Früher klang Patrick am Telefon fröhlich. Er machte Witze, war optimistisch, ausgelassen.
Jetzt ist es anders: Sorge, Ernsthaftigkeit, Sachlichkeit sind in seiner Stimme zu hören.
watson kennt Patrick schon etwas länger. Wegen seiner Arbeit für die Hilfsorganisation "Leave No One Behind" ist er eigentlich hauptberuflich für die Geflüchtetenhilfe auf der griechischen Insel Lesbos stationiert.
Jetzt ist er im Kriegsgebiet. Für die Hilfsorganisation STELP ist er ist in der Ukraine, um dort Hilfsgüter zu verteilen. Der 28-Jährige ist Zweiter Vorsitzender des Stuttgarter Vereins. Jetzt ist er in die Stadt Lwiw gefahren, im Westen der Ukraine.
Am Telefon erzählt er uns von seinem Einsatz – ein Protokoll:
"Eigentlich war ich in Deutschland, weil ich dachte, jetzt kann ich finally mal ein bisschen Urlaub machen. Als ich hier angekommen bin, sind die ersten Bomben auf die Ukraine gefallen.
Mit STELP ist es so, dass wir Not- und Soforthilfe leisten, das läuft unbürokratisch und schnell. Heißt: Wenn was passiert, dann reagieren wir eigentlich in den ersten 24 Stunden. Da läuft dann nicht immer alles 100 Prozent perfekt, ist aber auch in der Regel egal. Denn alles, was in den ersten 24 Stunden dort ankommt, ist besser als gar nichts. Denn in der Regel passiert in den ersten 24 Stunden nämlich nichts.
Unser Gründer, Serkan Eren, hat dann eine Hilfsgütersammlung organisiert, er hat sich innerhalb von 24 Stunden auf den Weg in die Ukraine gemacht und war dann hier einige Tage vor Ort. An Tag sechs war es dann aber auch an der Zeit, Serkan hier abzulösen. Ich habe also in Stuttgart ein kleines Team zusammengetrommelt, wir haben nochmal Hilfsgüter eingepackt, die von einer Firma gesammelt wurden und haben uns auf dem Weg an die polnisch-ukrainische Grenze gemacht.
Wir haben uns dort einen Überblick verschafft und die Hilfsgüter ausgeladen, haben mitgeholfen bei der Verteilung der Güter in den Erstaufnahmezentren, haben mitgeholfen bei der Koordination.
Ganz viele Menschen sind ja mit Kleintransportern oder Privatautos da hingefahren, um zu spenden: Wir haben das dann dort mitkoordiniert. Serkan hat sich praktisch darum gekümmert, die logistischen Strukturen zu schaffen: Wohin verteilen wir welche Hilfsgüter? Manche werden in Erstaufnahmezentren in europäischen Nachbarstaaten gebraucht, manche sind dringend in der Ukraine benötigt. Wir haben ja ein recht großes Netzwerk. Es hat sich jetzt auch das Netzwerk "Ziviler Krisenstab" gebildet, in dem jetzt über 50 Nichtregierungsorganisationen sind.
Wir hatten zuerst auch Transporte zu Erstaufnahmezentren in Polen. Dann hat sich allerdings herausgestellt, dass das einfach sehr viele leisten können – also Hilfsgüter an die Außengrenzen zu schicken – ob es jetzt Rumänien, Ungarn, die Slowakei, Moldau oder eben Polen ist. Aber die Transporte in die Ukraine rein, das ist einfach andere Hausnummer.
Jetzt sind wir gerade in Lwiw, in der Ukraine, und schicken unsere Transporter auch direkt in die Städte hier vor Ort. Da hat Serkan praktisch eine Basis geschaffen, um Strukturen zu ermitteln. Wir haben ihn hier abgelöst, um dann diese logistischen Strukturen weiter auszubauen, Partnerinnen und Partner hier vor Ort zu finden, die die Hilfsgüter entsprechend weiter verteilen können: nach Charkiw, nach Kiew. Gerade ist zum Beispiel ein Boot von uns mit dringend benötigter Medizin auf dem Weg nach Odessa.
