Die Europawahlen am vergangenen Sonntag sorgten in einigen Ländern für ein politisches Beben. In Deutschland wunderten sich viele Wähler:innen der Mitte und politischen Linken, wie viele Menschen die AfD trotz all der Skandale gewählt haben. Und hätte es eben diese Skandale nicht gegeben – die Remigrations-Enthüllungen, die Spionage- und Korruptionsvorwürfe, die SS-Verharmlosungen von Maximilian Krah –, dann hätte es wohl noch schlimmer kommen können.
Etwa so schlimm, wie in Frankreich. Dort hat der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) die Europawahlen gewonnen – mit einem riesigen Abstand. Die Partei sammelte gar doppelt so viele Stimmen wie das Bündnis von Präsident Emmanuel Macron. Dieser rief daraufhin Neuwahlen für Juni und Juli aus.
Und seitdem ist in der französischen Politik nichts mehr wie zuvor. Politiker:innen laufen zu anderen Parteien über, werden aus der eigenen Parteien geworfen, schließen neue Allianzen – und schließen einander aus Gebäuden aus. Kein Stein bleibt gerade auf dem anderen.
Watson erklärt dir, was du über den französischen Wahlkampf wissen musst – und warum doch noch Hoffnung besteht, dass der RN nicht gewinnt.
Sonntagabend werden die Ergebnisse der EU-Wahl veröffentlicht. Rassemblement National: 32 Prozent, Besoin d'Europe: 15 Prozent. Emmanuel Macrons Wahlbündnis hat in den ersten Prognosen nicht einmal halb so viele Stimmen wie die Rechtspopulist:innen. Der Präsident reagiert umgehend: In einem Video an die Nation kündigt er eine Auflösung des Parlaments sowie Neuwahlen für Ende Juni bis Anfang Juli an.
Er könne am Ende dieses Tages "nicht so tun, als ob nichts geschehen wäre". Das französische Volk verdiene Respekt. Macron selbst ist bereits in seiner zweiten Amtszeit und kann kein weiteres Mal antreten.
Doch dieser Fakt stellt sich kurze Zeit später als unbedeutend heraus. Macron erklärt in einem Interview nämlich, dass er selbst bei einem Sieg des RN bei den Parlamentswahlen nicht als Präsident zurücktreten würde.
Die Parteien links der Mitte verkünden indes ihre Zusammenarbeit bei den Wahlen. Eine "neue Volksfront" entsteht: Die sozialistische Partei, die Grünen, die Kommunistische Partei sowie die linkspopulistische La France insoumise stellen für jeden Wahlbezirk gemeinsame Kandidat:innen auf.
Und dann geht es erst so richtig los. Es wird derart chaotisch, dass Politikwissenschaftlerin Gesine Weber die Vorkommnisse auf X am Mittwoch in einem großen Thread zusammenfasst, der alle Absurditäten aufzählen soll.
Am Dienstag erklärt der Parteichef der konservativen Republikaner-Partei Éric Ciotti, dass sie ein Bündnis mit dem RN eingehen sollte. Er spreche sich gegen "künstliche Gegnerschaften" aus. In seiner Partei regt sich bereits Widerstand.
Am Mittwoch wollen sich führende Politiker:innen der Republikaner dann treffen, um über Ciottis Zukunft abzustimmen. Dieser soll sich zunächst im Hauptsitz der Partei in Paris eingeschlossen haben, damit seine Parteikolleg:innen nicht hereinkommen. Anschließend verlässt er das Gebäude – schließt es jedoch von außen ab.
Doch es nützt Ciotti nicht, am Ende wird er seines Amtes enthoben – oder doch nicht? Ciotti möchte gegen die Entscheidung rechtlich vorgehen und beruft sich darauf, dass der Beschluss keine juristische Gültigkeit habe.
Indes schmiedet er wohl im Hintergrund weiterhin Pläne mit dem RN, sich die Wahlbezirke aufzuteilen und gegenseitig die Kandidat:innen zu unterstützen.
Und auch von ganz (ganz) rechts nähern sich Politiker:innen dem RN an: Marion Maréchal, die Nichte von RN-Chefin Marine Le Pen, ist erst am Sonntag für die rechtsextreme Partei Reconquête ins Europaparlament eingezogen. Am Mittwoch macht auch sie sich für eine Zusammenarbeit mit dem RN bei den Parlamentswahlen stark. Und auch sie wird in der Folge ausgeschlossen, von Parteichef Éric Zemmour.
Expertin Gesine Weber resümiert: "Der große Gewinner des heutigen Tages in der französischen Politik ist das Rassemblement National." Es habe die Unterstützung von Ciotti und anderen Republikaner-Mitgliedern gewonnen. Und es gewinnt die Unterstützung der führenden Persönlichkeit der Reconquête, andere könnten zudem folgen.
Ihren Post schließt Weber am Mittwoch mit der Vermutung, es könne ein sehr chaotischer Wahlkampf werden. Am Donnerstag hat sie direkt den nächsten Thread angekündigt. Der absurde Wahlkampf in Frankreich geht in seine nächste Runde.