Anerkennung Palästinas: Symbolpolitik oder letzter Weg zur Zweistaatenlösung?
Es liegt schon eine gewisse Ironie in den aktuellen Geschehnissen im Nahost-Krieg: Während der Gazastreifen zunehmend zerstört wird und Israel im Westjordanland neue Siedlungen genehmigt, wächst Palästinas diplomatische Bedeutung. Kanada, Großbritannien, Australien und Portugal haben Palästina offiziell als Staat anerkannt. Länder wie Frankreich oder Belgien wollen jetzt nachziehen. Deutschland und die USA zögern.
Seit Jahrzehnten gilt die Zweistaatenlösung als politische Zauberformel: Ein unabhängiger Staat Palästina soll Seite an Seite mit Israel existieren. Doch so verhärtet wie nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 und dem Gaza-Krieg waren die Fronten wohl selten.
Die aktuelle Debatte polarisiert die Weltgemeinschaft. Befürworter:innen sehen darin eine dringend nötige Aufwertung der Palästinenser:innen, Kritiker:innen warnen vor einem symbolischen Akt ohne Wirkung – oder gar einer "Belohnung für Terror".
Doch was steckt hinter der Zweistaatenlösung? Warum kocht sie gerade jetzt hoch? Und wie erfolgversprechend ist sie? Watson geht den wichtigsten Fragen auf den Grund.
Anerkennung Palästinas: Warum jetzt?
Der unmittelbare Anlass für die aktuellen Anerkennungen ist die israelische Militäroffensive im Gazastreifen, die nach palästinensischen Angaben mehr als 65.000 Todesopfer gefordert hat. Die UN-Kommission wirft Israel inzwischen offiziell Völkermord vor. Israel weist das zurück, trotz erdrückender Hinweise. Die immense Gewalt hat die Fronten zwischen Israel und Palästinenser:innen weiter verhärtet – und zugleich viele Länder dazu bewegt, ein politisches Signal zu setzen.
Vor Beginn der UN-Generaldebatte in New York erkannten deshalb gleich mehrere westliche Staaten Palästina offiziell an. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einer "legitimen Perspektive" für die Palästinenser:innen. Der britische Premier Keir Starmer erklärte, er wolle "die Möglichkeit des Friedens am Leben erhalten".
Was bedeutet die Anerkennung als Staat?
Mit der Anerkennung wird Palästina völkerrechtlich wie ein Staat behandelt, samt diplomatischer Beziehungen, Botschaften und bilateraler Abkommen. Für die Palästinenser:innen bedeutet das eine Aufwertung: Ihre Vertretungen erhalten einen anderen Status, ihre Anträge in internationalen Organisationen mehr Gewicht.
Die Realität bleibt jedoch kompliziert: Palästina erfüllt zentrale Kriterien wie stabile Grenzen oder effektive Staatsgewalt bislang nicht. "Anerkennung schafft weder Grenzen noch Institutionen, kann jedoch signalisieren, dass die internationale Gemeinschaft die Zweistaatenlösung nicht aufgeben will", sagt Houssein al-Malla vom Giga-Institut in Hamburg zum "Tagesspiegel".
Was steckt hinter der Zweistaatenlösung?
Die Idee geht auf die UN-Teilungsresolution von 1947 zurück. Sie sah zwei Staaten vor: Israel und Palästina. Während Israel entstand, blieb der Palästinenserstaat eine Vision. Seitdem wurde die Zweistaatenlösung immer wieder als Kompromiss diskutiert: mit eigenen Territorien für Israelis und Palästinenser:innen, und Ostjerusalem als palästinensischer Hauptstadt.
Heute ist die Lage komplizierter denn je. Israel baut weiter Siedlungen im Westjordanland, mehr als 700.000 Menschen leben dort bereits. Neue Bauprojekte könnten ein zusammenhängendes Palästinensergebiet unmöglich machen. Kritiker:innen halten die Zweistaatenlösung deshalb für eine Illusion, Befürworter:innen für den letzten realistischen Weg.
Anerkennung Palästinas: Welche Vorteile soll es geben?
