Erneut wurde am Mittwoch eine deutsche Stadt von einer Gewalttat erschüttert, die Wasser auf die Mühlen jener Menschen zu sein scheint, die das Asylrecht gelegentlich bis häufig infrage stellen.
Im bayerischen Aschaffenburg soll ein 28-Jähriger mit einem Messer auf eine Kindergartengruppe losgegangen sein, dabei habe er zwei Menschen getötet, darunter auch ein Kind, weitere wurden schwer verletzt.
Der mutmaßliche Täter hatte die afghanische Staatsbürgerschaft, befand sich nach Angaben des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) bereits in psychiatrischer Behandlung und im Dezember hatten Behörden seine Betreuung beantragt.
Mehrere Politiker:innen zogen da am Mittwoch schnell Parallelen zum Attentat von Magdeburg, auch hier waren psychische Erkrankungen des Täters im Voraus bekannt. Viel ist zumindest zur Gewalttat in Aschaffenburg noch nicht bekannt, viel dreht sich aber dennoch schon jetzt um das "Staatsversagen", wie etwa Christian Lindner (FDP) es nennt, bei der psychologischen Betreuung von potenziellen Straftätern und auch von Geflüchteten.
Ein Register für Geflüchtete mit psychischen Erkrankungen wird seit dem Attentat von Magdeburg etwa immer wieder gefordert. Aber wie steht es wirklich um ein potenzielles psychologisches Auffangnetz für Menschen in Deutschland?
"Wir haben große Raster angelegt für Rechtsextremisten, für Islamisten, aber offenkundig nicht für psychisch kranke Gewalttäter." Mit diesem Zitat sorgte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bereits im Dezember für Aufsehen. Ähnliche Aussagen hörte man am Mittwoch nach der Gewalttat in Aschaffenburg.
So spricht sich auch Psychologe Ahmad Mansour am Abend bei den "Tagesthemen" für ein solches Register für psychisch kranke Straftäter aus. Unklar ist jedoch, inwiefern ein solches einen Mehrwert für die Prävention zukünftiger Straftaten bringen sollte.
Lukas Welz, Geschäftsführer der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BafF) bezeichnet entsprechende Vorschläge gegenüber watson als "inhuman und zutiefst erniedrigend". "Es pauschalisiert und setzt psychische Erkrankungen mit Gefährlichkeit gleich, wodurch Vorurteile und Stigmatisierungen verstärkt werden. Diese Diskussion erinnert an die diskriminierenden Praktiken der NS-Zeit", erklärt er.
Die Praxis zeige demnach, dass psychisch erkrankte Menschen nicht gewalttätiger sind als die Allgemeinbevölkerung. Das Label "gefährlich" stigmatisiere den einzelnen Menschen nur unnötig und halte ihn langfristig davon ab, sich Hilfe zu suchen.
Auch die Frage nach dem Danach bleibt von politischer Seite bisher größtenteils unbeantwortet. "Begleitet und betreut zu werden, heißt nicht gleich, dass alle Probleme aus der Welt sind", schränkt etwa Mansour in der ARD ein. Ersichtlich wird das ebenfalls bei den Tätern von Magdeburg und Aschaffenburg, die schließlich beide bereits betreut wurden.
Ohnehin werden bei einem Strafverfahren in Deutschland stets psychische Vorerkrankungen geprüft, bei erstmaliger Straffälligkeit wird die Person psychologisch betreut. Genau genommen kann also schon jetzt bei jedem Straftäter überprüft werden, ob eine psychische Erkrankung vorliegt. Auch Welz betont auf Anfrage von watson, dass der Abbau von strukturellen Hürden im deutschen Gesundheitssystem viel erfolgreicher wäre als die anhaltende Stigmatisierung.
Denn das eigentliche Problem liegt in der allgemeinen Versorgungslage in Deutschland. Gerade in Ballungsräumen warten Menschen monatelang auf Therapieplätze, dauerhafte Betreuung ist vielerorts beinahe unmöglich. Für Menschen mit Migrationshintergrund ist die Lage noch prekärer.
Laut BafF erhielten im Jahr 2024 gerade einmal 3,1 Prozent der potenziell bedürftigen Geflüchteten eine bedarfsgerechte psychosoziale Versorgung. "Für Geflüchtete, die häufig durch Krieg, Verfolgung und Gewalt traumatisiert sind, ist der Zugang zu frühzeitiger und niedrigschwelliger psychologischer Unterstützung essenziell", erklärt Lukas Welz hierzu gegenüber watson. Doch schon hier beginnt das Problem.
Anders als in rechten Kreisen zuweilen nahegelegt, ist die Versorgungslage für Geflüchtete in Deutschland nämlich bei Weitem nicht umfassend. Wer einen Aufenthaltsstatus erhält, hat zwar direkten Anspruch auf die sogenannten Gesundheitsleistungen nach Paragraf 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erklärt, gehören hierzu aber lediglich erforderliche Behandlungen "akuter Erkrankungen und Schmerzzustände" – Diagnosen wie Depression gelten aber selten als "akut". Psychotherapeutische Behandlungen gehören damit nicht zu den Leistungen, die in den ersten 18 Monaten des Aufenthalts in Anspruch genommen werden dürfen.
Heißt konkret: Wer etwa aus einem Kriegsgebiet nach Deutschland kommt, Asyl beantragt und es auch bekommt, muss etwaige Traumata erstmal mit sich selbst ausmachen. Erst nach 18 Monaten erhalten Geflüchtete analoge Gesundheitsleistungen und können damit auch psychologische Betreuung bekommen.
Durch fehlende Integrationsmöglichkeiten plus meist extreme Sprachbarrieren bleibt Geflüchteten laut Welz der Zugang aber dennoch verwehrt – oder die Möglichkeit kommt ohnehin schon zu spät. Eine repräsentative Studie der AOK stellte bereits im Jahr 2018 heraus, dass gerade einmal 22 Prozent der befragten Geflüchteten in Deutschland laut eigener Aussagen gar keine Traumata zu verarbeiten haben.
Das BafF fordert in diesem Zusammenhang eine Überarbeitung des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Bayern Innenminister Joachim Hermann (CDU) stellte zu dem Vorfall in Aschaffenburg die Frage auf, "ob die richtigen Maßstäbe hinsichtlich der Gefährdung der Öffentlichkeit, der Gefährdung anderer Menschen wirklich auch angewendet werden". Das eigentliche Problem dürfte aber vielmehr in den Maßstäben liegen, die man in der deutschen Gesellschaft noch immer in puncto psychische Erkrankungen walten lässt.