"Florida is where woke goes to die", verkündet Gouverneur Ron DeSantis und ruft damit wohl zum Kampf gegen die "woke" Welt aus. In Florida soll die "Wokeness" sterben – und das bekommen besonders Mitglieder der LGBTQ-Community zu spüren.
DeSantis hat mehrere queer- und transfeindliche Gesetze erlassen. Im konservativen Sunshine State wird etwa der Unterricht über sexuelle Orientierung in allen Klassen öffentlicher Schulen verboten. Bücher mit LGBTQ-Inhalten verschwinden aus öffentlichen Bibliotheken. Selbst der "woke" Freizeitpark World Disney steht auf der Abschussliste des Gouverneurs.
Zwei junge queere Menschen berichten bei watson, wie sie die Lage vor Ort einschätzen und wie es sich anfühlt, im Sunshine State unter DeSantis nicht grenzenlos lieben zu dürfen.
"Es sieht nicht gut aus", schreibt Mark Medley auf watson-Anfrage. Der 31-Jährige arbeitet in einer IT-Abteilung in einer kleinen Gemeinde in Florida. Der Bundesstaat ist sein Geburtsort, seine Heimat. "Ich bin hier aufgewachsen und habe später in der Gegend von Tampa Bay studiert", sagt er. Aber die aktuelle Lage für die LGBTQ-Gemeinschaft erschüttere ihn.
"Queere Personen in Florida befinden sich in der schlimmsten Lage, die es je gab", meint er. Jedenfalls seit Queerness sichtbar und akzeptiert sei, räumt er ein. Denn Florida zählt zum "Bible Belt" (deutsch: Bibelgürtel) und damit zu einem sehr konservativen Staat in den USA.
Der Begriff "Bible Belt" umfasst eine Region, die sich gürtelartig durch die Südstaaten zieht, wo die Bibel ein fester Bestandteil des Lebens ist. Die Mehrheit der Bevölkerung verfolgt einen tief konservativ-christlichen Lebensstil – und queere Menschen erhalten hier offenbar keinen Segen.
"Die queere Gemeinschaft wird ganz klar zum Schweigen gebracht", sagt Carly* auf watson-Anfrage. Auch sie wurde wie Mark in Florida geboren und hat ihr ganzes Leben bisher im Sunshine State verbracht. Laut der 31-Jährigen verstecken sich die Gesetzgeber:innen in Florida hinter dem Argument des Kinderschutzes. "Dabei ignorieren sie die realen Bedrohungen für die Sicherheit der Kinder, wie etwa Waffengewalt an Schulen", sagt sie.
"Donald Trump ermächtigte radikale Rechten und das bekommen wir heute in Florida zu spüren", erklärt Mark. Mit dem Einzug von Trump ins Weiße Haus im Jahr 2017 habe sich der Bundesstaat verändert.
Mark führt aus:
Carly meint, dass die Wahl Trumps den Weg zur Bigotterie geebnet habe. Sprich, für einen engherzigen und übertriebenen Glaubenseifer. "Die Menschen sind seit Trumps Amtszeit extrem gespalten, auch in Florida, das in den vergangenen Jahren stark nach rechts gerückt ist – zum Vorteil der Republikaner", sagt sie.
Laut Carly befindet sich DeSantis in Wahlkampfstimmung und priorisiert Gesetzesentwürfe, mit denen er bei einer möglichen Präsidentschaftswahl punkten kann. "Tatsächliche politische Maßnahmen zur Unterstützung der Floridianer und die Stimmen der Minderheiten werden dabei völlig ignoriert", meint sie.
Auch Mark kritisiert DeSantis für seine politischen Schachzüge: "Er will überwiegend nur Aufmerksamkeit erregen und von den echten Problemen in Florida ablenken." Nicht ohne Konsequenten für die Betroffenen.
"Die LGBTQ-feindlichen Gesetze sind eine große psychische Belastung für alle in der queeren Gemeinschaft", sagt er. Er habe Freunde, die bereits in liberalere Staaten umgezogen seien – an Orte, wo LGBTQ-Schutzgesetze erlassen werden. "Ich habe Trans*Freunde, die sich mit Medikamenten eindecken und daran arbeiten, den Staat zu verlassen", meint er.
Er befürchte, dass die Anti-LGBTQ-Welle, die DeSantis losgetreten hat, nicht mehr aufzuhalten ist – selbst dann, wenn er eines Tages als Gouverneur den Posten räumen sollte. Könnte sich Florida von DeSantis' rassistischer, queer- und transfeindlicher Politik schnell erholen? Wohl kaum, meint Mark.
"Es wird nicht einfach, einige der LGBTQ-Schutzmaßnahmen, die in den vergangenen Jahren durch Gesetze abgeschafft wurden, wiederherzustellen", sagt er. Doch er gibt die Hoffnung nicht auf. Die LGBTQ-Gemeinschaft in Florida sei mutig.
So schnell gibt man sich wohl nicht geschlagen. Denn laut Mark gibt es noch immer genügend Leute, die sich für die queere Community einsetzen. Aber auch ganze Konzerne wie Disney World halten die Stellung für LGBTQ-Rechte in Florida. Daher sei für ihn klar: Er bleibt.
Der gebürtige Floridianer will sich für seine LGBTQ-Gemeinschaft einsetzen. So etwa beim jährlichen Swingover-Wochenende. Der leidenschaftliche Tänzer mache sich für die Sicherheit für queere Teilnehmende an der Veranstaltung stark. "Die meiste Zeit verbringe ich mit Tanzen und konzentriere mich auf meine West-Coast-Swing-Tanzgemeinschaft in Florida", sagt er. Und Carly?
"Ich will ehrlich sein, ich fühle mich in Florida nicht zu Hause", sagt sie. Sie möchte nicht, dass ihre zukünftigen Kinder in dieser engstirnigen Gesellschaft aufwachsen. Ihr sei es auch wichtig, dass ihnen etwa eine "korrekte Geschichte" an den Schulen vermittelt werde. So entferne die Regierung Schulbücher, in denen wichtige historische Themen behandelt werden.
Sie sagt:
So hat Floridas Schulbehörde etwa beschlossen, das Schulfach African American Studies zu verbieten. DeSantis' Politik nimmt damit wohl auch rassistische Züge an – das bekommen auch Migrant:innen zu spüren. Mittlerweile sprechen mehrere Organisationen eine Reisewarnung für Florida aus. Es sei "möglicherweise kein sicherer Ort" für Minderheiten.
Carly berufe sich immer darauf, dass Amerika auf Fortschritt gegründet wurde. "Unsere Ideen ändern sich, wenn wir mehr über die Menschen lernen", meint sie. Für die junge Frau sei es wichtig, dass die Geschichte und Kämpfe der Menschen anerkannt werden. Aber die rechten Republikaner sehen ihr zufolge wohl etwas Schlechtes darin, werten es als "woke Agenda" ab.
Sie fragt sich:
Laut Carly hat die LGBTQ-Gemeinschaft schon zu viel erreicht, um jetzt zum Schweigen gebracht zu werden. "Jeder Mensch, unabhängig von seinem Alter, hat das Recht, so zu sein, wie er ist, und zu lieben, wen er lieben möchte", betont sie. Es sei nicht die Aufgabe der Regierung, darüber zu urteilen.