Wer sich lange genug im Kreis dreht, beginnt irgendwann, sich selbst zu übersehen. Außenpolitische Rhetorik lebt oft von moralischen Maßstäben, absurd aber wird es, wenn man darauf schaut, wer sie aufstellt. Dass sich Akteure auf der Weltbühne dabei selbst aus dem Blick verlieren, ist kein neues Phänomen. Manchmal reicht ein Satz, um die ganze Schieflage offenzulegen.
Ein solcher Satz kam an diesem Freitag aus Kiew. Denn ausgerechnet Russland hat sich in seiner moralischen Selbstinszenierung als Verteidiger internationaler Rechtsprinzipien aufgespielt.
Was zuvor geschah: Am Freitagmorgen startete Israel eine weitreichende Luftoffensive auf iranisches Territorium. Nach offiziellen Angaben wurden etwa 100 Ziele angegriffen, darunter nukleare Einrichtungen, militärische Kommandozentralen und ranghohe Persönlichkeiten des iranischen Sicherheitsapparats.
Getötet wurden unter anderem der Generalstabschef der Streitkräfte sowie mehrere führende Nuklearwissenschaftler.
Ein Sprecher des russischen Außenministeriums reagierte umgehend mit scharfer Kritik. Die Angriffe seien "unprovoziert" gewesen und "kategorisch inakzeptabel", hieß es in einer offiziellen Stellungnahme. Israel habe gezielt einen souveränen UN-Mitgliedsstaat, dessen Bevölkerung, Städte und nukleare Infrastruktur angegriffen.
Besonders zynisch sei der Zeitpunkt der Offensive: Sie habe während der laufenden Sitzung des Gouverneursrats der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sowie kurz vor neuen indirekten Gesprächen zwischen Iran und den USA stattgefunden. Es sei laut Moskau "eine bewusste Entscheidung, die Eskalation zu suchen". Der Ratschlag: "Zurückhaltung auf beiden Seiten".
Der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Heorhii Tykhyi, schrieb hinsichtlich der himmelschreienden Ironie auf X:
Dazu postete er einen Screenshot der russischen Erklärung. Die Botschaft: Vielleicht sollte sich ein Land, das selbst einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen ein Nachbarland führt, in Fragen militärischer Zurückhaltung, nun ja, zurückhalten.
Die russische Intervention lässt sich auch damit erklären, dass der Iran ein wichtiger strategischer Partner von Wladimir Putin ist. Teheran beliefert Russland im Angriffskrieg gegen die Ukraine mit Waffen. Beide Länder eint ein antiwestlicher Schulterschluss: politisch, militärisch und wirtschaftlich.
Auch diplomatisch deckt Russland den Iran regelmäßig, etwa im UN-Sicherheitsrat, und stärkt damit eine Achse, die sich offen gegen westliche Dominanz richtet. Putin selbst dürfte von dem ausgebrochenen Konflikt erst einmal profitieren. Der Ölpreis ist nach Israels Angriff auf den Iran massiv gestiegen – der Rohstoff also, der Putins Herrschaft sichert.