Wenn wir eine Beziehung mit Facebook führen würden, wir hätten es gerade beim Seitensprung mit Christopher Wylie erwischt. Kurzgeschorene orangrote Haare, Hornbrille, Nasenring, Datensammler – nach allem, was sich Facebook in den vergangenen Jahren geleistet hat, müsste man fast sagen: Wir hätten wissen können, dass das Soziale Netzwerk so einem verfallen würde.
Eigentlich geht es natürlich nicht um Wylie selbst, sondern um sein Unternehmen. In einem Interview erklärte der Whistleblower vergangene Woche, wie sein alter Arbeitgeber Cambridge Analytica die Profildaten von rund
50 Millionen Facebook-Usern teilweise heimlich gehortet hat, um damit angeblich die US-Wahlen zu beeinflussen ("Guardian"). Seine Worte haben weltweit für Schlagzeilen gesorgt.
Facebook, so sagt er, habe schon 2015 von den Plänen seiner Firma gewusst und nichts getan. Nur eine Ermahnungs-Mail sei bei Cambridge Analytica eingegangen – gefühlter Titel: "Wir müssen diese Affäre eigentlich mal beenden, ich hab schließlich so 1,5 Millarden Freunde."
Nun mag vieles an dieser Geschichte von Wylie stimmen, manches hat sich vielleicht in der laufenden Debatte aufgeblasen:
Die Aktie allerdings hat sich mittlerweile wieder erholt. Die User posten eifrig weiter auf Facebook, Instagram und WhatsApp (Alles eine Firma!). Außerdem empfahlen Experten schon vor einem Jahr, Cambridge Analytica nicht zu ernst zu nehmen. Das Unternehmen hatte schon damals behauptet, Wähler mittels psychologischer Profile aus Facebookdaten manipulieren zu können – Humbug, wie sich nur kurze Zeit später herausstellte.
Es ist also alles nicht so schlimm? Kann man sich natürlich einreden. Dennoch bleibt ein komisches Gefühl zurück: Betrug am User bleibt Betrug. Und Facebook ist nicht zum ersten Mal untreu.
Nach anfänglicher Euphorie wird relativ früh klar, dass auch in Beziehungen sich jeder selbst der Nächste ist. So auch Facebook. Wir vertrauen ihm. Und es missbraucht unser Vertrauen. Nicht nur einmal. Aber noch können wir verzeihen, zum Äußersten ist es nicht gekommen. Wir glauben die Gelöbnisse zur Besserung. Zur Erinnerung:
Allein: Die Gelöbnisse zur Besserung sind gelogen. Facebook sieht zwar immer noch gut aus, hintergeht uns aber notorisch. Und gibt sich nicht einmal mehr viel Mühe, das zu verbergen. Natürlich fliegt alles auf, Ignorieren geht nicht mehr. Man müsste eigentlich reden, aber Facebook ist zu beschäftigt damit, uns weiter für dumm zu verkaufen.
Obwohl auch um uns herum schon alle sagen, dass nach all den moralischen Fehltritten von Facebook die Trennung unumgänglich ist, kommen wir nicht von ihm los. Zwar werden die Enthüllungen immer peinlicher und kommen uns immer näher, aber wir bleiben doch. Bequemlichkeit und die Macht der Gewohnheit halten uns davon ab, das Richtige zu tun. Aber natürlich werden wir weiter enttäuscht.
Kommt man von selbst und zu zweit nicht aus dem Unglück der Beziehung raus, wird der Paartherapeut bemüht. In der Hoffnung auf eine unabhängige Vermittlung. Unsere Beziehung zu Facebook ist so angeschlagen, dass die Paartherapeuten bereits von alleine angerannt kommen.
Längst versuchen Entscheider, Facebook ein paarverträglicheres Verhalten aufzuzwingen. Deutschland gilt international als Vorbild, wenn es darum geht. Im vergangenen Jahr hat sich das Social Network hierzulande immerhin zum ersten Mal einem Gesetzgeber außerhalb der USA gebeugt. Der damalige Justizminister Heiko Maas zwingt Facebook seitdem per Gesetz zum Handeln gegen Hass-Inhalte. Mark Zuckerberg kritisiert das immer wieder in Interviews. Fakt ist: Die Regelung könnte Schule machen. Frankreich und Großbritannien denken gerade über ähnliche Gesetze nach.
