watson: Franziska, du hast dich gerade für ein schnellstmögliches Energie-Embargo gegen Russland ausgesprochen – auch wenn die deutsche Wirtschaft darunter leidet, richtig?
Franziska Brandmann: Ja, das ist richtig. Ich fordere die Bundesregierung dazu auf, schnellstmöglich ein Embargo auf den Weg zu bringen. Das wird auch Einbußen mit sich bringen, das möchte ich nicht verschweigen. Ich traue der Bundesregierung aber zu, ein Embargo so vorzubereiten, dass der Schaden so gering wie möglich ausfällt, also ganz konkret so, dass sichergestellt ist, dass unsere kritische Infrastruktur keinen Schaden nimmt.
Aber?
Wir haben als Deutschland eine Verantwortung, unseren Teil dafür zu leisten, dass dieser Krieg, der gerade in Europa stattfindet, so schnell wie möglich ein Ende findet. Wir müssen tun, was wir können, damit das russische Regime diesen Krieg verliert. Verantwortung übernimmt man nicht, indem man nur die Schritte einleitet, die einen selbst möglichst wenig kosten. Stattdessen muss man die Schritte einleiten, die das russische Regime möglichst empfindlich treffen.
Wollen wir das?
Wir haben in der Corona-Krise gesehen, dass der Staat in Extrem- und Notsituationen in der Lage ist, soziale Schäden abzufedern. Dass er in der Lage ist, ein Netz zu spannen, das soziale Härten abfängt. Wenn ein Embargo wirtschaftliche Schäden verursacht, dann bin ich mir sicher, dass wir diese in einem reichen Land wie Deutschland überwinden und hinter uns lassen können.
Die wirtschaftlichen Schäden, die ein Energie-Embargo mit sich bringen würde, sind übrigens ganz ausdrücklich nicht die Schuld der aktuellen Bundesregierung. Sie sind die Konsequenzen der Politik, die in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten verfolgt wurde – und die uns in eine Energieabhängigkeit von Russland geführt hat. Dafür werden wir den Preis zahlen müssen. Das ist nicht die Schuld derjenigen, die ein Embargo fordern, sondern die Schuld derjenigen, die Deutschland abhängig von der Energie eines Regimes gemacht haben, das nun nicht davor zurückschreckt, unschuldige Zivilisten und sogar Kinder zu vergewaltigen, zu ermorden und zu vertreiben.
In deiner Antrittsrede hast du auf die Forderung nach Vergesellschaftung des Sprechers der Grünen Jugend, Timon Dzienus, erwidert, dass jetzt vergemarktwirtschaftet wird. Widerspricht das nicht der Forderung, dass der Staat nun die Wirtschaft stützen soll?
Die Grüne Jugend setzt grundsätzlich auf Vergesellschaftung und die Jungen Liberalen setzen grundsätzlich auf die soziale Marktwirtschaft. Das ist der Unterschied, den ich in meiner Rede angesprochen habe. Das heißt aber nicht, dass die Jungen Liberalen in einer extremen Situation nicht auch die Notwendigkeit eines starken Staates anerkennen, der soziale Härten abfedert, die durch diese Sondersituation entstanden sind. Es gibt extreme Situation, die es erforderlich machen, von bestimmten Prinzipien für einen Moment abzuweichen. Ein Beispiel: Wir Jungen Liberalen sind eigentlich große Verfechter der Schuldenbremse ...
Eigentlich?
Klar, wir haben unsere Ideale und an denen halten wir fest: Die Schuldenbremse ist richtig, weil das Geld, das wir heute ausgeben, nachkommenden Generationen nicht mehr zur Verfügung steht.
Trotzdem finden wir es richtig, dass der Bundestag ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro in die Hand nehmen will, weil wir es in der aktuellen Situation, in der unsere Sicherheit auf dem Spiel steht, für fahrlässig halten, das nicht zu tun. Wir setzen uns jetzt also dafür ein, dass der Bund diese Schulden aufnimmt, um sicherzustellen, dass wir verteidigungsfähig sind. Wir legen aber Wert darauf, dass ein Tilgungsplan für diese Schulden vorliegen muss. Wir nehmen also nicht Abstand von unserem Einsatz für Generationengerechtigkeit. Wir reagieren nur auf die aktuelle Sondersituation.
Dem Tankrabatt, der im Entlastungspaket enthalten ist, wird von verschiedenen Seiten vorgeworfen, die Marktwirtschaft auszuhebeln. Siehst du das auch so?
Die hohen Kosten sind die Folgen des russischen Krieges. Dass der Staat Bürgerinnen und Bürger in dieser Situation entlastet, finde ich richtig. Klar ist aber auch, dass wir in der Zukunft über andere Formen der Entlastung nachdenken müssen, wenn die Preise langfristig so stark in die Höhe steigen. Und wir müssen überlegen, wie wir marktwirtschaftliche Anreize setzen können, wie wir andere Energie- und Rohstofflieferanten für uns gewinnen und Innovationen fördern können, um Preise zu senken. Am Ende des Tages wissen wir nicht, wie lange der Krieg dauern wird. Die Möglichkeit, mit Instrumenten wie Tankrabatten einzugreifen, sind begrenzt. Denn diese Rabatte zahlen am Ende der Steuerzahler und die Steuerzahlerin.
