Herbert Kickl, Parteichef der rechtspopulistischen FPÖ, ist als Sieger der Parlamentswahlen im September nun dafür verantwortlich, eine Regierung zu bilden.Bild: imago images / photonews / Georges Schneider
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Der Versuch, durch eine Koalition die rechtspopulistische FPÖ aus der Regierung auszuschließen, ist in Österreich gescheitert. Nun steht das Land kurz davor, mit FPÖ-Chef Herbert Kickl einen Rechtspopulisten als Kanzler zu erhalten. Eine Politologin sagt, welche Gefahr von ihm ausgeht und warum viele Parteien auf Neuwahlen pokern.
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Am Montag äußerte sich Herbert Kickl erstmals öffentlich zum Auftrag der Regierungsbildung, den seine Partei, die FPÖ, erhalten hat. Er drohte seiner einzigen möglichen Koalitionspartnerin, der ÖVP, mit Neuwahlen, wenn diese sich nicht kompromissbereit zeige. Wie schätzen Sie diese neusten Entwicklungen ein?
Kathrin Stainer-Hämmerle: Ich habe schon bevor Kickl sich geäußert hat, daran gezweifelt, dass sich die ÖVP und die FPÖ bei den Koalitionsgesprächen finden werden. Denn wie der ÖVP-Nationalrat Christian Stocker gesagt hat: Wenn man fünf Jahre lang von der FPÖ beschimpft worden ist, kann man nicht erwarten, dass man danach partnerschaftlich zusammenkommt. Nach Kickls Aussage sind die Chancen für eine Einigung noch mehr gesunken.
Welche Strategie verfolgt Kickl mit seiner Drohung?
Das war eine Vorbereitung für Neuwahlen. Alle Parteien versuchen jetzt, die Schuld für vorgezogene Neuwahlen von sich zu weisen.
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Zur Person
Dr. Kathrin Stainer-Hämmerle hat Rechts- und Politikwissenschaft in Innsbruck studiert und unterrichtet an der Fachhochschule Kärnten. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Demokratie, Wahl- und Verfassungsrecht sowie die Parteienforschung in Österreich. Im österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF gibt sie regelmässig Einschätzungen zu innenpolitischen Themen und Prozessen ab. 2022 veröffentlichte sie als Herausgeberin das Buch "Mi subers Ländle, Politische Machenschaften, Skandale und andere Affären". In diesem fasste sie, zusammen mit anderen Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, die Skandale in der österreichischen Politik der letzten 80 Jahre zusammen.
Auch die ÖVP? Immerhin erklärte sie sich für Koalitionsgespräche bereit. Und das, obwohl ihr bisheriger Kanzler, Karl Nehammer, im Wahlkampf versprach, dass er nie eine Koalition mit der FPÖ eingehen würde.
Die ÖVP hat ja nicht gesagt, sie sei offen dafür, der FPÖ entgegenzukommen, sondern lediglich, dass die FPÖ nun den Auftrag zur Regierungsbildung hat. Jetzt trägt Kickl die Verantwortung dafür, ob diese Koalitionsgespräche gelingen oder nicht. Nehammer hat zudem bereits die Konsequenzen gezogen und ist zurückgetreten. Alle anderen ÖVP-Politikerinnen und -Politiker müssten jetzt eine Kehrtwende machen, damit die Koalition noch zustande käme. Das würde einen extremen Glaubwürdigkeitsverlust für die gesamte Partei bedeuten.
Der bisherige Kanzler, Karl Nehammer von der ÖVP, hat am Sonntag seinen Rücktritt bekanntgegeben.Bild: imago images / Alex Nicodim
Die einzige andere Option wäre also auch für die ÖVP Neuwahlen.
Genau. Dies in der Hoffnung, dass sich die FPÖ bis dahin selbst "entzaubert". Im neuen Wahlkampf könnte die ÖVP dann argumentieren, dass die FPÖ die Chance gehabt hätte, zu regieren, aber nicht erfolgreich war, weil ihre Forderungen oder Vorstellungen nicht tragbar gewesen seien. Bei den Neuwahlen würde die ÖVP dann darauf hoffen, dass sie den sehr kleinen Abstand zur FPÖ beim Wähleranteil aufholen kann.
Ergebnisse der österreichischen Nationalratswahl, vom September 2024.Bild: statista / BMI
Könnte am Ende von dieser gegenseitigen Schuldzuweisung bei Neuwahlen nicht wieder die FPÖ profitieren?
Ja, das wäre das Risiko. Denn wir sehen jetzt schon: Anstatt dass ÖVP, SPÖ und die Neos die davor geplatzte Koalition dazu nutzen, um daraus zu lernen, sind sie mit gegenseitiger Schuldzuweisung beschäftigt. Und wir wissen: Wann immer die anderen Parteien sich streiten, legt die FPÖ zu.
Wie ist die Stimmung im Land, wenn eine klar rechtspopulistische, oft auch als rechtsradikal bezeichnete Partei wie die FPÖ so viel Zuspruch erhält?
In der Bevölkerung herrscht eine große Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien, eine Art Anti-Establishment-Stimmung.
Ist die FPÖ nicht ebenfalls Teil des "Establishments"? Bereits zwei Mal saß sie mit der ÖVP in der Regierung. Beide Male sorgten Skandale für ein vorzeitiges Ende der Regierung.
