Ein Israeli mit Kippa wird auf offener Straße angegriffen. In Schulen kursiert "Jude" wieder als Schimpfwort. Felix Klein soll als Antisemitismusbeauftragter im Auftrag der Regierung gegen antisemitische Vorurteile kämpfen. Er hat viel zu tun dieser Tage. Ein Interview.
watson: Herr Klein, die Diskussionen rund um Judenfeindlichkeit in
Deutschland werden in diesen Tagen sehr intensiv geführt. Alle schauen nun auf
den Antisemitismusbeauftragten. Sie
sollen es richten. Zu viel verlangt?
Felix Klein: Der große Erwartungsdruck ist mir bewusst.
Und Wunder werde ich natürlich nicht bewirken können. Gleichwohl habe ich keine
Angst vor der Aufgabe, sondern gehe sie gerne an. Denn ich weiß, es gibt viele
motivierte und qualifizierte Partner in Bund, Ländern und bei
Nichtregierungsorganisationen, mit denen ich das zusammen machen kann. Und durch
die Zusammenführung und Koordinierung dieser vielen Kräfte kann man sehr viel
erreichen.
Die Herangehensweise, Antisemitismus mit einem Beauftragten zu
begegnen, erscheint sehr deutsch. Das Phänomen ist 2000 Jahre alt. Was entgegnen Sie Kritikern wie dem Historiker
Michael Wolffsohn, der ihren Posten als völlig naive Bürokratenidee empfindet?
Es ist ja keine Superbehörde, die ich leite. Ich habe
hier ein Büro mit einem ganz kleinen Mitarbeiterstab ohne Verwaltungspopanz.
Und Herrn Wolffsohn würde ich sagen, dass durch die Einrichtung dieses Postens
die deutsche Politik anerkannt hat, dass es in Deutschland ein
Antisemitismusproblem gibt. Mit jedem Problem ist es so, dass man es erst
einmal ehrlich benennen muss. Erst dann kann man es effizient angehen.
Als eine der ersten Maßnahmen haben Sie angekündigt, die Kriminalstatistik zu überprüfen. Was ist ihre Kritik daran?
Diesem Widerspruch möchte ich auf den Grund gehen. Der muslimische Antisemitismus erscheint in der jetzigen Kriminalstatistik nicht so, wie er wahrscheinlich vorhanden ist. Daher ist es sinnvoll, die Kriterien noch einmal zu überprüfen. Es müssen auch Schulungen für Polizeibeamte ins Leben gerufen werden, um sie besser in die Lage zu versetzen, die Vorfälle richtig einzuordnen. Und: Wir brauchen ein Meldesystem für die Fälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Meine Idee ist, dass sich die Betroffenen an die Jüdischen Gemeinden wenden. Die Gemeinden gehen dann mit einer Behörde die Fälle durch und das wird bundesweit gesammelt, sodass wir am Ende einen besseren Überblick bekommen.
Höre ich da heraus, dass die Behörden den muslimischen
Antisemitismus nicht genau im Blick haben?
Sie haben das schon im Blick. Aber
in vielen Fällen ist es für Polizeibeamte schwierig einzuordnen, wann
die Kritik an Israel okay ist und wann sie antisemitisch wird. Die
Bundesregierung hat dazu eine Arbeitsdefinition herausgegeben. Diese könnte
helfen.
Sie wollen auch die Islamkonferenz wiederbeleben. Was
versprechen Sie sich davon?
Dass wir auch im Rahmen der
Islamkonferenz über Antisemitismus sprechen. Mein Ziel ist es, die Verbände, Moscheegemeinden
und die Muslime in Deutschland möglichst insgesamt davon zu überzeugen, dass es
auch für sie gut ist, wenn sie den Kampf gegen Antisemitismus aufnehmen. Weil
sie damit nicht nur ein wichtiges Signal senden, sondern auch Solidarität
besser einfordern können, wenn beispielsweise eine Moschee oder eine
kopftuchtragende Frau angegriffen wird.
Die
Islamverbände vertreten allerdings nur einen kleinen Teil aller deutschen
Muslime. Wie kommen Sie an die anderen heran?
So ist
es. Nur etwa 20 Prozent der Muslime sind in Verbänden organisiert, die anderen
müssen wir auch erreichen. Das kann direkt über Imame geschehen, auch mit Hilfe
von Einzelpersönlichkeiten, die eine Vorbildfunktion haben. Außerdem muss man
übers Internet gehen und auch die arabischsprachige Presse hier in Deutschland
miteinbeziehen. Und mit den
säkularen Muslimen will ich natürlich auch zusammenarbeiten.
Die Antisemitismusforschung spricht von einem latenten
Antisemitismus, der konstant bei 15-20 Prozent in der gesamten Bevölkerung
liegt. Und in Studien sagen regelmäßig ein Viertel der Deutschen, dass ein
Schlussstrich unter die Holocaustdebatte gezogen werden sollte. Wie gehen Sie
damit um, dass die Erinnerungskultur mittlerweile auch ganz offen in Frage gestellt wird.
Das ist das schwierigste Problem. Diese latent antisemitischen Einstellungen sind seit Jahrhunderten tradiert. Deutschland hat sich auch nach Ende der Nazizeit davon nicht erholt.
Hier wird der gesamtgesellschaftliche Konsens, der über viele Jahrzehnte bestand hatte, aufgekündigt. Sie hat diese Schlussstrichdebatte in die Tagespolitik geführt und das ist sehr gefährlich. Denn es trägt dazu bei, dass diese antisemitischen Einstellungen wieder hoffähig werden.
Wie sehr nervt es Sie, wenn dann plötzlich Rechtspopulisten das Thema
entdecken, sobald es um Muslime geht?
Der Kampf dieser
Menschen gegen Antisemitismus ist unglaubwürdig, wenn
sie es machen, um gegen Muslime zu hetzen. Eine Minderheit gegen die andere
ausspielen, diese Rechnung wird nicht aufgehen. Ich bin sehr froh, dass die
muslimischen Verbände und der der Zentralrat der Juden da nicht mitgehen.
Dafür kämpfe und stehe ich auch,
dass keine Partei versucht, mit dem Thema auf Stimmenfang zu gehen. Da gehört
es auch dazu, dass der breite Konsens in der Erinnerungspolitik bestehen
bleibt, so, wie er die Bundesrepublik über viele Jahre auch vorangebracht hat.
Im Ausland habe ich immer wieder festgestellt, über welches Ansehen unser Land
aufgrund seiner Erinnerungspolitik verfügt. Gerade weil es sich so
differenziert mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt. Daran darf nicht
gerüttelt werden.
Sie sind in Italien aufgewachsen und haben in mehreren
europäischen Ländern gelebt. Wie sehr hilft Ihnen der Blick von außen beim Umgang
mit dem Phänomen Antisemitismus?
Es hilft sehr, weil insbesondere in
Europa die Situation des Antisemitismus‘ in jedem Land eine andere ist. In
Frankreich sogar noch brutaler. Wenn man sich überlegt, dass dort eine
Holocaustüberlebende umgebracht wurde, nur, weil sie Jüdin ist. Der Blick von
außen hilft da schon sehr bei der Einordnung. Aber auch die historische
Situation ist überall anders. Und wir sind natürlich zu recht in Deutschland
ganz besonders sensibel. Denn hier wurde der Holocaust erfunden und in die Tat
umgesetzt.