Eine weitere Möglichkeit, unabhängig zu werden, könnte der Ausbau der Erneuerbaren Energien sein.
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss in jedem Fall verstärkt werden. Im Koalitionsvertrag ist dieser Ausbau auch festgeschrieben, das ist den Jungen Liberalen sehr wichtig. Das wird in den kommenden Jahren ganz viel Energie und externen Input brauchen, um das wie geplant zu schaffen, aber der politische Wille ist da. Christian Lindner hat vor kurzem im Bundestag gesagt, Erneuerbare Energien seien Freiheitsenergien. Durch sie kann Deutschland sich seine energiepolitische Unabhängigkeit, also Freiheit, erwerben. Hier hat sich also insgesamt etwas im Denken gewandelt und das ist auch richtig so.
Wie zufrieden bist du mit der bisherigen Politik deiner Partei in der neuen Bundesregierung?
Als der Koalitionsvertrag gerade ausgearbeitet war, habe ich gesagt, dass ich das für einen richtig guten ersten Schritt halte. Erster Schritt deshalb, weil es natürlich auf die Umsetzung all der Projekte ankommt, nicht darauf, sie festzuschreiben. Die Bundesregierung hat sich sehr viel vorgenommen. Auch Beobachter haben geschrieben, dass der Koalitionsvertrag sehr ambitioniert ist. Und jetzt findet plötzlich ein Krieg in Europa statt. Das ändert noch einmal fast alles.
Inwiefern?
Die Wiederherstellung des Friedens in Europa muss jetzt das große Projekt aller europäischen Regierungen sein. Das wird jetzt leider erst einmal einiges überschatten. Wer hätte das vorausgesagt, als die Regierung angetreten ist? Obwohl wir als Junge Liberale schon sehr früh gefordert haben, Waffen an die Ukraine zu liefern, um einen Krieg noch zu verhindern, maßen wir uns nicht an, zu sagen, dass die jetzige Situation im September schon absehbar gewesen wäre. Und diese Sondersituation macht es natürlich sehr schwer, die bisherige Arbeit der Bundesregierung angemessen zu bewerten. In ihrem größten Test – dem Umgang mit diesem Krieg – befindet sie sich eben gerade erst. Grundsätzlich habe ich aber schon das Gefühl, dass die ersten Dinge, die von der Bundesregierung angegangen werden, schon etwas verändern werden.
Nämlich?
Wir haben gesehen, welche Projekte die Bundesregierung zuerst angegangen ist: Die Abschaffung des Paragrafen 219a StGB (Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche; Anm.d.Red.) und die Bafög-Reform. Schon für das kommende Wintersemester soll das Bafög erhöht werden, das ist super und überfällig. Auch wenn ich weitere Vorschläge habe, was da noch gemacht werden muss.
Wie würdest du denn das Bafög reformieren?
Wir fordern ein elternunabhägiges Bafög. Die Bundesregierung dreht jetzt an unterschiedlichen Schrauben, zum Beispiel an der Altersgrenze oder der Vermögensgrenze. Das ist positiv, denn es wird dazu führen, dass mehr Menschen Bafög erhalten können und das Bafög insgesamt auch höher ausfällt. Wir Julis gehen noch einen Schritt weiter. Wir fordern, dass nur an einer Schraube gedreht wird: Jeder, der eine Hochschulzulassung hat und studieren möchte, sollte Bafög bekommen. Es kann doch nicht sein, dass erwachsene Menschen von ihren Eltern abhängig sind oder ihre Eltern im Ernstfall sogar verklagen sollen, um sich ihr Studium finanzieren zu können.
Am Wochenende steht der FDP-Parteitag an: Welche Erwartungen hast du an ihn?
Der Bundesparteitag wird super spannend, weil wir wichtige Debatten führen müssen. Bundesparteitage gibt es zweimal im Jahr. Dazwischen werden die Debatten von der Bundestagsfraktion und dem Bundesvorstand geführt. Bundesparteitage sind da, um zu schauen: Sehen das die Delegierten auch so? Auf diesem Bundesparteitag werden wir uns natürlich vor allem mit dem Krieg in der Ukraine auseinandersetzen und damit, was wir tun können, um in diesen Zeiten zu helfen. Es wird einen großen Leitantrag geben, wie wir als Land in dieser sicherheitspolitisch angespannten Zeit wehrhafter werden können – an diesem Antrag haben wir als Junge Liberale schon im Vorfeld aktiv mitgewirkt.
Wie?
Wir haben über 20 Änderungsanträge im FDP-Bundesvorstand gestellt, die überwiegend durchgekommen sind. Einige Forderungen müssen aber noch auf dem Parteitag behandelt werden.