Aber reicht das, um Vertrauen wieder herzustellen? Wenn alle unsere Daten jederzeit gegen uns verwendet werden könnten? So einfach ginge das leider nicht, sagt der Psychologe Stephan Lewandowski von der University of Bristol zu watson. Er hat im März das britische Parlament über die Gefahren des untreuen Facebooks beraten.
Das Schlimmste sei aber: All dies finde im Verborgenen statt. Von gezielten Nachrichten und Manipulation durch die Geliebten von Facebook bekommt die Öffentlichkeit gar nichts mit. "Politische Nachrichten müssen aber öffentlich sein", sagt Lewandowski. Ohne Öffentlichkeit gibt es keine Demokratie.
Die Politik muss Facebook demnach stärker in die Pflicht nehmen und klare Regeln vorgeben. Die Anwälte der Bürger, so ist auch Lewandowski überzeugt, werden schon bald ihren Ton gegenüber dem Netzwerk verschärfen und es damit zu einem treueren Verhältnis zu seinen Usern zwingen.
Wenn auch der Besuch beim Paartherapeuten nicht hilft, dann eskaliert der Streit gewöhnlich. Die Anwälte werden in Stellung gebracht. Und dann wird es hässlich.
Kurz nach Bekanntwerden der Cambridge Analytica-Verwicklungen reagieren bereits erste Staaten. Unter anderem hat auch der Bundestag die deutschen Vertreter von Facebook noch diese Woche zur Klärung des neuen Seitensprungs vorgeladen.
Am Donnerstagmorgen meldete sich auch die deutsche Justizministern Katarina Barley (SPD) zu Wort. Nutzer in sozialen Netzwerken dürften auf keinen Fall "gegen ihren
Willen ausgeleuchtet werden, um sie ganz gezielt mit Wahlwerbung oder
Hass gegen den politischen Gegner zu bombardieren", kritisierte Barley. Ob und wer dem Aufruf folgt, bleibt fraglich. Aber, es passiert etwas.
watson hat mit deutschen Netzpolitikern über das Verhalten von Facebook gesprochen, parteiübergreifend kam eine Forderung als Antwort: Facebook muss aufklären, wie Cambridge Analytica aus einem Fragebogen, den das Unternehmen öffentlich und transparent an rund 270.000 User ausspielte, heimlich Daten von rund 50 Millionen sammeln konnte.
Eine gemeinsame Haltung finden die netzpolitischen Sprecher deutscher Parteien auch bei der Frage, wie verantworlich eigentlich die User selbst sind. Immerhin sind wir noch immer bei Facebook und klicken dort noch immer alles an, wenn wir intressante Inhalte dahinter vermuten. Sind nicht auch wir Schuld? Eindeutig Nein, sagen die Politiker. Viel zu kompliziert sei Facebook geworden.
Schulz sieht durchaus Möglichkeiten, einen internationalen Konzern wie Facebook oder Goolge auch staatsübergreifend zu kontrollieren. "Die UN hat für Internetfragen schon lange Institutionen wie die World Summit of Information Society geschaffen, um internationales Recht zu regeln. Wir müssen diesem Beispiel in Deutschland nur folgen", sagt er. Schrenkt aber auch ein: "Es wird immer solche Geschäftsmodelle geben, die wir nicht mögen, die aber legal sind"
Bald wird es in Europa genau solche Regeln geben, und in Härtefällen kann Facebook bei Verstoß ab Mai eine Strafe in Höhe von Milliarden Euro drohen. Auch die amerikanische Handelsbehörde FTC macht mittlerweile enormen Druck auf Facebook und droht mit hohen Strafen, sollte sich ein Fehlverhalten in der Beziehung nachweisen lassen.
Solche Regeln "müssen entschlossen von der Bundesregierung umgesetzt werden", verlangt Konstantin von Notz (Die Grünen).
Die Meinungen darüber, wie solche Entscheidungen durchgesetzt werden können, gehen auseinander. "Viel zu lang hat die Bundesregierung auf Selbstverpflichtungen gesetzt", sagt Konstantin von Notz (Die Grünen). Die GroKo selbst sieht sich auf einem guten Weg, den untreuen Partner unter Kontrolle zu bringen. Schon im Sommer, wenn die neuen Regeln der EU gelten, wird sich zeigen, ob diese Beziehung weitergehen kann.