Trotz Gaza-Krieg: Hamas verteidigt 7. Oktober mit "goldenem Moment"
Der Hamas-Angriff auf Israel war nicht nur beispiellos brutal, er hat auch eine tödliche Spirale im Nahen Osten weiter befeuert: An jenem 7. Oktober 2023 töteten Kämpfer der Terrororganisation rund 1200 Menschen, verschleppten mehr als 250 als Geiseln. Es war der schwerste Angriff auf das Land seit seiner Staatsgründung.
Die israelische Regierung reagierte mit massiven Luft- und Bodenoffensiven. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza starben seither über 65.000 Menschen, die meisten davon Frauen und Kinder. Die humanitäre Lage ist katastrophal. Es hagelt Vorwürfe gegen Israel.
Fast zwei Jahre später ist der Krieg längst auch eine politische Auseinandersetzung um Deutungshoheit. In dieser Woche standen die Vereinten Nationen im Zentrum: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte den Hamas-Angriff, während Israels Premier Benjamin Netanjahu seine Politik in seiner anstehenden Rede vor der UN verteidigen will.
In diesem Spannungsfeld erregte nun ein hochrangiger Hamas-Funktionär mit Aussagen in einem Interview Aufsehen. Dabei verwendete er bizarre Rechtfertigungen für die Hamas-Attacke.
Hamas-Funktionär spricht von einem Wendepunkt in der Geschichte
Ghazi Hamad, Mitglied der Hamas-Führung, sprach in Doha mit CNN, nur zwei Wochen nachdem er einen israelischen Luftangriff überlebt hatte. Eine Mitschuld am Leid der Zivilbevölkerung wollte er nicht anerkennen, stattdessen setzte er auf eine bemerkenswert kalte Erklärung.
"Wissen Sie, was der Nutzen des 7. Oktober ist?", fragte er und gab sogleich seine Antwort: "Wenn Sie auf die UN-Generalversammlung schauen, als etwa 194 Menschen ihre Augen öffneten und die Brutalität Israels sahen. Alle verurteilten Israel. Wir warteten 77 Jahre auf diesen Moment", sagte Hamad. Es sei ein "goldener Moment, der die Geschichte verändert".
Im Interview zeigte CNN dem Funktionär Videos von Menschen aus Gaza, welche die Hamas aufforderten, die Kämpfe zu beenden. "Unsere Botschaft an die Hamas: Hört auf, mit uns zu spielen. Ihr seid von der Realität abgekoppelt", sagte ein Demonstrant darin. Andere warfen der Führung vor, "mit dem Fleisch unserer Kinder gespielt" zu haben, während sie selbst im Ausland lebten.
Hamad wies die Kritik laut CNN zurück, schob das Tablet mit den Aufnahmen beiseite und erklärte: "Ich weiß, ich habe gesehen. Ich weiß, die Menschen leiden." Verantwortung übernehmen will er dafür jedoch nicht.
Aktuell wächst in der Enklave der Unmut über die Hamas. Obwohl die Terrororganisation geschwächt ist, setzen Menschen in Gaza ihr Leben aufs Spiel, wenn sie sich kritisch äußern. So wurde im April ein 22-jähriger Mann von Hamas-Kämpfern getötet, nachdem er öffentlich protestiert hatte. Die Hamas legte die Leiche eines Demonstranten vor die Tür seiner Familie, um weitere Gegner:innen einzuschüchtern. Im Mai kam es zu einer der größten Demonstrationen gegen die Gruppe seit dem 7. Oktober.
Israel: Vorgehen der Regierung unter internationalem Druck
Israel wirft der Hamas vor, die Geiseln gezielt als Schutzschilde einzusetzen. Eine Mitteilung der Al-Qassam-Brigaden legte nahe, dass Entführte "in den Vierteln von Gaza-Stadt verteilt" wurden. Hamad bestritt dies: "Es gibt keinen Beweis, dass wir solche Dinge gegen Menschen nutzen." Die Geiseln würden "nach islamischen Prinzipien" behandelt.
Zugleich ließ er offen, ob das Rote Kreuz Zugang erhält – die Lage sei "kompliziert". Ehemals Freigelassene schilderten hingegen Hunger, Misshandlungen und sexuelle Gewalt. Auch die Vereinten Nationen haben entsprechende Vorwürfe dokumentiert.
Während die Hamas jede Verantwortung von sich weist, steht Israel ebenfalls international massiv in der Kritik. Menschenrechtsorganisationen werfen der Regierung von Benjamin Netanjahu vor, im Gazastreifen unverhältnismäßig vorzugehen. Mehrere UN-Gremien sprechen von Genozid im Zusammenhang mit Israels Vorgehen in Gaza. Die israelische Regierung weist diese Vorwürfe zurück.
Netanjahu betont, die Offensive sei notwendig, um die Hamas zu zerschlagen und die Sicherheit Israels wiederherzustellen. Israels offizielle Bedingungen für eine Waffenruhe sind demnach die Freilassung aller Geiseln und die vollständige Entwaffnung der Hamas. Doch längst sprechen Regierungsmitglieder auch offen von der Vertreibung aller Palästinenser:innen.
Von Entwaffnung will Hamad nichts wissen. "Der bewaffnete Flügel der Hamas ist eine legitime Waffe gegen eine Besatzung", sagte er. Sollte ein palästinensischer Staat entstehen, werde die Hamas Teil der regulären Armee sein. Zum Ende des Interviews erklärte er: "Wir werden niemals kapitulieren. Wir werden niemals kapitulieren." Ein Ende des Konflikts ist in naher Zukunft also kaum denkbar.