Ein Interview mit dem Historiker Dieter Langewiesche über die "Neue Rechte", Geschichte im Reinwaschgang und mögliche Gegenstrategien.
Dieter Langewiesche ist
74, lehrt Geschichte an der Universität Tübingen. Der Historiker hat sich intensiv mit der Geschichte der liberalen Freiheitsbewegung im 19. Jahrhundert befasst. In seinem Buch "Republik und Republikaner" beschreibt er, wie die rechtspopulistische Partei "Die Republikaner" in den 90ern einen demokratischen Begriff kaperte.
watson: Herr Langewiesche, Sie haben in Ihrem Buch "Republik und Republikaner" mit Blick auf die damals neue Partei von Franz Schönhuber schon in den
90er-Jahren vor der "historischen Entwertung" eines demokratischen Begriffs
gewarnt. Was meinen Sie damit?
Dieter Langewiesche: Ich würde von einer
Begriffsokkupation sprechen. Hier werden Begriffe einfach gekapert.
Republikaner standen historisch gesehen ja immer links. In den Englischen
Revolutionen im 17. Jahrhundert, in der Französischen Revolution, in den
europäischen Revolutionen 1848. Republikaner definierten sich stets in ihrem Kampf
gegen die Monarchie für eine demokratische Gesellschaft. Immanuel Kant hat das in
seiner Schrift „Zum Ewigen Frieden“ als Republikanismus beschrieben, darunter
verstand er, vereinfacht gesagt, rechtsstaatliche Strukturen, Trennung von
exekutiver und legislativer Macht. Republikaner verstanden sich also – bei
allen verschiedenen Spielarten – immer links. 1848, 1918 immer ging es um
Opposition zum Obrigkeitsstaat.
Rechtskonservative Anhänger der Union wie der Ökonom Max Otte und Vertreter der AfD haben nun zu einem Neuen Hambacher Fest eingeladen.
Damals demonstrierten 1832 rund 30.000 Menschen in der Pfalz für Pressefreiheit
und gegen Fürstenherrschaft. Wenn die Neue Rechte nun solche republikanischen
Symbole besetzt, stilisiert sie sich dann als Freiheitskämpfer im Streit gegen
eine illegitime Ordnung?
Diese Versuche sind nicht neu. Es
geht darum, einzelne Ereignisse oder Orte der Geschichte, die
freiheitlich-progressiv besetzt sind, zu übernehmen. Eine Art
geschichtspolitischer Enteignung. Das ist inhaltlich falsch, aber politisch
geschickt. Man versucht, bekannte Symbole zu besetzen und sich in eine angesehene
historische Traditionslinie einzureihen.
Hier "enteignet" die AfD Stauffenberg
Es fällt auf, dass die AfD jetzt
auch versucht, sich Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts einzuverleiben. Die
Parteistiftung soll nach Gustav Stresemann benannt werden, einem
Nationalliberalen, der als Außenminister der Weimarer Republik für einen
Ausgleich mit Frankreich eintrat. Ähnlich ist es mit dem Hitler-Attentäter
Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder Erwin Rommel. Lenkt
man damit von eigenen antisemitischen Positionen ab?
Das zum einen. Aber historisch
ist das doch bizarr, wenn einzelne honorige Personen für die eigene Politik instrumentalisiert
werden sollen. Um diese Instrumentalisierungstaktik aufzudecken, sollte man fragen,
was bedeutet es, sich auf Rommel zu berufen, konkret für eure Politik? Eine offensive
Militärpolitik, also auf nach Afrika? So würden wohl viele erkennen:
Diese Symbolpolitik ist inhaltsleer
Oder sehr gefährlich wäre, wenn man sie inhaltlich füllte.
AfD-Geschichtsdeutung im Mainzer Landtag
Welche Gegenstrategie würden Sie denn als Historiker empfehlen?
Man sollte sich jetzt nicht auf
einen Geschichtskampf einlassen. Ähnlich wie bei Rommel sollte man stets ganz
konkret fragen: Was bedeutet die Berufung auf Geschichte für die
Gegenwartspolitik der AfD? Für die Militärpolitik. Für die
Gesellschaftspolitik.
Wer sich auf Hambach beruft, kann zu Pressefreiheit nicht schweigen. Wer sich auf 1848 beruft, muss sich zu Parlamentarismus, Gewaltenteilung und gegen autoritäre Strukturen bekennen.
Das Übersetzen historischer
Symbole auf die konkrete Politik ist meines Erachtens zielführender als der
Kampf, wem diese Symbole gehören.
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