Zum Beispiel?
Im Leitantrag steht, dass die FDP wie wir ein schnellstmögliches Energie-Embargo fordert. Was aber versteht die FDP unter schnellstmöglich? Wir sollten auch dringend über die Lieferung schwerer Waffen sprechen. Bei der Aussprache ist es außerdem Tradition, dass die Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen den ersten Aussprachebeitrag hält. Da werde ich deutliche Worte zu aktuellen Äußerungen aus der SPD finden. Für mich ist es unverständlich, dass einige Politiker in der SPD gerade den Eindruck erwecken, als könnte sich Deutschland in der aktuellen Situation innerhalb Europas in die hinterste Reihe setzen.
Wie meinst du das?
Wir sind gerade in einer sicherheitspolitischen Lage, in der wir Krieg in Europa haben. Und der Bundeskanzler traut sich nicht, die Worte "schwere Waffen" oder "Panzer" in den Mund zu nehmen. Das ist problematisch und das werde ich ansprechen.
Das heißt, du bist unzufrieden mit der SPD. Was würdest du dir für Konsequenzen von deiner Partei wünschen?
Die FDP muss als Teil dieser Regierung eine klare Meinung zu diesen Vorgängen kommunizieren und Haltung zeigen. Teilweise passiert das schon. Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und hat den Bundeskanzler schon scharf kritisiert. Als Retourkutsche wurde sie von ihm als 'Mädel' bezeichnet. Das empfinde ich als respektlos, einer respektierten Parlamentarierin und Fachpolitikerin gegenüber.
Hier hätte die FDP ganz klar sagen müssen: "So nicht!". Es ist auch nicht schlimm, sich innerhalb einer Regierung mal zu widersprechen. Wir sind nicht Teil der Bundesregierung geworden, weil wir mit der SPD fusionieren, sondern weil wir mitregieren wollen. Kritik und Widerspruch dürfen nicht als Majestätsbeleidigung verstanden werden.
Der Krieg ist nicht die einzige Krise, mit der Deutschland aktuell konfrontiert wird. Erste Shitstorms haben mittlerweile nicht nur die Grünen mit Anne Spiegel und die SPD mit Christine Lambrecht, Olaf Scholz und Karl Lauterbach hinter sich, sondern allen voran auch Justizminister Marco Buschmann von der FDP.
Von diesen vielen angesprochenen Shitstorms galt also nur einer einem FDP-Minister. Und der war wirklich skurril!
Shitstorms gehören mittlerweile leider fast zur politischen Kultur – das ist hochproblematisch. Ich streite sehr gern, Streit ist ein wesentliches Element der Demokratie. Aber was auf Twitter immer wieder zu beobachten ist, ist der Versuch, Menschen durch einen Hashtag zu zerstören – daran kann ich mich nicht erfreuen. Der Hashtag #BuschmannsTote implizierte, dass Marco Buschmann schuld sei, dass Menschen an Corona sterben. Weil er sich als Justizminister dafür starkgemacht hat, dass wir an den bestehenden Regeln etwas ändern. Das ist pervers.
Wer sich als Justizminister für verhältnismäßige gesetzliche Regelungen einsetzt, die übrigens in allen Ländern um uns herum ebenfalls so gelten, ist für keinen einzigen Toten verantwortlich. Wer etwas anderes sagt, ist Teil des Problems, warum so wenig Menschen sich in der Politik engagieren. Die sagen: Das tue ich mir nicht an.
Zurück zu eurem Parteitag: Er liegt kurz vor zwei wichtigen Wahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Die erste Landtagswahl seit der neuen Regierung ist schon durch. Dort hat es nicht für einen Einzug gereicht.
Das finde ich sehr schade! Ich war selbst im Saarland und habe dort gesehen: Besonders die jungen Menschen hatten keinen Bock mehr auf die GroKo und das ewige "Weiter so". Dass wir dann trotzdem so knapp nicht eingezogen sind, ist natürlich extrem ärgerlich. Aber in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein haben wir eine ganz andere Situation. Da geht es jetzt darum, Regierungsverantwortung zu verteidigen. Wir haben dort angefangen, einen Unterschied zu machen – und wollen damit weitermachen.
Jetzt haben wir sowohl bei der Bundestagswahl als auch bei der Saarland-Wahl gesehen, dass die FDP bei jungen Wählern besonders beliebt ist. Welche Themen müssen auf Länderebene für die jungen Leute angegangen werden?
Das allergrößte Thema ist auf Landesebene natürlich das Thema Bildung. Die FDP möchte eine vielfältige Schullandschaft schaffen: Es soll sich nicht nur jeder entscheiden können, auf welche Schule er geht, sondern Schulen sollen auch entscheiden können, welche Schwerpunkte sie setzen, wie sie Schüler individuell fördern. Dafür müssen wir mehr Geld in Bildung investieren. Wir haben in Deutschland eine große Chancenungerechtigkeit in der Bildung. Die Situation an den Schulen ist teilweise wirklich prekär. Das können wir besser!