Triggerwarnung: Im folgenden Text werden Gewalthandlungen geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.
Männer in Uniformen und mit Gewehren stehen vor einem Graben mitten in einem Wohngebiet. Zwischen dem grauen Schutt sticht ein roter Stofffetzen hervor, ein gelber Schuh, bunter Müll – und leblose, mit Blut verschmierte Körper. Es sind Bilder von Massenerschießungen durch das Assad-Regime, die bereits 2012 um die Welt gingen.
Es ist kein Geheimnis oder eine Überraschung, dass jetzt, nach dem Sturz des brutalen Machthabers, Massengräber auftauchen.
Seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges 2011 ging Assad brutal gegen die Protestierenden und oppositionellen Kräfte vor. Das zeigen auch die Foltergefängnisse des syrischen Geheimdienstes, bekannt als "Assads Schlachthäuser".
50 Jahre lang regierte die Assad-Familie mit eiserner Hand das Land. Überraschend schnell gelang es islamistischen Rebellengruppen, dieser tyrannischen Herrschaft nun ein Ende zu setzen.
Abu Mohammed al-Dscholani, bisher Regierungschef der nordwestlichen Provinz Idlib, übernimmt die Führung einer Übergangsregierung. Er ist Anführer der islamistischen Rebellengruppe "Haiat Tahrir al-Scham" (HTS), die als treibende Kraft der Großoffensive gegen das Regime gilt.
Laut ihm sollen die systematischen Menschenrechtsverletzungen der vergangenen Jahrzehnte aufgearbeitet werden. Der Menschenrechtsorganisation, Human Rights Watch (HRW), gelang es schon in den Jahren 2021 und 2022 ein Massengrab in Syrien ausfindig zu machen.
"Anhand eines Videos haben wir das Massengrab verifiziert – und sichergestellt, dass es authentisch ist – und es geolokalisiert", sagt Sam Dubberley auf watson-Anfrage. Er ist Leiter der HRW-Abteilung "Technologie, Rechte und Ermittlungen".
Damals haben er und sein Team die Merkmale des Gebäudes mit Satellitenbildern verglichen und den Standort im Tadamon-Viertel von Damaskus lokalisiert. "Diese digitale Untersuchung war von entscheidender Bedeutung zu einer Zeit, als es für HRW unmöglich war, nach Syrien zu gelangen", meint er. Das habe sich in den vergangenen zwei Wochen geändert.
Nun konnte das HRW-Team das Massengrab vor Ort besuchen.
"Als wir das Gebiet besuchten, fanden wir überall verstreute Knochen. Wir wissen nicht, ob die Leichen der im Video hingerichteten Menschen noch dort begraben sind, aber wir glauben, dass viele andere in der Gegend von Tadamon getötet wurden", sagt Dubberley. Das ganze Gebiet sei ein Tatort.
Das Massengrab erstreckt sich laut ihm sieben Meter mal drei Meter und ist etwa zwei Meter tief. "Das haben wir mit photogrammetrischen Verfahren anhand der Daten im Video gemessen. Es befindet sich in einer engen Gasse zwischen zwei Gebäuden", führt der Experte aus.
Wie viele Menschen dort insgesamt begraben liegen, könne er nicht sagen. "Am Ort des Angriffs befanden sich 13 Leichen in der Grube, und in dem Video ist zu sehen, wie weitere elf Personen hingerichtet und in die Grube geworfen wurden", sagt er. Aber wie viele weitere Opfer dort oder in der Umgebung von Tadamon getötet oder begraben wurden, sei unbekannt.
Deshalb fordere HRW, dass das Gebiet gesichert wird. "Nur so ist eine ordnungsgemäße Exhumierung möglich und es können Beweise für die Verbrechen gesammelt werden", betont Dubberley.
HRW wird laut ihm die Standorte im Rahmen der laufenden Forschung weiter untersuchen. Das von HRW gefundene Massengrab ist allerdings nur eines von mehreren Massengräbern, die gerade im ganzen Land entdeckt werden.
In der Nähe der syrischen Hauptstadt Damaskus wurde ein Grab entdeckt, das sterbliche Überreste von rund 100.000 Menschen enthalten könnte, berichtet der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira. Im Süden Syriens wurden zwölf Massengräber gefunden, heißt es weiter.
Eines davon enthielt 22 Leichen, darunter Frauen und Kinder, deren Überreste Anzeichen von Folter und Hinrichtung aufweisen sollen.
Al-Dscholani fordert die Vereinten Nationen und andere internationale Institutionen auf, bei der Dokumentation der vom Regime begangenen Menschenrechtsverletzungen zu helfen. Es kam bereits zu einem Treffen zwischen ihm und einem UN-Beauftragten. Auch die deutsche Regierung will Kontakt mit dem Islamisten aufbauen.