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Gastbeitrag

Einwanderung: Sawsan Chebli fordert Beachtung Staatenloser bei Einbürgerung

PRODUKTION - 22.03.2023, Berlin: Sawsan Chebli (SPD) steht in einem Garten. Die Berliner SPD-Politikerin Chebli w
Sawsan Chebli ist als staatenloses Kind geboren – heute macht sie sich gegen Staatenlosigkeit stark.Bild: dpa / Christophe Gateau
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Jeder Mensch hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit

Der Bundestag stimmt über das "Fachkräfteeinwanderungsgesetz" ab. Zusätzlich dazu soll das "Staatsbürgerschaftsrecht" reformiert werden. Wer bisher nicht bedacht wird: Menschen ohne Staatsangehörigkeit. Warum sich das ändern muss, schreibt SPD-Politikerin Sawsan Chebli in ihrem Gastbeitag.
23.06.2023, 08:08
sawsan chebli
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Meine Eltern kamen aus einem Land, das international nicht als Staat anerkannt ist: Palästina. Millionen Palästinenser:innen leben seit Generationen in Flüchtlingslagern, entrechtet, machtlos. Flucht, Vertreibung und Verlust der Heimat machten meine Eltern zu Staatenlosen, also Menschen ohne Staatsbürgerschaft und somit ohne staatliche und politische Zugehörigkeit.

Mein Vater ist 1972 aus dem Libanon nach Deutschland geflohen, meine Mutter und elf Geschwister zogen 1977 nach. 1978 wurde ich als staatenloses Kind palästinensischer Eltern in Berlin-Moabit geboren.

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Die Gastautorin Sawsan Chebli ist SPD-Politikerin und bezeichnet sich auch selbst als Aktivistin.Bild: dpa / Bernd von Jutrczenka

Als staatenloses Kind habe ich oft erlebt, wie machtlos meine Eltern gegenüber dem System, den Behörden und der Politik waren. Ausgrenzung wurde bewusst in unserem Alltag installiert. In unterschiedlichen Abständen, mal einen Tag oder drei Tage, mal eine Woche, mal einen Monat, mal drei Monate – je nach Laune der Beamt:innen in der Ausländerbehörde mussten wir unsere Duldung verlängern. Ohne den rettenden Stempel der Behörde hätten wir als illegal gegolten.

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Zweimal wurde der Asylantrag meines Vaters abgelehnt, zweimal wurde er in der Abschiebehaft festgehalten und zweimal abgeschoben. Meine älteren Geschwister – ich bin das zwölfte von dreizehn Kindern – durften keine Ausbildung machen und nicht studieren, mein Vater durfte lange Zeit nicht arbeiten. Wir konnten uns nicht frei entfalten und lebten in einem von Existenzangst und Unsicherheit bestimmten Dauerzustand.

Ich bin inzwischen seit über 30 Jahren nicht mehr staatenlos. Doch für viele andere Menschen in Deutschland ist dieser Status immer noch Realität. Neuesten Zahlen zufolge leben heute über 126.000 Staatenlose in Deutschland. Viele von ihnen sind, genau wie ich, hier geboren oder kamen im Kindesalter nach Deutschland und wuchsen in diesem Land auf.

Die Reform des Staatsbürgerrechts
Mit der Reform möchte die Ampel-Regierung Menschen die Einbürgerung erleichtern. Auch eine Doppel-Staatsbürgerschaft soll ermöglicht werden. Staatenlose werden in bisherigen Plänen nicht explizit genannt. Dabei ist ihre Situation prekär, da ihnen grundlegende Rechte verwehrt werden. Die Reformpläne sollen noch vor der Sommerpause im Bundestag debattiert werden.
Mehr als 126.000 Staatenlose leben in Deutschland. 29.455 davon sind laut Statistischem Bundesamt als staatenlos registriert. Bei den restlichen ist der Status ungeklärt. (rs)

Dennoch sind sie immer noch kein gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft. Sie haben keinen Personalausweis, keine Reisefreiheit, keinen Job und kein Recht zu wählen. Für ihr alltägliches Leben bedeutet das für viele, dass sie kein Bankkonto eröffnen können, selbst ein Paket bei der Post abzuholen, kann Staatenlose vor extreme Hürden stellen.