Auf diesem Video sind die Hilfsgüter von STELP auf einem Boot nach Odessa unterwegs (Material von Patrick Münz zur Verfügung gestellt):
Insgesamt haben wir bisher sechs 40-Tonner mit dringend benötigten Hilfsgütern in der Ukraine verteilt. Wir haben natürlich auch Bargeld mitgenommen und gestern etwa Hilfsgüter für über 2000 Euro für ein Waisenhaus eingekauft: also Lebensmittel, Hygieneartikel und alles, was die jetzt brauchen, da dort die Versorgung nicht gesichert ist. Und wir schauen eben jetzt, dass wir da ein bisschen die Versorgungskette sichern, weil eben natürlich die Lieferketten peu à peu zusammenbrechen.
Die Kids dürfen ohne einen Erziehungsberechtigten nicht einfach das Land verlassen, weil da bestimmte Papiere benötigt werden: reine Bürokratie.
Die Stadt Lwiw steht noch nicht unter Beschuss. Heißt: Hier war man eigentlich die ganze Zeit einigermaßen sicher, vor allem im Vergleich zu Charkiw oder Kiew oder sonst wo. Aber klar: Überall in der Ukraine hat man gerade ein gewisses Risiko.
Wir haben hier allerdings heute eine Warnung bekommen.
Die Information ist natürlich nicht bestätigt, aber wir haben hier ein paar griechische Journalistinnen kennengelernt, die offenbar vom Premierminister angewiesen wurden, Lwiw sofort zu verlassen, weil anscheinend die Russen auf dem Weg hierher sind.
Wir besprechen jetzt im Team, was wir machen werden. Unser Vorsitzender Serkan wollte eigentlich am Donnerstag wieder herkommen und ich vermute auch, dass er das tun wird. Jetzt muss man mal sehen, ob die russischen Soldaten die Stadt wirklich einkesseln werden. Wir schauen also, ob sich diese Informationen über den Tag bestätigen. Sollte das so sein, werden wir vermutlich morgen versuchen, hier raus zu fahren.
Die logistischen Strukturen, die wir aufbauen wollte, stehen soweit. Demnach werden wir dann vermutlich morgen früh hier abhauen.
Doch es gibt auch eigentlich jetzt schon immer wieder Bombenalarm, Hubschrauber fliegen über uns: Trotzdem sind wir noch recht sicher. Es gibt ja auch viele Bunker, in die wir können.
So eine Kriegssituation ist schon etwas ganz anderes. Mir geht es schon gut, ich bin es durch meine Arbeit gewohnt, in Krisensituationen zu arbeiten – und mit dem Leid der Menschen konfrontiert zu sein. Ich kann also schon ganz gut damit umgehen.
Man lernt hier auch recht schnell, wie man sich in einem Kriegsgebiet zu bewegen hat. Es gibt hier beispielsweise unzählige Checkpoints des Militärs, die man passieren muss. Da werden wir mit einem deutschen Kennzeichen immer rausgezogen. Weil man davon ausgeht, dass es russische Sabotage-Trupps sein könnten. Wenn sie dann aber unsere Pässe kontrollieren und klar wird, dass wir humanitäre Helferinnen und Helfer sind, dann sind sie alle wieder super dankbar und super lieb.
Angst um mich und meine Gesundheit habe ich eher weniger. Eine gewisse Sorge ist da, klar – vor allem von meiner Familie zu Hause. Es ist natürlich kein schönes Gefühl, wenn man weiß, dass die Familie krank vor Sorge ist.
Hinter jeder Katastrophe stecken eigene Geschichten. Wir lassen sie von denen erzählen, die sie erleben.