Große Themen, kleine Schritte. Der EU-Gipfel hat sich
mit dem Dauerstreit über die Asylpolitik und die Eurozonen-Reform für
diesen Donnerstag zwei harte Nüsse vorgenommen.
Geknackt werden sie
wohl auch diesmal nicht. Finden Bundeskanzlerin Angela Merkel und die
übrigen EU-Spitzen zumindest eine gemeinsame Position zu den jüngsten
Cyberangriffen, hinter denen der russische Geheimdienst GRU vermutet
wird? Am Vorabend gab es bei den Gesprächen über den EU-Austritt
Großbritanniens schon keinen Fortschritt.
Ein Überblick über die
wichtigsten Gipfelthemen:
Migration
Der seit Monaten festgefahrene Streit hat inzwischen primär
politische Gründe. Denn die Zahl in der EU ankommender Flüchtlinge
und Migranten geht seit langem zurück. Bis Ende September waren es
dieses Jahr rund 100.000 Menschen – und somit etwa ein Drittel
weniger als im Vorjahreszeitraum, wie aus jüngsten Zahlen der
EU-Grenzschutzagentur Frontex hervorgeht. Nach Italien kamen gar rund
80 Prozent weniger.
Beim EU-Gipfel im Juni wurde noch eine deutliche Verschärfung der
Asylpolitik beschlossen. Geprüft werden sollte das Konzept
sogenannter Ausschiffungsplattformen in Nordafrika, in die
Bootsflüchtlinge gebracht werden könnten. Tatsächlich ist bislang
aber kein Land bereit, ein solches Zentrum einzurichten. Außer
Gesprächen über eine "vertiefte Zusammenarbeit" mit Ägypten gibt es
nur wenig Fortschritt.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, dessen Land derzeit den
Vorsitz der EU-Staaten innehat, rückt schon wieder von dem Begriff
der Ausschiffungsplattformen ab, weil dieser "so technisch" sei.
Allerdings ist fraglich, ob damit auch die Idee an sich vom Tisch ist
oder nur ein griffigerer Titel her soll. Im Entwurf der jetzigen
Gipfel-Erklärung ist von den Zentren zumindest keine Rede.
Definitiv nicht vom Tisch ist das Vorhaben, den Kampf gegen Schlepper
deutlich auszuweiten und Migranten von vorneherein davon abzuhalten,
sich auf den Weg nach Europa zu machen. Dafür soll unter anderem der
Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex sowie der Asylagentur Easo
vorangetrieben werden. Dass Beschlüsse bis Ende des Jahres gelingen,
ist jedoch unwahrscheinlich.
Und dann ist da noch die Frage nach der Verteilung von Asylbewerbern
auf alle EU-Länder. Hier sind die EU-Staaten denkbar weit von einem
Kompromiss entfernt – nicht zuletzt, weil einige Spitzenpolitiker wie
Italiens Innenminister Matteo Salvini oder Ungarns Regierungschef
Viktor Orban innenpolitisch von dem Konflikt profitieren.
Innere Sicherheit
Angesichts deutlicher Hinweise auf Russlands Verantwortung für
massive Cyberattacken will die EU neue Abwehr- und
Sanktionsmöglichkeiten schaffen. Im Entwurf der Brüsseler
Abschlusserklärung heißt es, Angriffe wie der gegen das Computernetz
der Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) stärkten die
Entschlossenheit der EU, "feindlichen Aktivitäten ausländischer
Geheimdienstnetze" entsprechend entgegenzutreten.
Um auf die wachsenden Bedrohungen zu reagieren, sind unter anderem
ein neues Kompetenzzentrum für Cybersicherheit sowie ein Netz
nationaler Koordinierungszentren im Gespräch. Zudem könnte die EU
künftig auch auf Cyberattacken mit Strafmaßnahmen reagieren.
Neue Sanktionsregeln gegen den Gebrauch von Chemiewaffen wurden
bereits Anfang der Woche von den EU-Außenministern beschlossen. So
könnten die mutmaßlichen Verantwortlichen für den Nervengift-Anschlag
auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine
Tochter Julia in Großbritannien mit Vermögenssperren und
EU-Einreiseverboten belegt werden.
Sowohl für den Anschlag auf die Skripals als auch für Hackerattacken
gegen die OPCW und andere politische Ziele in der EU wird der
russische Militärgeheimdienst GRU verantwortlich gemacht. In
Deutschland soll er unter anderem hinter Cyberangriffen auf den
Bundestag und das Datennetzwerk des Bundes stecken.
Eurozone
Seit Jahren schon arbeiten die Eurostaaten daran, die gemeinsame
Währung gegen künftige Krisen besser zu wappnen. Beim Euro-Gipfel im
Juni war man sich grundsätzlich einig, drei Projekte voranzutreiben
oder sie zumindest näher zu prüfen. Eines ist der Ausbau des
Eurorettungsschirms ESM zu einem Europäischen Währungsfonds - ähnlich
dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Das andere Ziel ist die
Vollendung der Bankenunion, die letztlich verhindern soll, dass der
Steuerzahler im Krisenfall für Bankenpleiten zur Kasse gebeten wird.
Beide Projekte sind in den Mühen der Fachebene angelangt: Es wird
daran gearbeitet, doch hat sich die Debatte inzwischen in technischen
Einzelheiten verstrickt. Seit Juni ist nach Angaben von Insidern
praktisch kein Fortschritt zu verzeichnen. Und Merkel moderierte vor
dem Gipfel in ihrer Bundestags-Rede auch schon kühl ab: "Entscheidungen stehen nicht an."
Dasselbe gilt für das Projekt eines gemeinsamen Haushalts für die
Eurozone, den vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron
fordert. Mühsam hatte Macron der Kanzlerin in den Beschlüssen von
Meseberg im Sommer eine Art Light-Version abgetrotzt, einen
Investivhaushalt. Seitdem ist von dem Plan wenig zu hören.
Umso prominenter waren zuletzt die Sorgen wegen der Haushaltspolitik
im wichtigen Eurostaat Italien. Die neue Populisten-Regierung aus
Fünf Sternen und Lega will ihr Budget stärker auf Pump finanzieren
als zuvor in der EU vereinbart, was angesichts des riesigen
Schuldenbergs des Landes auch die Finanzmärkte nervös macht. Beim
Euro-Gipfel soll Mario Draghi als Chef der Europäischen Zentralbank
berichten, wie er Konjunktur und Marktlage einschätzt.
Ukraine-Krieg: Russland eskaliert, weil Olaf Scholz deeskalieren will
Vor mehr als 1000 Tagen fing es mit 5000 Helmen an. Russland startete völkerrechtswidrig einen Großangriff auf die Ukraine – und Deutschland antwortete mit der Lieferung von Militärhelmen.