Mit militärischen Ehren und stillen sowie lauten Botschaften: Der Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei Kanzler Friedrich Merz war nicht nur symbolisch aufgeladen, sondern auch politisch bedeutsam.
Der ukrainische Präsident war am Mittwoch zunächst am Kanzleramt, anschließend bei einem Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Schloss Bellevue. Der Zeitpunkt ist kritisch: Der Besuch erfolgte mitten in einer Phase intensivierter russischer Offensiven.
Während vor dem Kanzleramt rund 2400 Polizist:innen den Regierungsbezirk sicherten, wurde drinnen über konkrete Schritte gesprochen. Klar wurde: Es geht längst nicht mehr um einzelne Waffen, sondern um eine neue militärische Partnerschaft – und um klare Antworten auf Putins Eskalation.
Kanzler Friedrich Merz stellte bei der gemeinsamen Pressekonferenz klar: Die Ukraine soll sich "vollumfänglich verteidigen können – auch gegen militärische Ziele außerhalb ihres Staatsgebiets". Eine Reichweitenbegrenzung für Waffenlieferungen werde es nicht mehr geben. Damit vollzieht die Bundesregierung eine Wende: Bisher hatte Deutschland sich zurückhaltend gezeigt, wenn es um potenzielle Angriffe auf russisches Territorium mit westlichen Waffen ging.
Ein zentrales Ergebnis des Treffens ist die geplante Absichtserklärung zur gemeinsamen Beschaffung und möglichen Produktion weitreichender Waffensysteme. Noch am Nachmittag sollten die Verteidigungsminister beider Länder diese Vereinbarung unterzeichnen. Merz sprach von einem "ersten Schritt in eine neue Form der militärisch-industriellen Zusammenarbeit".
Ob Deutschland der Ukraine die lange geforderten Taurus-Marschflugkörper liefern wird, ließ Merz hingegen offen. Er verwies auf die Absprache mit internationalen Partnern und betonte, man werde "nicht öffentlich über Details sprechen". Grünen-Politiker Omid Nouripour forderte im Anschluss klare Verhältnisse: "Taurus liefern – oder sagen, dass es nicht geht." Merz hatte sich als Oppositionsführer noch für die Lieferung ausgesprochen. Nun steht er unter Zugzwang.
Friedrich Merz kündigte an, dass gegen Jahresende erstmals seit vielen Jahren wieder deutsch-ukrainische Regierungskonsultationen stattfinden sollen. Ziel ist es, die enge Zusammenarbeit der Ministerien in ein offizielles Format zu überführen. "Die deutsche und die ukrainische Gesellschaft, aber auch die Regierungen sind sich durch den Krieg nähergekommen", sagte Merz.
Auch wirtschaftlich soll die Partnerschaft gestärkt werden: Selenskyj rief deutsche Unternehmen dazu auf, sich am Wiederaufbau seines Landes zu beteiligen – insbesondere in der Verteidigungsindustrie. Die Ukraine will ihre Waffenproduktion mit europäischen Partnern massiv ausbauen – Deutschland soll dabei eine zentrale Rolle spielen.
Zwar ist es bereits Selenskyjs vierter Besuch in Berlin seit Beginn des russischen Angriffskriegs – doch es war das erste Mal, dass er dem neuen Kanzler Friedrich Merz gegenübertrat. Dieser hatte erst Anfang Mai das Amt übernommen. Der Empfang mit militärischen Ehren, das vertrauliche Gespräch bei Kaffee im Kanzleramt und die Ankündigung neuer militärischer Kooperationen markieren einen klaren Bruch mit der bisherigen Zurückhaltung.
Es ist ein Treffen mit einer klaren Botschaft an den russischen Machthaber: Bis hierhin und nicht weiter, wir stehen hinter der Ukraine und bauen die Unterstützung aus, beende das sinnlose Töten.
Ob auf dieses Signal auch weitreichende Taten folgen und inwiefern diese Russland von einer weiteren Eskalation abhalten können, wird sich zeigen. Die offizielle Vertreterin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, nannte Merz' neuste Verkündungen jedenfalls eine "offensive Unzulänglichkeit".
(Mit Material von der dpa)