
Berlin: Aktivisten der "Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen" demonstrieren vor dem Roten Rathaus.Bild: dpa / Bernd von Jutrczenka
Deutschland
Berlin plant, große Wohnungskonzerne zu vergesellschaften. Eine Juristin, die das Vorhaben einst rechtlich mitprüfte, ist inzwischen SPD-Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht. Sie könnte also mitentscheiden.
14.07.2025, 14:1914.07.2025, 14:19
Es ist ein kleiner, oft übersehener Paragraph im Grundgesetz, aber mit politischer Sprengkraft. Artikel 15 erlaubt es, Eigentum in Gemeinwirtschaft zu überführen. Jahrzehntelang fristete er juristisches Schattendasein. Jetzt will Berlin ihn aktivieren – mit einem Gesetz, das die Vergesellschaftung von Wohnraum ermöglicht.
Das ist schon an sich historisch. Doch wirklich explosiv wird die Sache durch eine Personalie: Ausgerechnet eine der Juristinnen, die an der Vorlage mitgewirkt hat, ist inzwischen SPD-Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht. Und könnte bald selbst darüber entscheiden.
Großkonzerne enteignen – rechtlich sauber, politisch umstritten
Was Berlin plant, wäre ein Novum in der deutschen Geschichte: ein Vergesellschaftungsrahmengesetz, das Wohnraum von Großkonzernen in öffentliches Eigentum überführen soll. Grundlage ist Artikel 15 GG – der besagt, dass "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel […] in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden" können.
Bislang wurde diese Klausel nie genutzt. Jetzt könnte sie zum Kern einer juristischen Auseinandersetzung zwischen Land und Verfassungsgericht werden.

In den vergangenen Jahren gab es immer Demonstrationen gegen steigende Meiten in Berlin. Bild: imago images / Stefan Boness
Rückblick: Ein Volksentscheid mit Folgen – oder doch nicht?
Die Grundlage für das Gesetz liefert ein Volksentscheid aus dem Jahr 2021. Damals stimmten 57,6 Prozent der Berliner:innen für die Vergesellschaftung von Konzernen wie "Deutsche Wohnen". Das Unternehmen wurde inzwischen von Vonovia übernommen und besitzt allein rund 110.000 Wohnungen in der Stadt. Viele machen es für Verdrängung und steigende Mieten mitverantwortlich.
Doch trotz des Volksentscheids zögerte die Landesregierung: Die damalige SPD-Bürgermeisterin Franziska Giffey ließ zunächst eine Kommission prüfen, ob eine solche Vergesellschaftung rechtlich überhaupt möglich sei. Das Ergebnis: Ja. Unter den Gutachter:innen: Ann-Katrin Kaufhold, Juraprofessorin an der LMU München. Sie attestierte die Verfassungsmäßigkeit des Vorhabens unter bestimmten Voraussetzungen.
Nach dem Regierungswechsel zu CDU-Bürgermeister Kai Wegner blieb das Vorhaben offiziell auf der Agenda. Allerdings mit Bremsspuren. Der aktuelle Gesetzentwurf sieht vor, dass das Gesetz erst zwei Jahre nach Verabschiedung in Kraft tritt.

Obwohl ständig gebaut wird, fehlen Hunderttausende Wohnungen. Nicht nur in Berlin.Bild: dpa / Jörg Carstensen
Die Koalition sagt offen, warum: So hätten betroffene Unternehmen ausreichend Zeit, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Jurist Tim Wihl, selbst Teil der Kommission, kommentiert das laut "Tagesspiegel" so: "Der Gesetzgeber glaubt nicht an sein eigenes Gesetz. Ich kann mich an keine solche Situation erinnern."
Mitautorin des Gesetzes soll Verfassungsrichterin werden
Und genau dort, in Karlsruhe, wird es jetzt besonders heikel. Denn die SPD hat Ann-Katrin Kaufhold, ebenjene Kommissionsjuristin, für das Bundesverfassungsgericht nominiert, als potenzielle Vorsitzende des Zweiten Senats. Dort würde das Berliner Gesetz mit hoher Wahrscheinlichkeit landen.
Das wirft eine zentrale Frage auf: Kann eine Richterin in einem Verfahren mitwirken, an dessen juristischer Vorbereitung sie selbst beteiligt war? Für Karlsruhe könnte das ein Fall für die Befangenheit sein. Politisch ist es bereits ein Problem, zumal die Wahl Kaufholds gerade erst Thema im Streit um die zweite SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf war.
Die Berliner SPD zeigt sich überzeugt vom Vorhaben. Sebastian Schlüsselburg, der das Gesetz für die SPD mitverhandelt und 2021 noch mit dem Wahlkampfslogan "Immobilienkonzerne vergesellschaften" angetreten war, sagte laut "Tagesspiegel": "Seit dem Volksentscheid kann es nur noch um das Wie der Umsetzung von Artikel 15 des Grundgesetzes gehen, nicht mehr um das Ob." Für ihn ist das Gesetz ein Instrument gegen Marktversagen, vor allem in Zeiten globaler Krisen.
Auch die Entschädigungsregel sorgt für Kontroversen. Zwar sollen enteignete Konzerne grundsätzlich Geld bekommen, aber nicht den Marktpreis. Laut Entwurf soll die Summe "niedriger […] als der Verkehrswert" angesetzt werden.
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Begründung: Weil das Eigentum in eine "Form der Gemeinwirtschaft" überführt werde, sei es nicht mehr privatnützig – und damit auch weniger wert. Für Kritiker:innen ist das eine gezielte Drohkulisse gegenüber der Privatwirtschaft. Für die Berliner Koalition aber ist es ein legitimer Hebel zur Durchsetzung sozialer Ziele.
Berlin: Gesetz könnte Präzedenzfall für ganz Deutschland werden
Auch jenseits von Berlin könnte das Gesetz Signalwirkung entfalten. Jakob Blasel, Sprecher der Grünen Jugend, forderte im "Spiegel", man solle auch klimaschädliche Konzerne wie RWE, Leag oder Thyssenkrupp vergesellschaften. "Nur so gibt es eine Kontrolle darüber, dass ihr Geschäftsmodell nicht auf Dauer Menschen und Klima zerstört."
Ob das Berliner Gesetz Bestand hat, wird am Ende das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Und dort könnte die Person, die das Vorhaben einst begutachtet hat, nun auf der Richter:innenbank sitzen. Die politische Tragweite? Kaum zu überschätzen. Denn was in Berlin beginnt, könnte bald zu einem Präzedenzfall für ganz Deutschland werden – und für die Frage, wie weit das Gemeinwohl über Eigentum stehen darf.
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