Stell dir vor, du bekommst widerliche, obszöne und sexistische Nachrichten geschickt. Du veröffentlichst sowohl die Nachrichten, als auch die Identität des mutmaßlichen Absenders. Und dann wirst du dafür verklagt und verurteilt.
Klingt absurd? Willkommen in Österreich.
Dort ist genau das der ehemaligen Grünen-Abgeordneten Sigi Maurer in Wien passiert. Sie wurde am Dienstag wegen übler Nachrede verurteilt. Dagegen will sie weiter juristisch vorgehen. Außerdem hofft sie, dass der Fall dazu beiträgt, Gesetze in Österreich zu ändern.
Wir haben mit Sigi Maurer gesprochen.
Am 29. Mai geht Sigi Maurer von der Arbeit nach Hause. Der Weg führt sie wie jeden Tag an einem Craftbeer-Geschäft im 8. Wiener Gemeindebezirk vorbei. Der Besitzer des Geschäfts stehe häufiger mit seinen Freunden auf dem Gehsteig und trinke Bier, so Maurer. Auch an diesem Tag muss sie zwischen Herr L. und seinen Freunden hindurch – "eine Situation die sie genutzt haben, um mich deppert anzureden", wie Maurer am nächsten Morgen in einem folgenreichen Facebook-Post schreibt. Eine halbe Stunde später bekommt Sigi Maurer dann eine Facebook-Nachricht. Der Absender: Der Account des Besitzers.
In ihrem Facebook-Post ist jedoch nicht nur der Screenshot der Nachricht zu sehen, sondern auch der ganze Name und die Geschäftsadresse.
Auf den prasselt anschließend ein Shitstorm ein – sowohl offline, als auch vor Ort in seinem Bier-Geschäft.
Und so kommt es schließlich zu einer juristischen Auseinandersetzung. Allerdings nicht, weil Sigi Maurer Anzeige erstattet. Tatsächlich ist es der Besitzer des Craftbeer-Ladens, der Klage einreicht. Die Vorwürfe: Üble Nachrede und Kreditschädigung. Schon nach Maurers Post behauptet L., die Nachricht gar nicht verfasst zu haben. Auf seinen Computer hätten mehrere Leute im Geschäft Zugriff. Mit dieser Argumentation zieht er auch vor Gericht – und gewinnt zumindest in der ersten Instanz.
Sie habe nicht damit gerechnet, dass das Gericht zu diesem Schluss kommt.
Denn sogar der Richter ist davon überzeugt, dass L. lügt und die Nachricht verschickt hat – zweifelsfrei nachweisen lässt sich das jedoch nicht. Deshalb wird die ehemalige Grünen-Abgeordnete am Dienstag zumindest der üblen Nachrede schuldig gesprochen. ("Der Standard")
Der Besitzer des Craftbeer-Ladens müsste sich hingegen nicht mal dann Sorgen um eine Verurteilung machen, wenn man ihm nachweisen könnte, dass er die Nachricht geschrieben und abgeschickt hat. "In Österreich haben wir im Gegensatz zu Deutschland eine Gesetzeslücke", sagt Sigi Maurer
Eine Privatnachricht ist, anders als etwa ein Facebook-Post, nicht öffentlich. Der Verfasser der Nachricht an Sigi Maurer kann sich also – juristisch gesehen – entspannt zurücklehnen. In Deutschland hingegen kann auch eine privat verschickte Beleidigung strafbar sein.
"Es muss eine Gesetzesänderung her, die ermöglicht, dass man sich rechtlich dagegen wehren kann", sagt Maurer. Das Urteil gegen sie empört viele Österreicher. Sigi Maurer hofft, dass diese Empörung jetzt dazu beiträgt, dass die Gesetzeslage verändert wird.
Die Frauenministerin und der Justizminister hätten bereits verkündet, dass sie sich diesem Thema in einer Arbeitsgruppe widmen wollen.
Und auch in ihrem Fall will Sigi Maurer nicht klein beigeben. Sie legt Berufung gegen das Urteil ein und sagt:
Denn das Urteil, sagt sie, sei "natürlich ein Freibrief". Wenn es ausreiche, zu sagen "ich war es nicht", dann ermuntere das die "Hater" geradezu.
Drohungen und Beleidigungen bekommt die ehemalige Abgeordnete bereits seit Jahren zugeschickt.
Und auch nach dem Urteil vom Dienstag hört dieser Strom an Hassnachrichten nicht auf. Wie reagiert Maurer also künftig auf solche Botschaften? Zuerst einmal stellt sie klar:
In derselben Form würde sie es trotzdem wahrscheinlich nicht wieder tun. "Ich würde es entweder anonymisieren, oder nur schreiben, dass es von dem Account kommt", sagt sie.
Genau dies tut Maurer seit Dienstag bereits – und macht dabei die Absurdität des Gerichtsurteils deutlich. Auf Twitter hat sie mehrere Screenshots von Hassnachrichten veröffentlicht. Jeweils mit dabei: Sigi Maurers Antwort. Darin bittet sie die Verfasser um einen Identitätsnachweis und eine Bestätigung, dass sie die Nachricht tatsächlich selbst verschickt haben – um ihrer "journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen".
Durch ihre politische Tätigkeit ist Maurer – wie viele andere Frauen im Internet – gezwungenermaßen zu einer Art Expertin für de Umgang mit sexistischem Hass geworden. Sie rät: