"Warum?" – Diese Frage wird nach Amokläufen häufig zuerst gestellt. Danach geht es vor allem um das "Wie": Wie verhindern, dass so etwas nochmal geschieht.Bild: imago/montage: watson
Deutschland
10 Jahre nach Winnenden – hier 5 Fakten zur Arbeit gegen Amokläufe
06.03.2019, 13:04
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Wer hinüberschaut in die USA, dem wird wegen all der Schießerei an Schulen Angst und Bange. Auch hier in Deutschland gab es sie schon: Amokläufe. Dennoch bleiben sie hierzulande eine Ausnahme. Winnenden etwa, wo ein 17 Jahre alter Teenager 15 Menschen niedergeschossen hatte, ist jetzt ziemlich genau 10 Jahre her. Der Fall diente als Weckruf.
Die Kriminologin Britta Bannenberg sagt:
"Man kann Amoktaten verhindern, das ist ein ganz klares Ergebnis unserer Forschung"
Sie forscht zum Thema an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Nach dem
Amoklauf von Winnenden und Wendlingen bildete sich ein nationaler
Forschungsverbund - auch ein Expertenkreis wurde berufen und ein
Sonderausschuss im baden-württembergischen Landtag.
Aber was hat sich zehn Jahre nach der Bluttat tatsächlich getan?
In den Schulen seien Krisenteams eingerichtet worden, sagt
Bannenberg. Ihnen komme schon vor einer Tat eine zentrale Aufgabe zu.
"Das Wichtigste ist: Wie geht man mit dem Verdacht um, dass eine
Person eine Amoktat planen könnte?" Immer gebe es Anzeichen: "Die
Täter sind psychisch hoch auffällig, befassen sich intensiv mit Tod,
Töten, Terror. Das fällt dem Umfeld auf."
Eltern, Mitschüler oder
Lehrer müssten daher einen direkten Ansprechpartner haben - denn die
Hemmschwelle, mit einem möglicherweise falschen Verdacht zur Polizei
zu gehen, sei hoch. Das funktioniere aber noch nicht in ganz Deutschland", nur
"manchmal an manchen Schulen", so das Fazit von Bannenberg.
So funktionieren die Krisenteams
In Baden-Württemberg gibt es laut Kultusministerium an jeder Schule
ein Krisenteam, bestehend aus einem Vertreter der Schulleitung und
zwei weiteren Mitgliedern. Sie sollen bei Hinweisen mögliche
Gefährdungen einschätzen und die Polizei informieren – doch dafür
müssen sie geschult sein.
"Bei den knappen Ressourcen gibt es auch
immer Bauchschmerzen, wenn man Lehrer auf Schulungen schicken muss",
sagt der stellvertretende Landesvorsitzende des Verbands Bildung und
Erziehung (VBE), Michael Gomolzig. Gleichzeitig lobt er, dass die
Anzahl der Schulpsychologen aufgestockt worden sei.
Warum passiert es trotzdem immer wieder
Nach der Gewalttat vom 11. März 2009 nahe Stuttgart, bei der ein
17-Jähriger in seiner ehemaligen Realschule acht Schülerinnen, einen
Schüler, drei Lehrerinnen sowie auf der Flucht drei Menschen und
schließlich sich selbst erschoss, blieb genau diese Frage in der Öffentlichkeit hängen.
Bannenberg sagt:
"Mobbing spielte keine Rolle"
Ebenso wenig wie
bei den meisten anderen Amoktaten junger Menschen – 20 Taten waren es
laut der Wissenschaftlerin seit 1992 in Deutschland. "Sie fühlten
sich vielleicht gemobbt, das hat aber nichts mit der Realität zu
tun." Im Gegenteil, es gebe häufig keine rationalen Motive. "Die
Täter sind schwer psychisch gestört." Getrieben von Hass auf eine
Gruppe oder die Gesellschaft, suchten sie den großen Abgang.
Häufig nehmen sich junge Amoktäter andere zum Vorbild. Vom Schützen
in München ist bekannt, dass er vor seinem Amoklauf im Sommer 2016
die Tatorte in Winnenden besuchte und fotografierte.
Warum Medien ein Problem mit dem Thema haben
Udo Andriof, der Vorsitzende des 2009 eingerichteten "Expertenkreis
Amok", sieht das Verhalten der Medien in Winnenden sehr kritisch:
"Klassenkameraden wurden von Journalisten sogar gebeten, ein
Klassenfoto mit dem Täter zu besorgen."
Auch das wurde in den 83
Empfehlungen im Abschlussbericht des Gremiums berücksichtigt - mit
Erfolg, wie Andriof findet. "Der Presserat hat in seine Richtlinien
die Empfehlung aufgenommen, die Täter nicht herauszustellen und auf
die Opfer und ihre Angehörigen mehr Rücksicht zu nehmen."
So sieht der Kampf für schärfere Bestimmungen heute aus
Der Expertenkreis schlug auch Alarmsysteme extra für Amok und
sichernde Drehknöpfe in Schulen vor - so dass Türen nicht mehr von
außen geöffnet werden können. Weil das Handy-Netz damals unter einer
Vielzahl von Anrufen zusammenbrach, sollten Schulleiter künftig Pager bei sich tragen. Die Pager sind in einer
Verwaltungsvorschrift in Baden-Württemberg seit 2012 verbindlich
vorgeschrieben - Türverschlusssysteme dagegen zum Beispiel nicht.
Angehörige der Opfer gingen damals mit dem "Aktionsbündnis Amoklauf"
in die politische Offensive. Sie forderten auch ein schärferes
Waffengesetz. "Unsere Maximalforderung ist nicht durchgegangen und
das wird sie auch nie: das Verbot großkalibriger Waffen", sagt Gisela
Mayer, Vorsitzende der "Stiftung gegen Gewalt an Schulen" - dem
Nachfolger des Bündnisses. Als Reaktion auf Winnenden wurden aber
verdachtsunabhängige Kontrollen bei den rund 960 000 registrierten
Waffenbesitzern (Stand 31.12.2018) in Deutschland ermöglicht.
Waffenkontrollen oder Alarmübungen seien eine Daueraufgabe, mahnt Udo
Andriof. Aber künftige Taten ließen sich nicht komplett ausschließen.
So sieht es auch Kriminologin Bannenberg: "Ein Amoklauf ist sehr
selten und kann überall passieren." An ihrer Uni Gießen gibt es seit
2015 eine Telefonberatung für diejenigen, die eine Amoktat fürchten.
Rund 200 Anrufe seien dort bislang eingegangen.
(mbi/dpa)
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