Staatenlosigkeit ist eine Verletzung der Menschenrechte. Artikel 15 der Menschenrechtscharta besagt: Jeder Mensch hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. Deutschland verletzt dieses Recht seit Jahrzehnten.

Die Bedeutung der Reform für Staatenlose

Im neuen Entwurf des Staatsangehörigkeitsgesetz ist von Staatenlosigkeit keine Rede. Damit hätten Staatenlose in Deutschland keinen gesetzlich geregelten Weg zu einer Einbürgerung. Die Entscheidung über eine Staatsbürgerschaft hinge weiterhin an den Kenntnissen und Bewertungen einzelner Mitarbeitenden von Behörden.

"Deutschland ist ein Einwanderungsland". Wie oft predigen wir diesen Satz und damit auch die Vision einer zukunftsfähigen Gesellschaft? Gleichzeitig haben wir ein System geschaffen, in dem gerade die vulnerabelsten Menschen keinen gleichberechtigten Zugang zur Staatsangehörigkeit haben.

"Es kann nicht sein, dass wir die Zivilgesellschaft allein lassen mit dieser großen gesellschaftspolitischen Herausforderung."

Sie werden von keinem anderen Staat geschützt, haben oft keinen Bezug zu einem anderen Land und in Deutschland keine Möglichkeit, rechtlich und politisch dazuzugehören. Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass den meisten Politiker:innen das Problem der Staatenlosigkeit nicht bewusst ist. Sie sehen nicht, dass in Deutschland Menschen leben, die seit 30 Jahren hier sind und aufgrund ihrer Staatenlosigkeit immer noch in einer Duldung stecken.

Oder dass staatenlose Kinder trotz Geburt in Deutschland keine Geburtsurkunde erhalten und damit ihr Recht auf Identität bereits vom ersten Lebenstag an verletzt wird. Umso wichtiger ist es, der Staatenlosigkeit im neuen Staatsangehörigkeitsgesetz zumindest Sichtbarkeit zu verleihen. Denn ein Problem lässt sich nur lösen, wenn deutlich ist, dass es existiert.

Neben der Sichtbarkeit sollte die anstehende Reform sicherstellen, dass zumindest staatenlose Kinder Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit erhalten. Denn Staatenlosigkeit wird häufig weitervererbt – mit der Folge, dass die Anzahl Staatenloser in Deutschland immer weiter wächst und es nicht gelingt, den Teufelskreis zu durchbrechen.

Aufgrund dieses bislang fehlenden Zugangs zur Einbürgerung sind aus vielen staatenlosen Kindern mittlerweile staatenlose Erwachsene geworden, von denen viele bis heute keine Geburtsurkunde haben.

Die anstehende Reform ist eine Chance, diesem Unrecht ein Ende zu setzen, indem wir Menschen, die zwar offiziell staatenlos, aber faktisch Inländer sind, einen angemessenen Zugang zur Einbürgerung verschaffen, der ihre Staatenlosigkeit berücksichtigt. Es ist kein Gefallen, staatenlosen Kindern die Möglichkeit zu geben, Deutsche zu werden. Es liegt in unserem ureigenen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Interesse.

Ich selbst wurde im Alter von 15 Jahren eingebürgert. Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern. Es war ein Moment der Befreiung, aber gleichzeitig auch ein Moment der Verbindung. Ein Tag, an dem ich mich erstmals als "echte Deutsche" fühlte, der Tag, der mir die Freiheit gab, mich in dieser Gesellschaft zu entfalten und zu ihrer Gestaltung beizutragen.

Ich bin froh, dass es Organisationen wie Statefree oder das Institute on Statelessness and Inclusion gibt, die sich für Staatenlose einsetzen. Aber es kann nicht sein, dass wir die Zivilgesellschaft allein lassen mit dieser großen gesellschaftspolitischen Herausforderung.

Hier ist die Politik gefragt, Verantwortung zu übernehmen. Zu Recht fordert Deutschland Staaten auf der ganzen Welt zur Einhaltung der Menschenrechte auf. Nicht nur, aber auch, was die Rechte Staatenloser angeht, sollten wir zu Hause anfangen. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ist eine Chance, die UN-Menschenrechtscharta einzuhalten, in der es heißt: Jeder Mensch hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit.

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