Befürworter:innen verweisen auf die Signalwirkung. "Eine Anerkennung verändert unmittelbar nichts, aber sie gibt den Palästinensern eine deutlich stärkere Position in Verhandlungen", erklärt Nomi Bar-Yaacov, Friedensunterhändlerin am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik, gegenüber der "DW". Verhandlungen zwischen zwei Staaten seien nicht vergleichbar mit Gesprächen zwischen einem Staat und einer "bloßen Entität".
Auch der Nahostexperte Hugh Lovatt vom European Council on Foreign Relations sieht laut "DW" eine wichtige Bestätigung palästinensischer Rechte: "Symbolpolitik ist nicht immer schlecht". Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sprach in einer Reaktion auf die britische Ankündigung von einem "wichtigen und notwendigen Schritt zur Erreichung eines gerechten und dauerhaften Friedens".
Welche Nachteile und Risiken betonen Experten?
Kritiker:innen warnen, dass die Anerkennung Palästinas als Staat ohne begleitende Maßnahmen wirkungslos bleibt. "Wir haben über zu lange Zeit an der Zweistaatenlösung als Zauberformel zur Lösung aller Probleme festgehalten. Ich sehe deshalb keinen strategischen Vorteil", sagte Ulrich Schlie, Professor für Sicherheitsforschung an der Universität Bonn, dem "Tagesspiegel". Er fordert stattdessen, die Geiselfrage in den Vordergrund zu rücken.
Auch unabhängige Stimmen aus Israel äußern Zweifel. Der Publizist Gideon Levy schrieb in Haaretz, eine Anerkennung sei "kein Ersatz für Sanktionen". Sie könne das Leid in Gaza nicht beenden, solange die internationale Gemeinschaft keine praktischen Schritte unternehme.
Wie reagiert Israel auf die Anerkennung?
Die Regierung in Jerusalem reagierte geschlossen mit Ablehnung. Premier Netanjahu sprach laut CNN von einer "riesigen Belohnung für Terror" und kündigte an, den Siedlungsausbau im Westjordanland voranzutreiben. Präsident Isaac Herzog erklärte, der Schritt werde "keinem einzigen Palästinenser helfen" und "keine Geisel befreien".
Rechtsextreme Minister wie Itamar Ben-Gvir forderten sogar die Annexion des gesamten Gebiets und nannten die Palästinensische Autonomiebehörde eine "Terrorbehörde". Richard Gowan von der International Crisis Group warnte zudem in Just Security, Israel könne auf neue Anerkennungen mit "formellen Annexionsplänen" reagieren.
Welche Haltung vertreten Deutschland und die USA?
Beide Länder bleiben zurückhaltend. Die USA sehen Israels Existenz durch einen Palästinenserstaat gefährdet und wollen ihr Veto im UN-Sicherheitsrat laut CNN nutzen, um eine Vollmitgliedschaft Palästinas in der Uno zu verhindern.
Deutschland hält offiziell an seiner Linie fest: Erst am Ende erfolgreicher Verhandlungen könne ein souveräner Staat Palästina anerkannt werden. Außenminister Johann Wadephul betonte jedoch vor seiner Abreise zur UN-Generaldebatte, der politische Prozess müsse endlich beginnen.
"Für Deutschland steht die Anerkennung eines palästinensischen Staats eher am Ende des Prozesses. Aber ein solcher Prozess muss jetzt beginnen", sagte er in der ARD. Damit signalisiert Berlin: keine Anerkennung sofort, aber Unterstützung für einen neuen Anlauf in Richtung Zweistaatenlösung.
Anerkennung Palästinas: Frieden oder Symbolpolitik?
Hier gehen die Meinungen auseinander. Kritiker:innen wie Levy oder Schlie warnen vor einer Illusion: Ohne konkrete Maßnahmen bleibe es Symbolik, die weder Gewalt noch Besatzung beende. Auch die Hamas erklärte, der Schritt sei "willkommen", müsse aber von "praktischen Maßnahmen vor Ort" begleitet werden.
Andere sehen darin immerhin den Beginn einer Bewegung. "Anerkennung ist kein Programm, es ist ein Anfang. Die wirkliche Arbeit beginnt am Tag danach", schrieb Anas Iqtait, Dozent an der Australian National University, im Magazin "Akfar". Hugh Lovatt formulierte es so: "Anerkennung sollte als Reise gesehen werden. Wir kommen vielleicht nicht morgen ans Ziel, aber der Weg ist klar".
(mit Material von dpa)