Gen-Z-Trend auch in Deutschland: "One Piece" wird zu Protest-Symbol
Indonesien, Nepal, Thailand, Italien, Spanien, Frankreich: Die Bevölkerungen all dieser Länder haben teils ähnliche, teils unterschiedliche Probleme, welche sie zum Protest auf die Straße treiben. Dennoch haben viele von ihnen, vor allem junge Gen-Z-ler, mittlerweile ein einendes Symbol, einen Totenkopf mit Strohhut.
Als wäre es nicht schon kurios genug, dass es aus einer Serie stammt, entspringt es gar einem Anime: "One Piece". Darin geht es um Monkey D. Ruffy, der vom Teenager mit einem Traum zum mächtigen König der Piraten werden will.
Doch wie schafft es ausgerechnet eine Serie für Jugendliche, dass Erwachsene verschiedener Sprachen und Erdteile auf Demonstrationen gegen korrupte Regierungen, brutale Polizei, knauserige Haushaltspolitik und Frieden in Gaza lieber mit Symbolen von ihr schmücken als Schilder mit ihren Botschaften zu tragen?
Nun schwappt der Demo-Trend auch nach Deutschland: Das Konterfei von Hauptcharakter Ruffy wird für den offiziellen Flyer einer großen Gaza-Demo in Berlin genutzt.
Gaza-Demo in Berlin: "One Piece"-Figur auf Flyer
Auf dem Flyer, dessen Bild unter anderem die Linke Neukölln auf Instagram geteilt hat, steht ganz oben "Zusammen für Gaza". Darunter ist ein Porträt des schwitzenden und blutenden Ruffys mit kämpferischem Blick abgebildet, vor dem Hintergrund wehender Palästina-Flaggen.
Die für den 27. September angekündigte Großdemo in Berlin will sich unter anderem für einen Stopp aller Waffenexporte nach Israel, humanitäre Hilfe und die Freilassung aller illegal inhaftierter Personen in israelischen Gefängnissen sowie der Geiseln der Hamas in Gaza einsetzen, wie es etwa in einer Mitteilung der Linken Berlin heißt.
Dass sich die Linke und andere Organisator:innen für diesen Anlass als Galionsfigur auf dem Flyer für eine Abbildung des "One Piece"-Hauptcharakters entschieden haben, gefällt nicht allen, wie die Reaktion eines Accounts unter dem Instagram-Beitrag der Linken Neukölln zeigt: "Absolutes No-Go, 'One Piece' da mit reinzuziehen."
Ein anderer User erklärt: In der Welt von "One Piece" wäre die israelische Armee die Marine (der militärische Arm einer Weltregierung). Hauptfigur Ruffy sei wiederum im Widerstand.
Denkt man diese Lesart zu Ende, kommt man nicht umhin, einen Code zu erahnen: Israel als Weltregierung oder Teil einer globalen Elite hinter den Kulissen – diese Erzählung kursiert schon lange, ist aber selbstverständlich antisemitisch und falsch.
"One Piece": Der Freiheitskampf ist überall, ob in Nepal oder Frankreich
Allein damit ist der Hype um Ruffy und seine Piraten-Crew als neue universelle Protest-Legende auch nicht zu erklären, schließlich werden die genannten Referenzen nicht nur auf Gaza-Demos genutzt.
In dem Piraten-Epos geht es für die Hauptfigur weniger um Besitztümer oder Macht. Er und seine Crew befreien auf ihrer Reise ständig fremde Menschen aus Armut, Hunger, Gefangen- und Knechtschaft. Der Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit steht dabei neben dem Spaß im Mittelpunkt.
In einem seiner berühmtesten Zitate erklärt Ruffy: "Ich will eine Welt erschaffen, in der alle meine Freunde so viel essen können, wie sie wollen!", kurz bevor er ein Land von einem Tyrannen befreit.
Gegenspieler Ruffys sind aber nicht nur machthungrige Piraten, sondern auch die übermächtige Weltregierung. Sie hält sich durch Korruption, undurchsichtige Machenschaften und hinterlistige Lügen an der Macht und nutzt dazu den brutalen Einsatz der Marine – eine populistische Projektionsfläche.
Und diese füllten die Protestler etwa in Nepal oder Indonesien. Dort ging die Gen Z, angetrieben von der Piratenflagge der Strohhüte, in den vergangenen Monaten gegen die Regierungen auf die Straße, weil diese sich mutmaßlich bereicherten und Protest im Land gewalttätig zu unterdrücken versuchten.
Auch wenn die Realität in der Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinenser:innen hochkomplex ist und der Hintergrund von historischer Traurigkeit und Grausamkeit: Die Strohhüte in unserer Welt, auch auf Gaza-Demos, fühlen sich, als würden sie gegen eine übermächtige Ungerechtigkeit kämpfen. Das mag auch stimmen, die Frage ist jedoch, wie viel Schwarz-Weiß-Denken von "One Piece" in die echte Welt überschwappt.
Doch Korruption und Gewalt braucht es noch nicht einmal: Was der Kampf gegen die Weltregierung in "One Piece" symbolisiert, ist, der Kampf gegen ein System, das sich nicht um seine Bürger:innen kümmert. Da passt dann auch der Protest junger Menschen in Frankreich ins Bild, welche die Strohhut-Flagge gegen die Haushaltspolitik einer Regierung hissen, die sich in ihren Augen nicht um ihre Interessen kümmert.
Ruffy empowert Demonstrierende weltweit
Zu erklären ist die Faszination der Strohhüte auch mit dem Epos, das rund um die Show entstanden ist. Sie ist eine der am längsten laufenden Serien mit einer fortlaufenden Handlung. Die Fans der Kult-Serie waren beim Start Anfang der 2000er entweder Teenager, Kinder oder gar noch nicht einmal in Planung und sind heute Erwachsene, die wie ihre Serien-Vorbilder für Freiheit kämpfen.
Sie haben die Entwicklung ihrer Held:innen also über Jahrzehnte begleitet. Für viele fühlt es sich daher an, als würde Hauptfigur Ruffy beharrlich seit über 20 Jahren gegen Unterdrückung, Lügen und Ungerechtigkeiten kämpfen.
Aufgegeben hat er nicht und nach so langer Zeit scheint er der Freiheit nun, wo sich die Show dem Ende zuneigt, zum Greifen nah. Ein empowerndes Motiv, das vielen frustrierten Demonstrierenden Mut verleiht.