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Israel und Iran: Experten zu Völkerrecht, Atomstreit und Weltordnung

dpatopbilder - 13.06.2025, Iran, Teheran: Nach einer Explosion in Teheran steigt Rauch auf. Foto: Vahid Salemi/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Explosionen in Teheran: Ein Symptom eines weit größeren Problems.Bild: AP / Vahid Salemi
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Israel-Iran-Konflikt: Experten erklären, was hinter der Eskalation steckt

Israel bombardiert erstmals in großem Maßstab iranisches Staatsgebiet – und das mitten in laufenden Atomverhandlungen. Zwei Konfliktforscher:innen erklären, welche Folgen die erneute Eskalation haben könnte und wie brüchig die internationale Ordnung inzwischen ist.
13.06.2025, 13:5513.06.2025, 13:55
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Erstmals seit Beginn der Spannungen mit dem Iran greift Israel in großem Maßstab direkt iranisches Territorium an. Getroffen wurden unter anderem Atomanlagen und Einrichtungen der Revolutionsgarden. Teheran reagiert mit Drohnen, Washington distanziert sich. Mitten in laufenden Verhandlungen über das iranische Atomprogramm wächst die Sorge vor einer weiteren Eskalation.

Watson hat zwei Friedens- und Konfliktforscher:innen um ihre Einschätzung gebeten: Claudia Baumgart-Ochse von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und Thorsten Bonacker von der Universität Marburg. Ihre Analysen zeigen, was völkerrechtlich auf dem Spiel steht – und wie brüchig der diplomatische Boden inzwischen ist.

Die Bedrohungslage: Wie gefährlich ist der Iran für Israel wirklich?

Claudia Baumgart-Ochse stellt klar, dass der Iran "ohne Frage eine sehr ernstzunehmende Bedrohung für Israel" darstelle. Sie verweist auf die wiederholten Vernichtungsdrohungen der iranischen Führung sowie auf die langjährige Unterstützung und Finanzierung sogenannter "Proxies" – "beispielsweise die Hamas in den palästinensischen Gebieten oder die Hisbollah im Libanon".

ARCHIV - 14.11.2024, Iran, Teheran: Rafael Mariano Grossi (l), Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), gestikuliert am Ende seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Mohammad ...
Die Ausweitung des iranischen Atomprogramms wird von der IAEA mit Sorge beobachtet.Bild: AP / Vahid Salemi

Zudem nennt sie die jüngsten Ausweitungen der Anreicherungskapazitäten für Uran im Iran und die damit verbundene Sorge vor Atomwaffen.

Auch Thorsten Bonacker betont die Gefahrenlage. Er verweist auf die Priorität Israels und der USA, den Ausbau des iranischen Atomprogramms zu verhindern. Bonacker erinnert zudem daran, dass Teheran nach der jüngsten Kritik der Internationalen Atomenergiebehörde bekannt gegeben habe, das Programm weiter auszubauen.

Israel greift Iran an: Selbstverteidigung oder völkerrechtswidrig?

Für die Reaktion Israels gibt es laut Bonacker demnach "gute Gründe, weil das iranische Regime die Vernichtung Israels proklamiert und eine iranische Atombombe deshalb sehr gefährlich ist".

Trotz der Bedrohungen Israels durch den Iran macht Baumgart-Ochse deutlich, dass die militärische Eskalation aus ihrer Sicht nicht durch das Völkerrecht gedeckt sei. Es gelte, "dass einer völkerrechtlich zulässigen Selbstverteidigung Israels ein Angriff des Iran auf israelisches Territorium vorausgehen muss; und den gab es im Vorfeld der jetzigen militärischen Eskalation nicht."

Atomverhandlungen: Angriff inmitten diplomatischer Bemühungen

Baumgart-Ochse verweist zudem darauf, dass die USA zu diesem Zeitpunkt aktiv an einem neuen Abkommen mit dem Iran gearbeitet hätten, um den Bau von Atomwaffen auszuschließen. Donald Trump selbst habe noch am Vortag erklärt, dass er hoffe, "dass es nicht zu militärischen Angriffen kommt, sondern dass das Abkommen gelingt".