Ja, jüngst mit der Ibiza-Affäre 2019, als verdeckt aufgenommene Videos dokumentierten, wie der damalige Vizekanzler und FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache sich gegenüber einer vermeintlichen russischen Oligarchentochter offen für Korruption zeigte. Der FPÖ ist es jedoch gelungen, diesen Skandal relativ unbeschadet zu überstehen, im Gegensatz zur ÖVP.
Wie ist ihr das gelungen?
Sie hat es geschafft, die Verantwortung für die Ibiza-Affäre erfolgreich auf einzelne Personen abzuschieben. Also etwa auf Strache. Mit der Corona-Pandemie rückte dieser Skandal dann schnell in den Hintergrund. Gleichzeitig schaffte es FPÖ-Chef Herbert Kickl gekonnt, die Corona-Skeptiker hinter sich zu scharen. Aktuell kommen weitere Themen hinzu, die für Unzufriedenheit sorgen. Etwa die Teuerung oder die Energiekrise.
Und das spricht für die FPÖ? Eine Partei, deren Politiker öffentlich darüber fantasieren, Flüchtlinge in Lagern zu "konzentrieren"? Oder Juden zu "registrieren"?
Ich kann Ihnen noch einen weiteren Begriff nennen, den Herbert Kickl gerne verwendet: Volkskanzler. Das erinnert auch stark an das Dritte Reich. Oder das Wort "Remigration", das eindeutig aus dem rechtsextremen Lager der Identitären stammt. "Remigration" ist bei der FPÖ Teil des Parteiprogramms. Kickl ließ öffentlich verlauten, er wüsste nicht, was falsch daran sei, den Begriff "Remigration" zu verwenden. Natürlich sind das Warnsignale.
Hören die Österreicherinnen und Österreicher diese Warnsignale nicht? Wollen sie diese nicht hören?
Doch, solche Aussagen schockieren die Österreicherinnen und Österreicher durchaus. Auf den Straßen demonstrieren jetzt auch viele Menschen gegen die FPÖ. Gleichzeitig gibt es in Österreich aber auch die Tendenz, zu sagen: "Das wird schon nicht so schlimm mit der FPÖ. Kickl und Co. werden dann schon entzaubert, wenn sie in der Regierungsverantwortung sind und sich herausstellt, dass sie ihr Parteiprogramm nicht so einfach durchdrücken können. Wenn sie merken, dass man Verträge mit der EU nicht so einfach brechen, internationale Verpflichtungen nicht einfach ignorieren kann."
Und wie ist Ihre Haltung dazu?
Ich bin da eher skeptisch. Die FPÖ ist ein großes Risiko.
Kickl sagt öffentlich, dass Viktor Orbán, der Ungarn zunehmend autokratisch regiert, sein Vorbild ist. Hat Österreich Instrumente, die seine Demokratie schützen?
Theoretisch schon, ja. Als allererstes wären da natürlich die Koalitionspartner der FPÖ, die gewillt sein müssten, dafür zu sorgen, dass sie FPÖ gewisse rote Linien nicht überschreiten kann. Dies sowohl in der Regierung, als auch im Parlament. Auf der anderen Seite gibt es die Opposition, die Medien, den Verfassungsgerichtshof. Sie alle müssen der FPÖ genau auf die Finger schauen, wenn sie an die Macht kommt. Das Problem beim Verfassungsgerichtshof ist jedoch, dass es sehr lange geht, bis eine Klage eingebracht, darüber verhandelt und schließlich entschieden worden ist.
Das heißt, die FPÖ könnte als Regierung auf Zeit spielen.
Genau. Und so könnte sie innerhalb sehr kurzer Zeit sehr viel Schaden anrichten.
Können Sie Beispiele nennen?
Wenn die FPÖ entscheiden würde, die Gebühren für das öffentlich-rechtliche Fernsehen abzuschaffen, würde es bis zu zwei Jahre gehen können, bis das Verfassungsgericht geurteilt hat, dass dieser Entscheid nicht verfassungskonform war und die Regierung ihn rückgängig machen muss. Bis dahin wäre der Schaden bereits gemacht, der ORF praktisch nicht mehr handlungsfähig, die vierte Gewalt in Österreich nachhaltig geschwächt.
Wien: Demo gegen die FPÖ und Herbert Kickl, der Kanzler für die nächsten fünf Jahre werden könnte.Bild: imago images / Gabriel Böhler
Wie schauen Sie angesichts der aktuellen Entwicklungen in die Zukunft Österreichs?
Mit Besorgnis. Ich bin an einer Fachhochschule tätig, habe viele internationale Studierende. Wir leben von dieser Weltoffenheit. Mit der FPÖ kann sich das ganz schnell ändern. Ich beobachte schon jetzt, wie Menschen, die anders aussehen, auf der Straße, im Supermarkt, angepöbelt werden. Zudem sehe ich, wie die FPÖ gegen die Wissenschaft, gegen Frauen, gegen Minderheiten wettert, den Klimawandel leugnet. Das sind keine schönen Aussichten. Doch wenn die anderen Parteien nicht in der Lage sind, Kompromisse zu finden, ist es eine logische Konsequenz, dass eine rechtspopulistische Partei am Ende triumphiert.