In einem Kompromiss
einigten sich beide darauf, dass Ärzte und Kliniken künftig anders
als bislang etwa auf ihrer Website mitteilen dürfen, dass sie
Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Im Gegenzug bekommt das von Jens Spahn (CDU) geführte Gesundheitsministerium fünf Millionen Euro für die Studie.
Die soll von 2020 bis 2023 "Häufigkeit und Ausprägung
seelischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen" untersuchen.
Ergebnisoffen, wie das Ministerium ausdrücklich betont.
Der zweite Grund für die Skepsis ist wissenschaftlicher Natur: "Es
gibt genug Studien", sagt Schumann. "Es lässt sich nicht beweisen,
dass eine Abtreibung einen klaren negativen Einfluss auf die
psychische Gesundheit von Frauen hat." Helfferich stimmt zu:
"Es deutet nichts darauf hin, dass das ein weit verbreitetes Problem ist. Die große Mehrheit der Frauen bewältigt einen Abbruch ohne Langzeitfolgen."
Cornelia Helfferich
Die Leiterin des Sozialwissenschaftlichen
Forschungsinstituts zu Geschlechterfragen hatte 2012 bis 2018 im
Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
14 000 Frauen unter anderem zu Abbrüchen befragt.
In Deutschland wurden 2017 laut Statistischem Bundesamt rund 101 000 Schwangerschaften abgebrochen.
Dutzende Studien haben in den vorigen
Jahrzehnten die psychischen Folgen von Abtreibungen untersucht. So
verglich ein US-Team um Antonia Biggs von der University of
California über einen Zeitraum von fünf Jahren knapp 1000 Frauen -
ein Teil ließ die Schwangerschaft abbrechen, den übrigen wurde ein
Abbruch verweigert, weil die Frist überschritten war.
Die seelische Gesundheit jener Frauen, deren Schwangerschaft beendet wurde, war mindestens so gut wie die der übrigen Teilnehmerinnen, wie das Team 2017 im Fachblatt "JAMA Psychiatry" berichtete. Vor einem Jahr kam
eine in derselben Zeitschrift veröffentlichte dänische Studie - trotz
anderer Methodik - zu einem ähnlichen Resultat: Demnach erhöht ein
Schwangerschaftsabbruch nicht die Tendenz zu einer Depression.
Die Resultate decken sich damit, was eine Arbeitsgruppe des
US-Psychologenverbands APA im Jahr 2008 nach der Analyse Dutzender
Studien bilanzierte:
"Die beste wissenschaftliche veröffentlichte Evidenz zeigt, dass bei erwachsenen Frauen, die ungeplant schwanger werden, das relative Risiko für seelische Probleme nach einer einmaligen Abtreibung im ersten Trimeter nicht höher ist, als wenn sie das Kind austragen."
APA
"Wir wissen, dass eine Abtreibung an sich keine negativen psychischen
Folgen hat", betont Anette Kersting von der Deutsche Gesellschaft für
Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde
(DGPPN). "Das sollte man akzeptieren", sagt die Direktorin der Klinik
und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der
Uniklinik Leipzig.
Wie müsste eine Studie überhaupt aussehen, um binnen drei Jahren zu validen Ergebnissen zu kommen, die das Wissen erweitern?
"Studien zu diesem Thema sind unglaublich schwierig, denn die Situationen der Frauen sind sehr unterschiedlich"
Claudia Schumann, Vizepräsidentin DGPFG
Man bräuchte sehr
viele Teilnehmerinnen, die miteinander vergleichbar wären. An der
US-Studie nahmen 30 medizinische Zentren teil. Die dänischen Forscher
werteten landesweite Bevölkerungsregister aus, die in Deutschland gar
nicht existieren.
"Es gibt Wissenslücken, aber nicht im gesundheitlichen Bereich", sagt
Helfferich. "Man muss die Situation einer ungewollten Schwangerschaft
in ihrer Komplexität erfassen." Dabei spielten viele Faktoren eine
Rolle - neben Persönlichkeit und Biografie einer Frau auch die
soziale und berufliche Situation und insbesondere die Partnerschaft.
Die Leipziger Expertin Kersting betont, dass jene Frauen, die die
Beendigung einer Schwangerschaft wünschen, häufiger emotionale
Probleme, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Stress in der
Partnerschaft oder traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend
haben.
"Viele dieser Frauen können eine Abtreibung weniger gut bewältigen."
Anette Kerstin
Das liege aber nicht an dem Abbruch an sich, sondern an
der psychischen Konstellation, der Situation und dem Umfeld - etwa an
Stigmatisierung und fehlender sozialer Unterstützung. Eine Studie
könne klären, wie man diese Gruppe besser unterstützen könne, sagt
Kersting. "Da wäre es sinnvoll, Konzepte zu entwickeln."
Grundsätzlich fordert Helfferich, Frauen die Fähigkeit zuzubilligen,
die beste Entscheidung treffen zu können. "Bei der ganzen Diskussion
fehlt mir der Blick darauf, dass Frauen ihre Entscheidung so oder so
treffen und wissen, was sie tun", sagt sie. Insbesondere kritisiert
sie das in der Debatte um Paragraf 219a verwendete Wort "Werbeverbot"
als irreführend.
"Es geht nicht an, dass Informationen, die Frauen brauchen, um eine Entscheidung zu treffen, vorenthalten werden. Das zeigt ein unglaublich frauenverachtendes Bild."
Cornelia Helfferich
Nun wartet die Fachwelt gespannt, wie die Studie, die 2019 vergeben
werden soll, aussehen wird. Eines sei sicher, sagt Helfferich: "Die
Studie wird unter Beobachtung stehen. Sie wird sich wissenschaftlich
seriös darstellen müssen."
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