Israel ist diesem Verhandlungsprozess zuvorgekommen.

Was die Atomverhandlungen betrifft, kommt der Angriff Israels auf den Iran also zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn, wie Konfliktforscher Bonacker betont: "Grundsätzlich wäre es natürlich wünschenswert, auf dem Verhandlungsweg mit der Atomenergiebehörde zu einer Regelung zu kommen, die für alle Seiten tragbar ist."

Die Folgen dieses Angriffs seien laut Baumgart-Ochse gravierend: "Nicht nur das mögliche Nuklearabkommen ist damit erst einmal vom Tisch, auch die Gewalt könnte in den nächsten Tagen massiv eskalieren."

Shiite Muslims chant anti Israel slogans during a demonstration in Karachi, Pakistan, to condemn Israeli strikes on Iran, Friday, June 13, 2025. (AP Photo/Ali Rana)
In Teheran herrscht nach dem Angriff Ausnahmestimmung.Bild: AP / Ali Raza

Sie ordnet den israelischen Angriff in den Kontext anderer regionaler Konflikte ein: "Damit öffnet Israel eine weitere Front zusätzlich zum Krieg in Gaza, dem Konflikt mit den Huthis und den Konflikten an der Grenze zu Syrien und Libanon."

Wie geht es weiter? Gesprächsbereitschaft trotz Eskalation?

Thorsten Bonackers hält eine weitere Ausweitung des Konflikts aktuell für eher unwahrscheinlich. Denn: "Der Iran ist nicht zuletzt durch die israelischen Angriffe auf die Hamas und die Hisbollah sowie auf Funktionselite des Iran selbst geschwächt. Er hat im Moment weniger Möglichkeiten, eine Eskalation zu betreiben."

Die iranische Antwort – Drohnenangriffe – sei zwar erfolgt, habe jedoch kaum Wirkung entfaltet: "Der Iran hat, wie üblich, mit Drohnenangriffen reagiert, die aber weitestgehend dank der israelischen Verteidigung ihre Ziele nicht erreichen."

Trotz der Eskalation sieht Bonacker deshalb eine potenzielle Gesprächsbereitschaft auf iranischer Seite. Da der Iran politisch geschwächt sei und jetzt einen weiteren deutlichen Rückschlag erfahren hat, vermutet der Konfliktforscher "eine gewisse Verhandlungsbereitschaft".

Ob diese sich realisiert, hänge laut Bonacker davon ab, "ob Trump sein Verhandlungsangebot an den Iran aufrechterhält". Falls das der Fall sei, könne es "zu weiteren Gesprächen kommen, in denen der Iran sicherstellen wollen wird, dass er die zivile Nutzung aufrechterhalten kann".

Dennoch: Der Angriff ist ein weiteres, fatales Zeichen in Bezug auf die regelbasierte Weltordnung.

Nicht nur wegen Israel: Globale regelbasierte Ordnung wankt zunehmend

Baumgart-Ochse sieht in der aktuellen Eskalation ein weiteres Symptom für eine tiefere Erosion der internationalen Rechtsordnung. Sie schreibt: "Die Glaubwürdigkeit der regelbasierten Ordnung ist ja ohnehin schon schwer beschädigt."

Dabei verweist sie auf "den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine, die massiven Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch Israel im Gazastreifen" sowie den "Frontalangriff der Trump-Regierung auf die internationalen Institutionen". All diese Geschehnisse hätten die Bindekraft von Völkerrecht und internationaler Kooperation massiv geschwächt. Ihr Fazit: "Dieser Angriff Israels auf den Iran reiht sich also in einen Trend in der internationalen Politik ein, in dem völkerrechtliche Normen immer weniger befolgt werden."

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