Migration ist erneut ein Reizthema in der deutschen Politik. Seit Jahren versucht die Bundesregierung, Abschiebungen in bestimmte Staaten voranzutreiben. Vereinbarungen mit Ländern, aus denen viele Menschen nach Deutschland kommen, sind hierbei eines der fundamentalsten Instrumente. Oder, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) es ausdrückt: "das Wichtigste", was man in der Migrationspolitik benötige.
Offenbar gibt es schon seit Monaten einen geheimen Deal mit einem der wichtigsten Länder in der Flüchtlingsfrage, wie jetzt bekannt wurde. Der Öffentlichkeit gegenüber hüllte sich die Ampel darüber aber in Schweigen. Warum, darüber kann nur gemutmaßt werden.
Eine der wichtigsten Verhandlungspartner in Migrationsfragen ist der Irak. Die Bundesregierung versucht seit Jahren, mehr Menschen in das Land abzuschieben. Hierzulande leben nach Angaben des Bundesinnenministeriums um die 26.000 Menschen aus dem Irak, die eigentlich ausreisepflichtig wären. Von keiner anderen Nationalität gibt es in der Bundesrepublik so viele Ausreisepflichtige. Doch im vergangenen Jahr 2022 konnten nur 77 Menschen in den Irak abgeschoben werden, obwohl im Koalitionsvertrag von einer "Rückführungsoffensive" die Rede ist.
Allerdings gibt es offenbar bereits seit Monaten eine geheime Absichtserklärung, wie Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" (SZ) nun ans Licht gebracht haben. Demnach sind die Verhandlungen offenbar schon viel weiter fortgeschritten als der Öffentlichkeit bekannt war.
Die Recherchen zeigen auch, was genau zwischen den Staaten vereinbart worden sein soll. Demnach hätten Deutschland und der Irak festgelegt, dass beide Seiten den Wunsch hätten, ihre gegenseitige Zusammenarbeit im Bereich der Migration zu verstärken. Dazu gehöre die legale Migration, die konsularische Zusammenarbeit, die Rückkehr und Integration. Ein Punkt sei etwa die freiwillige Rückkehr von Personen ohne Aufenthaltsrecht. Diese wolle man nun angehen.
Dafür kämen jetzt alle Personengruppen infrage, nicht nur Kriminelle und Straffällige. So hätten laut den Recherchen Deutschland und der Irak eingewilligt in eine Rückübernahme, wenn die Voraussetzungen für eine Einreise, Anwesenheit oder für einen Aufenthalt nicht mehr erfüllen würden.
Ein großes Problem bei Abschiebeprozessen ist oftmals die Identitätsfeststellung. Denn Asylbewerber:innen legen häufig – ob mit Vorsatz oder ohne – keine Ausweisdokumente vor. In diesen Fällen ist es kaum möglich, die Personen in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Nun wollen sowohl Deutschland als auch der Irak sich offenbar stärker dabei unterstützen, die Personen zu identifizieren und mit Dokumenten auszustatten. Bei einer ungeklärten Identität ist es demnach auch möglich, biometrische Daten auszutauschen.
Obwohl die Vereinbarungen bisher geheim gehalten wurden, könnte bereits jetzt eine Wirkung festgestellt worden sein. Jedenfalls berichtete die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, dass der Irak mehr Identitäten von abgelehnten Asylbewerber:innen bestätigte. Während es im Vorjahr noch 115 angehörte, mutmaßliche Staatsbürger:innen aus dem Irak waren, stieg der Wert 2023 allein bis August auf 339. Und: Es gab allein bis Oktober 2023 doppelt so viele Rückführungen (164 Personen) in den Irak als noch im gesamten Jahr 2022 (77 Personen).
Aber nicht nur Abschiebungen sind den Recherchen zufolge ein Thema. Deutschland und der Irak wollen gleichzeitig offenbar auch die Einwanderung von Arbeitskräften vorantreiben. Denn, beide seien sich einig, dass die legale Migration für beide Seiten vorteilhaft sei. So könnte es für Geschäftsreisende und Studierende einfacher werden, Visa zu erhalten.
Nicht nur Deutschland hat nach Recherche von WDR, NDR und "SZ" geheime Vereinbarungen in Sachen Migration geschlossen. Auch andere Länder in Europa seien mit dem Staat demnach übereingekommen, etwa Schweden und Österreich. Die EU-Kommission bestätigte lediglich einen "beispiellosen Wandel in der irakischen Rückkehr- und Rücknahmepolitik". Und zwar seit dem "zweiten und dritten Quartal" dieses Jahres. Demnach wolle der Irak alle Rückführungen akzeptieren.
Warum aber hält sich die Ampel so bedeckt? Selbst auf Anfrage bestätigte die Regierung die Vereinbarung nicht. Man wolle die "Vertraulichkeit" wahren und deshalb keine Details nennen. Denn: Deutschland arbeite mit dem Irak im sogenannten vertragslosen Verfahren zusammen: "Aus Sicht des Bundesinnenministeriums gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Republik Irak vertrauensvoll."
Hinter der Geheimnistuerei könnte die Sorge stecken, dass die Vereinbarung nicht von Dauer ist. Denn es hat in der Vergangenheit schon des Öfteren ein Partnerland die Zusammenarbeit plötzlich beendet. Dazu passen auch die Ergebnisse der Recherche. Sowohl Deutschland als auch der Irak könnten die Vereinbarung kündigen, ohne Angabe von Gründen, heißt es.
Zudem ist das Thema heikel. Laut des Asyllageberichts des Auswärtigen Amtes ist die Situation im Irak nach wie vor schwierig. So seien selbst staatliche Stellen noch immer "für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich". So würden in dem Land Menschen mitunter durch Willkür festgenommen, auch Folter zur Erzwingung von Geständnissen sind keine Ausnahme im Irak.
Die Geheimniskrämerei kommt bei der Opposition nicht gut an. Linken-Politikerin Clara Bünger kritisiert die Ampelregierung etwa für das Vorgehen: "Bei Abschiebungen geht es schlimmstenfalls um Leben und Tod, mindestens aber um die Gewährleistung grundlegender Rechte." Die Regierung müsse offenlegen, was genau vereinbart wurde.
Auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), übt Kritik. Zwar habe er grundsätzlich Verständnis für Absprachen und deren Vertraulichkeit. Aber: "Der Kanzler kann Migrationsabkommen nicht ins Zentrum seiner Politik stellen und dann Parlament und Öffentlichkeit komplett darüber im Unklaren lassen, welche Abkommen mit welchen Staaten abgeschlossen wurden", sagt er.