Nach dem Rücktritt des britischen Außenministers Boris Johnson im Streit über die Brexit-Verhandlungen hat Premierministerin Theresa May umgehend die Nachfolge geregelt.
May, die eine enge Bindung an die Europäische Union bewahren will, kämpft um ihr politisches Überleben. Beobachter befürchten einen Aufstand der Hardliner in ihrer konservativen Partei, die einen strikten Bruch mit der EU anstreben.
Unter den britischen Konservativen gibt es einen erbitterten Streit darüber, ob es einen "harten" oder "weichen" Brexit geben soll. Dieser Streit ist nun endgültig eskaliert. Zuvor war bereits Brexit-Minister David Davis wegen des Streits über die Verhandlungen zum Austritt des Landes aus der EU zurückgetreten.
Anlass war Davis zufolge eine von May erzielte Einigung im Kabinett, nach der die Insel nach dem Austritt teilweise in der EU-Zollunion verbleiben soll. Mit der Festlegung habe May der EU "zu einfach zu große" Zugeständnisse gemacht, sagte der 69-Jährige im BBC Radio.
Mit Boris Johnson trat nun auch das Gesicht der Brexit-Kampagne zurück. Johnson gilt als Brexit-Hardliner und als einer der Hauptkritiker Mays. Er hatte ihren Brexit-Kurs immer wieder als zu weich angegriffen. Am Freitag hatte sich May gegen seinen Willen mit ihrer Entscheidung für eine Beibehaltung einer engen wirtschaftlichen Anbindung an die Europäische Union durchgesetzt. Der Plan sieht die Schaffung einer Freihandelszone mit der EU für Güter sowie weitere enge Beziehungen zur EU vor.
Der ehemalige Londoner Bürgermeister war Wortführer der Europagegner in Großbritannien. Der exzentrische Konservative hatte nach dem Brexit-Votum 2016 gesagt, die EU sei "eine noble Idee für ihre Zeit" gewesen, doch "nicht länger richtig für dieses Land".
Für Theresa May kommen die Rücktritte von Johnson und Davis zur Unzeit. Knapp neun Monate vor dem EU-Austritt am 29. März 2019 ist damit unklar, ob May eine Rebellion der Brexit-Hardliner in ihrer Partei abwenden kann. Eigentlich soll ein Abkommen über den Austritt schon im Herbst stehen, damit es noch rechtzeitig ratifiziert werden kann.
Für May, die seit der Neuwahl im vergangenen Jahr im Parlament nur noch über eine hauchdünne Mehrheit verfügt, sind die Rücktritte ein herber Schlag. Sie muss nun mit weiterem Widerstand aus dem Brexit-Flügel ihrer Partei rechnen. Etwa 60 Abgeordnete in ihrer Fraktion werden dazu gezählt.
Theresa May hat ihren kooperativen Kurs in den Brexit-Verhandlungen am Montag im britischen Unterhaus verteidigt. Sie bedauerte den Rückzug Johnsons und ihres Brexit-Ministers David Davis, verwies aber auch auf die unterschiedlichen Ansichten der beiden mit Blick auf das Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU nach dem Ausstieg Londons aus der Union im kommenden Jahr. Ihr Ziel, weiterhin enge Beziehungen zur EU zu pflegen, schütze Arbeitsplätze und sei das beste für die Bevölkerung, sagte May.
EU-Ratspräsident Donald Tusk hat zurückhaltend auf die Rücktritte der britischen Minister David Davis und Boris Johnson reagiert.
"Ich kann nur bedauern, dass die Brexit-Idee nicht mit Davis und Johnson gegangen ist. Aber... wer weiß?"
Tusk hat seinerseits immer wieder für die Idee geworben, dass Großbritannien doch in der EU bleiben könnte.
Auch wenn es in der britischen Politik Befürworter eines zweiten Referendums über den Brexit gibt, ist eine Entscheidung zur Abkehr vom EU-Austritt derzeit nicht in Sicht. Ein Verbleib Großbritanniens müsste dann auch noch einstimmig von den anderen 27 EU-Staaten gebilligt werden.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fügte nur einen kurzen, offenbar sarkastisch gemeinten Kommentar hinzu: Die Rücktritte bewiesen, dass bei der Klausur des britschen Kabinetts am Freitag großes Einvernehmen geherrscht habe.
Labour-Chef Jeremy Corbyn erklärte die Brexit-Politik der Regierung für gescheitert. "Theresa May hat keine Autorität mehr und ist nicht in der Lage, den EU-Austritt durchzuführen", twitterte er.
Die Bundesregierung sieht durch den Rücktritt Davis' keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Verhandlungen mit Großbritannien. "Wir haben keine Zweifel daran, dass die britische Regierungsseite verhandlungsfähig ist", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Er begrüßte, dass die Regierung in London in Kürze ihre Vorschläge auf den Tisch legen wolle. Die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz betonte: "Die Zeit drängt." Bis Oktober müsse der politische Rahmen für den Austritt aus der EU geklärt sein.
Die FDP fordert im Bundestag ein neues Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU. "Angesichts der Zerstrittenheit der Regierung ist eine zweite Volksabstimmung dringend erforderlich", sagte der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Alexander Graf Lambsdorff, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Es könnte dabei über verschiedene Szenarien abgestimmt werden – auch über einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union." Seine Partei habe das Votum der Briten immer respektiert, sagte Lambsdorff und ergänzte: "Jetzt haben wir eine neue Lage."
(aj/ts/mbi/dpa/afp/reuters)