Triggerwarnung:
Im folgenden Text geht es um Gewalt, teils auch sexualisierte Gewalt und Suizid. Die Inhalte können verstörend und/oder retraumatisierend sein.
Homosexualität ist im Iran verboten – darauf steht die Todesstrafe. Wer schwul ist, muss fürchten, angeklagt und öffentlich gehängt zu werden. Unter den Protestierenden, die seit knapp sechs Wochen auf die Straße gehen, sind auch schwule Männer und andere queere Personen. Einige berichten bei watson von ihren Erlebnissen.
Als die Proteste begannen, war Farrokh zufällig im Iran. Der schwule Mann hat sich an den Protesten beteiligt, "damit die Geschlechter-Apartheid und die Diskriminierung enden. Um gegen das islamische Gesetz zu kämpfen. Ich möchte, dass die Welt die Gefahren des Islamismus versteht." Farrokh heißt eigentlich anders und lebt in Europa. Er will seine Familie im Iran mit seinen Aussagen nicht gefährden.
Farrokh hat seine Familie im Iran besucht, die abseits von Teheran lebt. "Menschen in kleinen Städten sind leichter zu identifizieren. Die Gruppen der Demonstranten sind kleiner als in Teheran, daher ist die Unterdrückung einfacher. Sie töteten zum Beispiel sunnitische Muslime in Zahedan in der Provinz Belutschistan." Auch am Kaspischen Meer – in der Provinz Mazandaran – sei die Gefahr besonders groß, "obwohl es eine kleine Provinz ist, ist die Zahl der Todesopfer höher als in anderen Regionen".
Farrokh hatte Bedenken, ob er an den Protesten teilnehmen sollte oder nicht. "Ehrlich gesagt hatte ich Angst, dass ich den Iran nicht wieder verlassen könnte. Deshalb habe ich mich nicht auf den großen Platz begeben. Aber ich habe mit den Leuten mitgesungen, und einmal haben wir einem jungen Mann geholfen, aus den Händen von Zivilbeamten zu entkommen."
Bei den Protesten beobachte er sexuelle Belästigungen und Beleidigungen. Die Vertreter des Regimes setzten Tränengas ein, aber auch scharfe Munition. "Auf der Straße passiert alles auf einmal, manchmal gibt es überhaupt keinen Plan." Aber die Menschen reagierten und schlügen zurück: "Es ist das Recht unseres Volkes, sich zu wehren. Ich unterstütze alle meine Landsleute, die gegen die Sicherheitskräfte zurückschlagen, um die Verhaftungen und Folter von Demonstranten zu verhindern."
Erste Hilfe bekämen verletzte Protestierende durch Umstehende. Einen Krankenwagen zu rufen, sei riskant. Denn: In den Wägen seien Sicherheitskräfte anwesend. Genauso wie sie in den Krankenhäusern positioniert seien, um Demonstrierende zu registrieren. "Normalerweise helfen Leute, die wir kennen, oder denen Freunde und Familienmitglieder vertrauen."
Um die Demonstrierenden nicht zusätzlich zu gefährden, hat Farrokh alle Fotos und Kontakte von seinem Telefon gelöscht. "Damit einer meiner Bekannten freigelassen wird, zwangen sie seine Familie, die Telefonnummern seiner Freunde herauszugeben." Doch vielfach sei das nur eine Masche. Freigelassen würden die Menschen nicht.
Die Islamische Republik ist voller Gewalt, sagt der junge Mann. "Wir sind mit systematischer Gewalt im Iran aufgewachsen. Ich habe das Glück, dass ich mittlerweile außerhalb des Iran leben kann. Aber ich bin sehr traurig für meine Freunde und Verwandten im Iran. Ich bin schwul – wenn sie mich verhaften sollten, wäre alles schlimmer und schwieriger als bei anderen Protestierern."
Der 24-Jährige berichtet von abscheulichen Handlungen der Sicherheitskräfte: "Sie sind stolz auf anale Vergewaltigung von schwulen Männern. Und sie demütigen auch andere Demonstranten durch sexuelle Belästigung und durch Vergewaltigungen."
Farrokh erwartet von Politiker:innen im Westen mehr, als bislang geschehen ist. "Das Verbot der sogenannten Sittenpolizei ist lächerlich. Die Kinder und Menschen, die dem Regime angehören, sollten aus Europa, aus Kanada und Amerika ausgewiesen und ihr Eigentum zugunsten des iranischen Volkes beschlagnahmt werden."
Außerdem fordert er die Ausweisung von Botschaftern der Islamischen Republik Iran. Außerdem importiere das Regime Technologie und Material aus dem Westen, die es zur Unterdrückung der Menschen einsetze. "Ich erwarte, dass der Westen kein Tränengas und andere Repressionsmittel an die Islamische Republik verkauft."
Überwachungstechnik aus westlicher Produktion helfe dem Regime bei der Unterdrückung der Bevölkerung. Überwachungstechnologien beziehe der Staat aus westlichen Ländern. Daher die Forderung: "Videotechnik-Produktionsfirmen sollten sie meines Erachtens auch boykottieren."
Die Proteste gingen heute viel weiter, als gegen den Kopftuchzwang. Farrokh sagt:
Seit 43 Jahren litten die Menschen im Land unter mittelalterlichen Gesetzen, meint er.
Sassan wurde bei der Geburt das männliche Geschlecht zugeschrieben – Sassan beschreibt sich aber selbst als non-binär und queer. Seinen echten Namen möchte Sassan nicht veröffentlicht sehen.
Sassan erklärt:
"Aufgrund der herrschenden Homofeindlichkeit kann ich nicht länger im Iran leben. Man muss für den Liberalismus kämpfen. Deshalb nehme ich an Kundgebungen teil. Aber nur an jenen, die ich kenne. Ich informiere mich vorher und verdecke dabei mein Gesicht. Ich habe selbst sehr viel psychische Gewalt erlebt – körperliche Gewalt habe ich bei anderen Demonstranten beobachtet."
Auch Mehdi möchte seinen echten Namen nicht veröffentlicht sehen. Er nimmt an den Protesten teil. "Zunächst mal, weil ich Freiheit und Fortschritt will. Ich will das Ende dieses berüchtigten Regimes." Für ihn gebe es auch andere Gründe zu demonstrieren: "Allgemein die gesellschaftliche Situation, mit der Inflation und den hohen Preisen – auch ich merke es an meiner eigenen finanziellen Situation."
Der Gesellschaft als Ganzes gehe es so. "Ich gehe außerdem demonstrieren, um meine Unterstützung für Studenten und politische Gefangenen auszudrücken. Mein Wunsch ist es, die Gefahr für sie zu verringern. Es geht mir gegen den Strich, dass die Beamten und Staatsbediensteten die Menschen für dumm verkaufen."
Bislang sei er glimpflich davon gekommen. Trotzdem beobachtet Mehdi bei den Protesten rohe Gewalt, Schießereien, Verhaftung von Demonstranten. "Das Vorgehen der Spezialeinheiten geschieht auf die schlimmste Art und Weise. Sie greifen mit Schlagstöcken an und setzen Tränengas ein. Einheiten auf Motorrädern schlagen wahllos auf Passanten ein, zertrümmern auch Autos oder Schaufenster."
Das schlimmste sei, dass sie auch Kinder und Jugendliche schlagen, "die vielleicht 15 oder 16 Jahre alt sind. Auch sie werden durch Soldaten und Zivilkräfte verhaftet".