Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine haben die Truppen von Kremlchef Wladimir Putin zehntausende ukrainische Kinder nach Russland entführt. Sie sollen dort umerzogen werden, ihre ukrainische Kultur und Identität soll den Kindern ausgetrieben werden.
Weil sich Putins Verwicklung in die Verschleppung der ukrainischen Kinder nachweisen ließ – bei anderen Kriegsverbrechen, die die russischen Soldaten in der Ukraine anrichten, ist das schwieriger – wird Russlands Präsident seit März 2023 international per Haftbefehl gesucht. Der Internationale Strafgerichtshof wertete die Entführungen der Kinder als Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht und als Kriegsverbrechen.
Der britische Geheimdienst will erfahren haben: Tausende der verschleppten Minderjährigen landen in russischen Ausbildungslagern. Und langfristig sollen sie an der Front eingesetzt werden.
Der Geheimdienst bezieht sich dabei auf Angaben ukrainischer Regierungsmitarbeiter:innen. Demnach soll Russlands Armee die ukrainischen Jugendlichen im Land einberufen, sobald diese 18 Jahre alt werden. Viele von ihnen sollen aus den russisch besetzten Gebieten in der Ostukraine stammen und gezwungen werden, gegen ihre eigenen Landsleute zu kämpfen.
Nach Angaben des britischen Geheimdiensts sind seit Beginn des Angriffskriegs 2022 mehr als 19.500 ukrainische Kinder nach Russland oder auf die annektierte Krim gebracht worden. Rund 6000 landeten in Umerziehungscamps. Für die, die volljährig werden, gehe es von dort weiter in militärische Lager. Russlands Führung sieht sie dem Bericht zufolge als "zukünftiges Personal" für die Armee an.
Die grausame Rechnung der Verantwortlichen: Sollten die jungen ukrainischen Menschen an der Front sterben, werde das kaum Protest in der russischen Bevölkerung auslösen. Die meisten in Russland wüssten nämlich überhaupt nichts von den Entführungen. Außerdem helfen Fronteinsätze entführter Ukrainer:innen Moskaus großem Ziel: die Ukraine zerstören, sowohl den Staat als auch die Identität des Landes.
Eine "Tagesspiegel"-Recherche aus dem April zeigte bereits, wie Russland die Kinder in den besetzten ostukrainischen Regionen umerziehen lässt. In einigen Schulen müssen die Kinder russische Militäruniformen tragen, außerdem werden sie gezielt in militärische Jugendstrukturen eingebunden.
Eine solche Organisation, die sich in den besetzten Gebieten verbreitet, ist die "Junarmija" (auf Deutsch: "Jungarmee"). Sie gilt als Analogie zur Hitlerjugend und bildete dem Bericht zufolge bereits Hunderttausende junger Russ:innen militärisch aus. Solche Trainingslager entstehen jetzt vermehrt auch in der Ostukraine.
Wie stark die Auslöschung der ukrainischen Identität in den besetzten Gebieten voranschreitet, weiß die Menschenrechtlerin Anastasija Worobjowa. Wie sie dem "Tagesspiegel" berichtete, sollen 2023 in der Region Saporischschja noch etwa 18.000 Kinder Ukrainisch gelernt haben, 2024 waren es nur noch 8000.