Seit Anfang des Monats läuft ein Gerichtsverfahren gegen zehn führende Mitglieder und sieben Sympathisanten der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften "Identitären Bewegung Österreich" (IBÖ).
Allen 17 Angeklagten wird der Tatbestand der "Kriminellen Vereinigung", elf wird Verhetzung, 6 Sachbeschädigung und einem Nötigung vorgeworfen, wie "Prozess Report" schreibt. Auch IBÖ-Chef Martin Sellner ist unter den Angeklagten. Er ist das "hippe" Gesicht der Bewegung.
Die Identitären und deren Sympathisanten in ganz Europa schauen nun nach Österreich. Denn eine Verurteilung würde möglicherweise auch Ableger der Identitären Bewegung in anderen Ländern, vor allem in Deutschland, angreifbar machen.
Die Ermittlungen starteten im April 2016. Aktivisten der Gruppierung hatten sich Zugang zum Dach der Grünen Partei Steiermark verschafft. Dort entrollten sie ein Transparent mit dem Slogan "Islamisierung tötet" und verschütteten Kunstblut.
Vor Gericht erklärten die Angeklagten, dass sie mit dem Slogan lediglich den "radikalen" Islam ansprechen wollten. Warum sie nicht einfach die klare Formulierung "Radikaler Islam tötet" als Slogan verwendet haben, rechtfertigten die Aktivisten vor dem Richter damit, dass überspitze Formulierungen gängige Praxis bei "aktivistischen Gruppierungen" seien.
Des Weiteren befragte der Richter die Angeklagten zu einer Aktion am 9. Juni in Klagenfurt, bei der Mitglieder der IBÖ in eine Vorlesung über Asyl und Migration stürmten. Dort wurde dem Rektor der Universität vom Angeklagten Luca K. in den Bauch geschlagen, nachdem er versucht hatte, diesen festzuhalten.
Derartige Guerilla-Aktionen von rechts sind typisch für die Identitäre Bewegung. Für sie ist es üblich, Gebäude zu ersteigen, um Banner zu entrollen, in Vorlesungen zu stürmen oder spontane Aktionen an öffentlichen Orten abzuhalten. Die Identitäre Bewegung Deutschland hatte das Brandenburger Tor besetzt und eine Moschee in Mecklenburg-Vorpommern zugemauert, die Génération Identitaire in Frankreich eine Moschee besetzt.
Generell ist die Zusammenarbeit zwischen den Länderorganisationen sehr ausgereift. Beispielsweise war der Ex-FPÖ Politiker und Leiter der IB-Steiermark "Luca K." bei der Besetzung der CDU-Parteizentrale dabei. Ein perfektes Beispiel dafür sind auch die länderübergreifenden "Defend Europe" Aktionen. Im April kletterten beispielsweise an die hundert Aktivisten auf den 1762 Meter hohen Pass "Col de l’Échelle", der sechs Kilometer von der Grenze zu Italien entfernt liegt. Auch dort waren Aktivisten aus Österreich beteiligt.
Die Forderungen und Parolen der Identitären im deutschsprachigen Raum sind nahezu deckungsgleich. So sprechen beispielsweise beide über "Remigration" und "Erhalt der ethnokulturellen Identität". Sollten also bestimmte Kampfbegriffe der Identitären Bewegung Österreich als verhetzend eingestuft werden, wären bei Verwendung in Deutschland, Verurteilungen nach dem Tatbestand der Volksverhetzung nicht auszuschließen.
Vor Prozessbeginn meldeten sich viele bekannte Gesichter der österreichischen Politik. So sagte SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim:
Auch die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes und jetzige NEOS-Justizsprecherin Irmgard Griss warnt:
Abseits von möglichen juristischen Folgen wäre eine Verurteilung von Martin Sellner mit bis zu prinzipiell möglichen drei Jahren Freiheitsstrafe für die IB in Deutschland fatal.
Denn: Martin Sellner ist und bleibt das Gesicht und Aushängeschild der Identitären Bewegung. Alleine auf seinem Videoblog hat er die dreifache Anzahl an Abonnenten im Vergleich zum offiziellen Kanal der "Identitären Bewegung Deutschland". Auch bei der Demonstration der IB in Berlin hat sich gezeigt, dass Sellner nicht nur innerhalb von Österreich eine zentrale Rolle spielt. So verhandelte Sellner mit der deutschen Polizei und besprach sich vor Auflösung der Versammlung mit dem Demonstrationsleiter.
Im Falle eines vollständigen Freispruches wäre dies "eine David-gegen-Goliath-Erzählung: Das vermeintliche Establishment gegen die 'patriotischen Kritiker'" , wie der "Mosaik Blog" schreibt. Einen Effekt hat der Prozess unabhängig des Ausgangs ganz sicher: Aufmerksamkeit für die Gruppierung.
Aktuell sind noch zwei Verhandlungswochen angesetzt, danach sofort ein Urteil zu erwarten, erscheint zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht unbedingt realistisch.