Die Evolution denkt in Jahrmillionen, der Krieg braucht nur ein Quartal. Was gestern noch Bastlerkram war, ist heute selbstständig, zielsuchend und mit einer Sprengladung versehen.
Die Werkbank ist das Feld, die Versuchsanordnung tödlich. Die russische Armee hat das Prinzip verstanden und ihre Drohnenstrategie entsprechend angepasst.
Im Gespräch mit der "Kyiv Post" beschreibt der ukrainische Drohnenoperator "Potter", wie neue russische Taktiken beinahe ihn und drei Kameraden das Leben gekostet hätten. Der Zwischenfall ereignete sich bei einem Mannschaftswechsel im Frontabschnitt bei Charkiw. Eine FPV-Drohne (First-Person-View) sei getarnt unter einer Straße positioniert worden, um das zurückkehrende Fahrzeug zu treffen. Ein Hinterhalt mit technischer Raffinesse.
"Wir fuhren zurück und haben es nicht gesehen. Es war unter der Straße getarnt", sagt Potter. Der Start der Drohne sei vermutlich durch ein elektronisches Störsystem verhindert worden. Das Fahrzeug überfuhr also die Drohne, die daraufhin explodierte. Alle vier Insassen erlitten Gehirnerschütterungen, überlebten jedoch. Zwei weitere Drohnen, die offenbar ebenfalls gestört worden waren, wurden später unversehrt neben dem Fahrzeug gefunden.
Für Potter ist der Vorfall kein Einzelfall. Er ist Teil einer dynamischen Veränderung. "Die [Schimpfwort für Russen] ändern ständig ihre Taktik und es ist schwer, Schritt zu halten", sagt Potter. Sie seien sehr geschickt darin, Taktiken für den Einsatz ihrer Ausrüstung zu entwickeln.
Die russischen Streitkräfte setzen nun zunehmend auf sogenannte "Jäger-Drohnen": FPV-Modelle, die gezielt nach ukrainischen Drohnen wie dem Modell "Vampire" suchen, um sie auszuschalten. "Sie sind nicht auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, sondern fliegen selbstständig los, um zu jagen", sagt Potter. Die Vampire-Drohnen wiederum tragen bis zu 15 Kilogramm Sprengstoff und gelten als besonders effektiv gegen Panzer und gepanzerte Fahrzeuge.
Doch auch leichte Fahrzeuge sind nicht mehr sicher, wie Potter erklärt. Russland setze inzwischen glasfaser-gesteuerte Drohnen gegen Pickups ein: "Früher wurden Glasfaserdrohnen nur gegen schweres Gerät eingesetzt, aber jetzt werden sogar Kleintransporter getroffen."
Gleichzeitig bleibt auf ukrainischer Seite das Material knapp. Den ukrainischen Einheiten fehle noch immer die nötige Anzahl an Drohnen, um den neuen Taktiken wirksam entgegentreten zu können. Die verfügbare Drohnenunterstützung sei laut Potter "weit unter dem, was unsere Crews eigentlich brauchen". Jede neue russische Innovation verschärft diesen Rückstand.